Unifil-Einsatz im Libanon: Auf verlorenem Posten

Seit 46 Jahren bemüht sich die Libanon-Truppe der Vereinten Nationen um Frieden. Die Geschichte einer unerfüllten Mission.

Soldat schaut aus einem UN Panzer mit blauer Flagge heraus

Mehr Sicherheit durch Blauhelm­e? Eine Unifil-Streife Ende 2023 im Süden Libanons Foto: Ali Hashisho/Xinhua/imago

Berlin taz | Es begann mit einem einzigen Satz. Der UN-Sicherheitsrat beschloss in seiner Resolution 425 mit 13 Ja-Stimmen unter Enthaltung der Sowjetunion und der Tschechoslowakei, „unverzüglich eine Interimstruppe der Vereinten Nationen für den Südlibanon unter seiner Befehlsgewalt aufzustellen, die sich aus Personal aus Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen zusammensetzt und den Abzug der israelischen Streitkräfte bestätigen, den internationalen Frieden und die internationale Sicherheit wiederherstellen und der Regierung des Libanon helfen soll, die Wiedereinsetzung ihrer tatsächlichen Autorität in diesem Gebiet zu gewährleisten“. Die direkt im Anschluss verabschiedete Resolution 426 beschloss die Aufstellung der „Interimstruppe der Vereinten Nationen im Libanon“ (Unifil) für zunächst sechs Monate.

Das war am 19. März 1978. Heute, 46 Jahre später, sind die Sowjetunion und die Tschechos­lowakei längst Geschichte, aber Unifil immer noch da. Und seit Neuestem wird die UN-Blauhelmtruppe, derzeit gut 10.000 Soldatinnen und Soldaten stark, täglich angegriffen.

Die Unifil-Mitteilungen der vergangenen Tage zeugen von einer Mission unter Feuer. Israel beschoss mit einem Panzer einen Beobachtungsturm des UN-Hauptquartiers, zerstörte durch Beschuss UN-Überwachungskameras, traf den Eingang zu einem UN-Bunker und hat insgesamt fünf Blauhelmsoldaten verletzt, darunter zwei aus Indonesien und zwei aus Sri Lanka. Israelische Truppen umstellten einen irischen UN-Beobachtungsposten an der Grenze, Panzerkanonen auf die UN-Truppen gerichtet. Am frühen Sonntagmorgen enterten israelische Soldaten mit zwei Panzern kurz die UN-Basis Ramyah und wenig später drang Rauch in die Basis ein, in dessen Folge 15 UN-Soldaten an Hautreizungen und Übelkeit litten. Zuvor hatte Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu zum wiederholten Mal den „sofortigen“ Abzug der Unifil gefordert.

Dies wies UN-Generalsekretär António Guterres zurück und rief „alle Parteien, einschließlich Israel“ dazu auf, „alle Handlungen zu unterlassen, die unsere Friedenssoldaten gefährden“. UN-Sprecher Stéphane Dujarric stellte in Genf klar: „Die Unifil-Friedenssoldaten bleiben auf allen ihren Positionen.“ 40 der 49 Unifil-Truppensteller – darunter im zweiten Anlauf auch Deutschland – haben am Wochenende in einem gemeinsamen Appell die Angriffe auf Unifil-Personal verurteilt und betont, Unifils Präsenz sei gerade jetzt „besonders wichtig“.

In der Realität nicht mehr als ein Beobachter

Die UN-Libanon-Mission hat zwei Grundlagen. Neben den Gründungsbeschlüssen von 1978 gehört dazu die UN-Resolution 1701 aus dem Jahr 2006, die den damaligen Krieg Israels gegen die schiitische Hisbollah-Miliz im Libanon beendete. Damals wurde die maximale Unifil-Truppenstärke auf 15.000 aufgestockt – heute sind es etwas über 10.000. Das Unifil-Mandat beinhaltet seitdem zwei Dinge: die Einstellung der Feindseligkeiten zwischen Israel und der Hisbollah überwachen; Libanons Regierung dabei helfen, ihre Armee wieder im Süden des Landes zu stationieren und illegale Rüstungsimporte zu verhindern. Das UN-Mandat befähigt die Blauhelme auch, den Zugang humanitärer Hel­fe­r*in­nen zur Zivilbevölkerung sicherzustellen. Unifil wird ermächtigt, „in den Einsatzgebieten ihrer Truppen alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, die nach ihrem Ermessen im Rahmen ihrer Fähigkeiten liefen, um sicherzustellen, dass ihr Einsatzgebiet nicht für feindselige Aktivitäten gleich welcher Art genutzt wird“.

Das ist auf dem Papier ein „robustes“ Mandat, aber weder die Resolution 1701 noch die jährlichen Folgebeschlüsse zur Erneuerung des Unifil-Mandats enthalten den für Zwangsmaßnahmen nötigen Verweis auf Kapitel sieben der UN-Charta. Eine Unifil-Evaluierung aus dem Jahr 2020, deren Umsetzung dann wegen der Covid-19-Pandemie auf Eis gelegt werden musste, bescheinigte der Mission lediglich „wertvolle Abschreckung und Prävention“; sie verfüge aber nicht einmal über moderne eigene technische Überwachungsmittel.

