Nächste Runde des zynischen Spiels

Einem US-Amerikaner drohen in Russland mehrere Jahre Haft. Seine Landsfrau wurde kürzlich zu 12 Jahren Straflager verurteilt

Ksenia Chawana (Karelina) am Donnerstag vor Gericht in Jekaterinburg Foto: Dmitry Chasovitin/reuters

Von Barbara Oertel

Für US-Präsident Joe Biden könnte das Treffen mit dem russisch-britischen Politiker und Journalisten Wladimir Kara-Mursa am Donnerstag mehr als eine Geste gewesen sein. „Ich habe Wladimir Kara-Mursa und seine Familie im Weißen Haus willkommen geheißen, um seine Rückkehr nach Amerika zu feiern. Wladimir war zweieinhalb Jahre zu Unrecht in Russland inhaftiert, weil er sich gegen den Krieg in der Ukraine ausgesprochen hat. Heute ist seine Familie wieder vereint“, postete Biden auf Facebook. Kara-Mursa war 2023 wegen Landesverrats zu 25 Jahren Straflager verurteilt und am 1. August 2024 im Rahmen des historischen Gefangenenaustauschs freigelassen worden.

Er könnte nicht der letzte „besondere“ Gast im Weißen Haus gewesen sein. Derzeit häufen sich die Fälle, in denen ausländische Staats­bür­ge­r*in­nen in Russland unter abstrusen Anschuldigungen in windigen Prozessen zu hohen Haftstrafen verurteilt werden. Am Donnerstag dieser Woche verurteilte ein Gericht in Jekaterinburg die 33-jährige Ballerina Ksenia Chawana (Karelina) wegen Landesverrats zu 12 Jahren Straflager. Ihr Vergehen: Sie hatte im Februar 2022 einer ukrainischen Stiftung eine Spende in Höhe von 51 Dollar überwiesen. Chawana besitzt die russische und US-amerikanische Staatsbürgerschaft.

Landesverrat ist neben „Ex­tre­mis­mus“ ein Straftatbestand, mit dem russische Oppositionelle und Kri­ti­ke­r*in­nen des Ukrai­ne-Kriegs häufig kaltgestellt werden. 2023 hatte sich die Zahl der Fälle wegen Landesverrats im Vergleich zum Vorjahr fast verdoppelt und über einen Zeitraum von 10 Jahren fast verzehnfacht.

Im Januar 2024 war Chawana wegen angeblichen Fluchens mit 14 Tagen Adminis­tra­tiv­haft belegt worden, daraus wurden anschließend zwei Monate. Während dieser Zeit mutierte der Vorwurf „geringfügiges Rowdytum“ zu Landesverrat.

Demselben Drehbuch folgt der Fall von Joseph Tater. Eine verbale Auseinandersetzung in einem Moskauer Hotel wegen fehlerhafter Dokumente endete für den US-Amerikaner auf einer Polizeiwache. Dort soll Tater eine Polizeibeamtin geschlagen haben. Zunächst wurde er zu einer 15-tägigen Adminis­tra­tiv­haft verurteilt. Am vergangenen Donnerstag gab ein Moskauer Bezirksgericht dem Antrag eines Ermittlers statt, Tater bis zum 14. Oktober in Untersuchungshaft zu nehmen. Jetzt geht es plötzlich um ein Strafverfahren wegen angeblicher Gewaltanwendung gegen einen Regierungsbeamten. Im Falle einer Verurteilung drohen Tater bis zu 5 Jahre Haft.

Das US-Außenministerium teilte am Mittwoch mit, Kenntnis von dem Fall Tater zu haben. Man arbeite daran, so viele Informationen wie möglich zu erhalten, sich über die konsularische Situation Klarheit zu verschaffen und zu prüfen, ob ein konsularischer Zugang möglich sei, sagte ein Sprecher.

Die beiden jüngsten Fälle sind nicht die einzigen. Seit über drei Jahren sitzt der US-amerikanische Geschichtslehrer Marc Fogel in einem russischen Straflager ein. Eine geringe Menge medizinischen Marihuanas, die bei seiner Einreise nach Russland im Koffer gefunden wurde, hatten für Fogel eine Verurteilung wegen Drogenschmuggels und 14 Jahre Haft zur Folge. Verurteilungen wegen Drogenbesitzes oder -handels werden in Russland häufig genutzt, um unbequemen Personen etwas anzuhängen. Drogen beziehungsweise ein angeblich schwunghafter Handel damit brachten dem US-Musiker Michael Travis Leake eine Verurteilung zu 13 Jahren Haft ein.

Es scheint, als wappne sich der Kreml für die nächste Runde seines zynischen Spiel, das da lautet: Gefangene als Geiseln nehmen, um sie dann – so erforderlich – gegen eigene Leute, die in westlichen Gefängnissen sitzen, auszutauschen. Im Falle des sogenannten Tiergartenmörders ist die Rechnung aufgegangen.