Jasmin Ramadan
Einfach gesagt
: Weltfratzenkatharsis

Auf eine Halloween-Party würde ich als Debattenkultur 2024 gehen“, sagt mein Mann und legt das Telefon beiseite.

„Wie das?“, fragt der Freund und zieht die Schiebermütze tiefer.

„Ein Overall vollgetackert mit ausgedruckten Social-Media-­Posts und Zeitungs­artikeln.“

„Ich mag die munteren ­Fratzen-Kürbisse, haben was Versöhnliches im Umgang mit dem akuten Horror des Weltgeschehens.“, sagt der andere Freund und zerhackt seine Avocado.

„Integriert wurde der Spuk-Firlefanz hier wegen des Golfkriegs 91, da ist Karneval flachgefallen und die Faschingsindustrie wollte ihren Kram noch loswerden.“

„So unoriginell, dass immer ein Kapitalismus dahintersteckt.“

„Und dämonische Kriegstreiber.“

„Ich wüsste gar nicht als welcher Politiker ich mich zuerst verkleiden sollte“, sagt die Freundin.

„Muss es denn unbedingt ein Mann sein?“

„Bei aller gutgemeinten Differenzierung: Männer sind statistisch schon hart verhaltens­auffälliger.“

„Dann geh doch gleich als Glied!“, sagt der Freund und verschränkt beleidigt die Arme.

„Nee“, sagt sie, „das ist echt zu trist, wenn, eher als Mitglied.“

„AFD.“

„Und ich geh dann als: in Teilen rechtsradikal!“

„Wie soll das gehen?“

„Eben!“

„Ich geh direkt als Wahlkampf.“

„Zwei kämpfende Groß­fische?“

„Gibt’s ja nicht mehr.“

„Alles Parteien-Kleinklein.“

„Nicht stabil in der Sache.“

„Kann sich mit dem nächsten gesellschaftlichen Schub aber auch wieder ändern.“

„Kranke Zeiten.“

„Wie gewesen so genesen.“

„Je nach Social-Media-­Pathologie.“

„Digitale Außenreize beim Nasepopeln sind die neue politische Bildung.“

„Und was ist mit Klimakatastrophen vor der Haustür?“

„Timelines und Algorithmen machen mehr Wind.“

„Ich würde als nicht notwendiger Cookie gehen.“

„Warum nicht gleich als notwendiger?“

„Stimmt, genauso gruselig.“

„Sind diese technischen Begriffe eigentlich Metaphern?“

„Wenn, dann poetisch unterirdisch.“

„Meint ihr, es wäre moralisch okay, als Nahostkonflikt zu gehen?“

„Ich glaub’, wie du es bei der Kostümierung auch drehst und wendest, am Ende findet’s keiner witzig.“

„Wahrscheinlich wirst du beschimpft, bespuckt und festgenommen.“

„Mindestens fotografiert.“

„An Halloween soll man doch aber temporär damit Spaß haben, was im Alltag eher Furcht einflößt, um die Sache punktuell mental zu zerstreuen.“

„Halloween ist doch bloß dafür da, dass Kinder in ­Unkultur und Aggression geschult ­werden.“

„Welche politische Ausrichtung?“

„Eher systemisch.“

Foto: Roberta Sant‘anna

Jasmin Ramadan ist Schriftstellerin in Hamburg. 2023 ist ihr Roman „Auf Wiedersehen“ bei Weissbooks erschienen. 2020 war sie für den Bachmann-Preis nominiert.In der taz verdichtet sie im Zwei-Wochen-Takt tatsächlich Erlebtes literarisch.

„Wenn du mir nichts gibst, mach ich dich fertig.“

„Ich geh als Kulturbetrieb!“

„Süßer oder saurer?“

„Geh doch als Kunstwerk!“

„Eines, das Unruhe stiftet.“

„Ich geh als Beuys‘ Butter.“

„Das war bloß Fett! Und hatte was mit Schmerz zu tun.“

„So wie alles.“

„Zuallererst sollte man die bösen Geister in sich selbst ­vertreiben.“

„Stimmt, habe da neulich im Podcast gehört, dass man sonst alles vermischt, das politische Geschehen und allen Schrecken damit, dass man noch immer höllewütend auf seine Eltern ist.“

„Ich gehe als Podcast!“

„Schwierig als Look.“

„Verkleiden ist eigentlich nur Stress.“

„Dann geh’als Authenti­zität.“