In der Praxis ist Unifil eine reine Beo­bachtungsmission geblieben, die dem UN-Sicherheitsrat Verstöße gegen UN-Beschlüsse anzeigt, aber nicht selbst dagegen einschreitet; wird sie blockiert, ist sie machtlos. „Unifil hat keine Panzer oder schwere Artillerie oder Flugzeuge“, sagte ein ehemaliger irischer UN-Kommandant dem britischen Independent. „Wir können uns nur in den Weg stellen.“

Überhaupt war Unifil, wie der Name schon sagt, nie als Dauereinrichtung gedacht. „In einer späteren Resolution“, hieß es 2006, würde man „zusätzliche Erweiterungen des Mandats und andere Schritte“ prüfen, „um zur Verwirklichung einer ständigen Waffenruhe und einer langfristigen Lösung beizutragen“. Eine „langfristige Lösung“ müsse von Israel und Libanon unterstützt werden und auf der „uneingeschränkten Achtung der Blauen Linie“ – die israelisch-libanesische Grenze – sowie auf der „Entwaffnung aller bewaffneten Gruppen in Libanon“ gründen. Zu all dem kam es nie. Politische Konfliktregelung ist nicht Aufgabe einer UN-Blauhelmmission.

Deutschland bleibt auf dem Meer

Seit dem Hamas-Terrorüberfall auf Israel am 7. Oktober 2023 und der Wiederaufnahme des Krieges zwischen Israel und der libanesischen Hisbollah-Miliz hat die Unifil ihre Aktivitäten stark reduzieren müssen. Das französische Kontingent, das unter anderem eine „schnelle Eingreiftruppe“ umfasst, beklagte im September 2024 gegenüber der Zeitung Le Monde, dass Patrouillen immer öfter kurzfristig abgesagt werden, auf Wunsch Israels. In den Missionsberichten werden die Listen von Zugangsbeschränkungen immer länger. Die wichtigste diplomatische Funktion der Unifil – in ihrem Hauptquartier israelische und libanesische Militärverantwortliche zusammenzubringen – ist lahmgelegt. Als der UN-Sicherheitsrat am 28. August 2024 die jährliche Unifil-Mandatsverlängerung vornahm, schrumpfte die Länge der Resolution von zehn Seiten im Vorjahr auf zwei.

Der deutsche Bundestag billigte im Juni das laufende Bundeswehrmandat für Unifil. Deutschland ist in Libanon seit 2006 im Dauereinsatz, mit einer Obergrenze von 300 Soldatinnen und Soldaten. Deutschlands Beitrag konzen­triert sich auf die Überwachung der libanesischen Seegrenzen, seit 2021 kommandiert die Bundeswehr den Unifil-Flottenverband. Im Hauptquartier befindet sich ein Basislager der Bundeswehr.

Die Präsenz eines hochgerüsteten Kriegsschiffes, das den Seeraum überwacht, soll den Schmuggel von Waffen verhindern. Die deutschen Marinesoldaten dürfen verdächtige Schiffe aber nicht betreten, sondern nur umleiten und die Informationen an die libanesische Marine weitergeben. Weil diese die Seegrenze nicht selbst sichern kann, bilden deutsche Marinesoldaten rund 1.800 ­libanesische Sol­da­t*in­nen darin aus, Wachboote zu navigieren und zu warten. Außerdem hat Deutschland Libanons Marine Wachboote und Küstenradarstationen gespendet. Die Besatzung der „Brandenburg“, im Juni von der „Ludwigshafen am Rhein“ abgelöst, wurde bereits darauf vorbereitet, deutsche Staatsbürger zu evakuieren.

Inzwischen wurde das deutsche Ausbildungspersonal bei Unifil bereits repatriiert, die Ausbildung der libanesischen Marine ist ausgesetzt, teilt das Einsatzführungskommando der Bundeswehr der taz mit. „Das nicht zwingend für die Führung des internationalen Flottenverbandes benötigte Personal wurde in den vergangenen Tagen aus dem Libanon nach Deutschland gebracht“, heißt es weiter. Aktuell seien noch rund 60 Besatzungsmitglieder der „Ludwigshafen am Rhein“ vor Ort, außerdem rund 40 deutsche Soldatinnen und Soldaten im Unifil-Hauptquartier, die aber „durch die Kampfhandlungen rund um Naqoura in ihrer Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt“ seien.

Mehr israelische Angriffe, Hisbollah-Geiselnahmen – die weiteren Szenarien sind düster. Falls die Versorgung der UN-Basen zusammenbricht, müssten im Extremfall Eingreiftruppen die Friedenstruppen evakuieren.

Mitarbeit: Julia Neumann

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