Verkehrswende in Berlin: Straßen aus Blech

Immer weniger Ber­li­ne­r*in­nen besitzen ein eigenes Auto. Kein Grund zur Freude, denn von Flächengerechtigkeit kann trotzdem keine Rede sein.

Gelebte Autokratie: Straßenszene in Tempelhof Foto: Dirk Sattler/imago

Berlin taz | In Mitte gibt es eine Hausgemeinschaft. Dort leben auf mehrere Häuser verteilt hundert Menschen, die sich gemeinsam einen Innenhof teilen. Nur zehn der hundert Be­woh­ne­r:in­nen haben ein Auto. Wie überall in Berlin ist der Platz begrenzt: Auf den Innenhof passen entweder die zehn Autos oder hundert Menschen. Heißt: Stellen alle, die ein Auto besitzen, dieses in den Innenhof, ist dort kein Platz mehr für die Be­woh­ne­r:in­nen des Hauses. Ist das gerecht? Nein.

Dasselbe Problem gibt es nicht nur in der Hausgemeinschaft in Mitte, sondern in ganz Berlin. Auch hier besitzt nur eine Minderheit – weniger als ein Drittel – ein Auto; zusammen nehmen die aber einen Großteil der Fläche in der Stadt ein – wodurch kaum Platz für die Ein­woh­ne­r:in­nen bleibt. Flächengerechtigkeit ist das Stichwort.

Immerhin: Nach Jahren des nahezu ungebremsten Wachstums bei den Zulassungszahlen von privat genutzten Autos scheint in diesem Bereich etwas Entspannung in Sicht. Wie aus einer am Dienstag veröffentlichten Antwort der Verkehrsverwaltung auf eine parlamentarische Anfrage hervorgeht, verzichten mehr Ber­li­ne­r:in­nen auf ihr eigenes Auto. Demnach ist die Zahl der auf private Nut­ze­r:in­nen zugelassenen Pkw seit 2021 um rund 20.000 auf zuletzt 1.079.000 Fahrzeuge zurückgegangen.

Die Grünen-Abgeordnete Antje Kapek, die die Daten erfragt hat, spricht von „phänomenalen Nachrichten für das Klima, die Lebensqualität und die Lärm- und Luftbelastung“. Die Zahlen zeigten, dass die Menschen „in großem Stil vom Auto umsteigen auf klima- und stadtverträgliche Mobilität“, so Kapek. Gleichzeitig sei in dem Zeitraum die Bevölkerung Berlins stark gewachsen, gerade die Zahl der Pkw pro Kopf gehe also zurück.

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Verkehrswende now?

Auch Roland Stimpel vom Fachverband Fußverkehr (Fuss) sieht die Entwicklung Berlins angesichts des Rückgangs der Privatzulassungen positiv. „Der Hauptgrund hierfür sind die immer knapper werdenden Parkplätze“, ist sich Stimpel sicher. Das mache das Autofahren in der Stadt zunehmend unattraktiv.

Die 2018 mit der Verabschiedung des Mobilitätsgesetzes eingeschlagene Richtung der Verkehrspolitik scheint also Wirkung zu zeigen. Maßnahmen wie gepollerte Radwege, Kiezblocks und flächendeckende Parkraumbewirtschaftung machen Fortbewegungsformen wie Fahrradfahren oder den öffentlichen Nahverkehr deutlich attraktiver. Besonders innerhalb des S-Bahn-Rings verliert das Auto an Reiz.

Ist das also die Verkehrswende, für die Mo­bi­li­täts­ak­ti­vis­t:in­nen seit Jahren streiten? Leider nein, denn es gibt einen kleinen Haken bei dem – realistisch betrachtet – doch eher kleinen Rückgang: Eine Kehrtwende bei der Masse der auf Berlins Straßen herumfahrenden oder häufiger: herumstehenden Pkw ist zugleich nicht in Sicht. So stieg die Zahl der insgesamt zugelassenen Pkw auf 1.232.000, 3.500 mehr als 2021. Hauptverantwortlich hierfür ist die Jahr für Jahr zunehmende Zahl gewerblich genutzter Pkw.

Solange die Nettoanzahl an Pkw steigt, ist die Vorherrschaft des Autos noch nicht gebrochen. Denn jedes zugelassene Auto – egal ob dienstlich oder privat – muss auch irgendwo stehen. Und meistens tut es das im öffentlichen Straßenraum. Im Gegensatz zur Ein­woh­ne­r:in­nen­zahl wächst die verfügbare Fläche in Berlin nicht. Im Gegenteil, durch Nachverdichtung wird es auch innerhalb des S-Bahn-Rings immer enger, die Flächenkonkurrenz wächst.

SUVs statt Spielstraßen

Auch der Platzbedarf pro Auto wird immer größer. Im vergangenen Jahr empfahl die Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen die Breite von neu zu planenden Parkplätzen von 2,50 Meter auf 2,65 Meter zu erhöhen. Aus einer im November vom Senat veröffentlichten Datenerhebung geht hervor, dass innerhalb des S-Bahn-Rings rund 2,9 Millionen Quadratmeter öffentlicher Raum durch parkende Fahrzeuge beansprucht wird. Das entspricht in etwa der Fläche des Tempelhofer Feldes.

Platz, der in vielerlei Hinsicht besser genutzt werden könnte, als tonnenweise Blech darauf abzustellen. Spielstraßen, Sitzmöglichkeiten, Hochbeete oder einfach eine sichere Fahrradspur. An Ideen mangelt es nicht, doch abseits von Modellprojekten bleibt der Maßstab für Flächengerechtigkeit die Zahl der zugelassenen Pkw.

Die Verkehrswende benötigt also noch einen deutlichen Einschlag, um sich als solche bezeichnen lassen zu können. Doch die Verkehrsverwaltung geht einen komplett anderen Weg. Mit der Entscheidung im August, die Planungen für einen Großteil der Radschnellverbindungen auf Eis zu legen, sinkt auch die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Zahl der Autos in Berlin tatsächlich reduzieren wird. Auch bleibt das An­woh­ne­r:in­nen­par­ken selbst nach der diskutierten Erhöhung mit 60 Euro pro Jahr spottbillig.

„Wir sehen die Verkehrswende durch die aktuelle Politik des Senats gefährdet“, sagt Karl Grünberg vom ADFC Berlin. Der Fahrradlobbyverein ruft mit einem breiten Bündnis am Sonntag zu einer Demo zur Rettung der Radschnellverbindungen auf.

Zurück zur Hausgemeinschaft in Mitte: Die Lösung war die Einführung eines Parkverbots für den Innenhof. Dadurch kann der Hof von allen genutzt werden: Mittlerweile stehen dort ein Pool, jede Menge gemütliche Sitzgelegenheiten, allerlei Beete und eine kleine Bar. Der Hof ist von einem Parkplatz zu einem lebenswerten Ort geworden.

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