Mit Oma Marika im Demenz-Unterricht

Die Großmutter unserer Autorin hat Alzheimer. In einer Tagesstätte in Zyperns Hauptstadt Nikosia trainiert sie mit anderen Erkrankten spielerisch ihr Gedächtnis – und das Geschichtenerzählen

Aus Nikosia Anna Flörchinger (Text und Fotos)

Oma Marika will heute nicht ins Ithaki gehen. „Du bist jetzt da, ich gehe nur hin, wenn ich allein bin und Gesellschaft brauche“, beschwert sie sich auf Griechisch, während wir zusammen frühstücken. Wieder erkläre ich ihr, dass ich sie heute begleite, sie mich gar nicht allein im Dorf zurücklässt und ich einen Text über sie schreiben möchte. Wir essen typisch zyprisch: Brot mit Halloumi, Oliven und Tomaten. Während sie langsam kaut, schmiere ich ihr noch ein Pausenbrot. Früher hat meine Oma den Halloumi noch selbst mit einer Nachbarin im Dorf gemacht, hat alle paar Wochen Sauerteigbrot im Steinofen gebacken und beides eingefroren, bis wir aus Deutschland zu Besuch gekommen sind. Ich habe ausnahmslos jeden Sommer meiner Schulzeit zusammen mit meiner Schwester auf Zypern, im Dorf meiner Mutter verbracht. Als wir klein waren, war meine Großmutter wie eine zweite Mutter für uns: Sie hat uns Kochen und Bügeln beigebracht, unsere Socken gestopft und uns eingebläut, wir sollten uns niemals für unsere Periode schämen oder von einem Mann abhängig sein.

Seit fast zehn Jahren hat Marika Stylianou Alzheimer, heute ist sie 84 Jahre alt. Die Erkrankung kam zunächst schleichend, anfangs haben wir noch gewitzelt, wenn sie uns die gleiche Frage mehrfach stellte, und eine Zeitlang konnte sie mitlachen. In den ersten Jahren nach der Diagnose konnte sie ihren Alltag immer noch größtenteils allein bewältigen, aber irgendwann fiel auf: Sie kann nicht mehr kochen, weil sie den Gasherd anmacht, ihn vergisst und dann im Garten verschwindet; kann ihr Haus nicht selbst putzen, weil sie sich nicht mehr erinnert, was sie sich vor fünf Minuten vorgenommen hat.

Als sie während Corona 2021 eine Blutkrebs-Diagnose bekam und dann ein halbes Jahr Chemotherapien machte, wurde auch ihre Alzheimer­erkrankung schlimmer. Mittlerweile weiß sie nicht mehr, worüber wir in der vergangenen Minute gesprochen haben. Wenn wir im Sommer abreisen, vergisst sie am nächsten Tag, dass wir je dagewesen sind. Sie in diesem Zustand in Zypern zurückzulassen, ist besonders für meine Mutter belastend – aus der Ferne nicht mehr tun zu können, als anzurufen. Der Alzheimer hat meine Oma verwirrt: Seit Jahren weiß sie einfach nicht mehr wirklich, in welchem Jahr wir leben, welchen Wochentag und Monat wir gerade haben.

Heute ist Donnerstag, der 11. Juli 2024 – das steht groß auf einem Whiteboard neben dem Eingang des Ithaki-Zentrums, das wir nach einer vierzigminütigen Fahrt von unserem Dorf nach Nikosia erreichen. Das Ithaki hat meine Familie vor zwei Jahren entdeckt, es ist eine Tagesstätte für Menschen mit Demenzerkrankung. Es liegt in Pallouriotissa, einem zentralen Stadtteil von Nikosia, und ist ein unscheinbares, flaches Haus in einer kleinen Seitenstraße. Auf dem weißen Gebäude ist neben dem Eingang ein mittelgroßes Schild angebracht, auf dem mit Großbuchstaben auf Griechisch steht: „Tagesstätte – für die Unterstützung von Menschen mit Demenz“.

Das Ithaki ist eine philanthropische Organisation, es wird getragen von privaten Sponsoren und durch staatliche Zuschüsse unterstützt, die Besucher zahlen lediglich einen Solidaritätsbeitrag von 20 Euro im Jahr. Für die Aufnahme müssen die Teilnehmer vorher ein Demenzattest von einem Neurologen vorweisen und am ersten Tag einen Wissenstest ausfüllen. Je nach Ergebnis werden sie in die Gruppe A oder B eingeteilt – in der letzteren sind Menschen mit vorangeschrittener Demenz. Angepasst an die Gruppe kommen Logopäden, Ergotherapeuten und Musiktherapeuten und machen kleine Unterrichtseinheiten. Sie singen, tanzen, malen, machen Gedächtnis- und Gymnastikübungen mit den Teilnehmern.

An alles, was lange her ist, kann sich Marika Stylianou gut erinnern. Zum Beispiel an die Zeit der türkischen Invasion

Um 9.30 Uhr beginnt die erste Unterrichtsstunde, heute sind 16 Menschen mit Demenz gekommen, angemeldet haben sich im Ithaki etwa 30. Die wenigsten kommen täglich. Marika ist mit sechs anderen in der Gruppe B, eine Logopädin erklärt, dass ihr Testergebnis nicht eindeutig war, sie hätte sowohl in die erste als auch in die zweite Gruppe gehen können. Da es Menschen mit Demenz aber oft stressen würde, wenn man sie in Situationen bringe, die überfordern, hätten sie im Ithaki beschlossen, sie in die zweite Gruppe zu stecken. Somit könne sie weiterhin selbstbewusst antworten und würde nicht unnötigem Stress ausgesetzt.

Fünf Logopädie-Studentinnen aus Nikosia leiten die erste Stunde, zunächst sollen sich alle vorstellen: Name, früherer Beruf, Ehepartner, Kinder, Enkelkinder. Das sind oft Fakten, an die sich die meisten noch gut erinnern können – aber auch das funktioniert nicht bei allen aus der Gruppe B. In diesem Fall helfen die Studentinnen aus, die jeden Donnerstag im Rahmen eines Praktikums kommen. Die 29-jährige Anastasia erklärt aber: „Wir korrigieren die Besucher nicht, wenn sie uns eine Geschichte aus ihrem Leben erzählen, auch wenn es vorige Woche noch eine andere war. Wir lassen sie reden und begegnen ihnen dabei respektvoll.“ Marika ist in der Gruppe B aufgeweckt, sie freut sich, wenn sie etwas weiß und hat auf vieles eine Antwort. Der Alzheimer hat ihren Charakter kaum verändert, in meiner Erinnerung war sie schon früher sehr quirlig und fröhlich.

Stolz stellt sie sich vor: „Ich heiße Marika, komme aus dem wunderschönen Akaki und war mein Leben lang selbstständig! Wisst ihr …“, sie blickt in die Runde, hebt den Zeigefinger, guckt die anderen Teilnehmer nacheinander an – meine Oma war schon immer eine großartige Geschichten­erzählerin – und fährt fort: „… es ist das Beste, selbstständig zu sein, ich war immer mein eigener Chef: Du kannst aufstehen, wann du willst, kannst deinen Tag planen, wie du willst und niemand sagt dir was. Ich bin auf die Felder gegangen, wann ich wollte, bin zurückgekommen, wann ich wollte. Das war toll“, sie strahlt die anderen an, guckt dann verunsichert. „Was sollte ich noch erzählen? Ach ja, meine Kinder. Ich habe drei Kinder, eine Tochter ist nach Deutschland gegangen und dort geblieben. Meine Enkelin, die hier ist, wohnt auch in Deutschland. Ich habe insgesamt sieben Enkelkinder, sechs Mädchen und einen Jungen“, erzählt sie stolz. Die anderen aus der Gruppe B lächeln anerkennend und wünschen ihrer Familie ein langes Leben.

Danach stellen sich die anderen vor: Ein älterer Herr war Installateur, ein anderer 40 Jahre lang Psychiater. Eine Dame ist Binnenflüchtling, musste nach der türkischen Invasion im Sommer 1974 in den Süden der Insel flüchten. Meine Oma ist 1940 in Akaki geboren, das heißt, sie hat die letzten Jahre der britischen Kolonialherrschaft erlebt, hat mit vierzehn Jahren zusammen mit den zyprischen Freiheitskämpfern gegen die Engländer auf der Straße protestiert, so wie viele andere Griechen-Zyprioten. Sie war bei der zyprischen Unabhängigkeit 1959 dabei, erlebte den ersten Präsidenten der Republik Zyperns Makarios, von dem heute eine Statue in unserem Dorf steht. Ein Jahr später hat sie meinen Opa geheiratet und drei Kinder bekommen.

1974 – das wohl wichtigste Datum für einen jeden Zyprioten – ist Marika mit ihren Kindern während der türkischen Invasion in die Berge ­geflüchtet. Akaki, das Heimatdorf meiner Familie, ist 30 Kilometer von Nikosia entfernt und liegt im Landesinneren. Die Demarkationslinie, die ­Zypern seitdem teilt, verläuft durch Nikosia und zieht direkt an Akaki vorbei, womit die meisten Felder meiner Großeltern in der Pufferzone ­liegen. Eines der Nachbardörfer, an das meine Oma sich immer noch lebhaft erinnert und das sie seit 1974 nicht gesehen hat, liegt im annektierten Teil.

An diese großen, geschichtlichen Ereignisse erinnert sich Marika, wenn man fragt. Alles, was länger her ist, kann sie problemlos nacherzählen. Schon als ich klein war, hat sie mir von ihrer Flucht in das Troodos-Gebirge erzählt und wann immer wir heute nach Troodos fahren, erwähnt sie diese Erinnerung wieder und wieder. Mit einem alzheimerkranken Menschen zu sprechen, kann sehr vorhersehbar sein: Ich weiß, welche Geschichte sie mir gleich erzählen wird, welches Ende dieses Geschichte hat, und ich habe akzeptiert, dass meine Oma sich nie an neue Details aus ihrer Vergangenheit erinnern wird. Meistens ist das okay, aber manchmal habe ich ein schlechtes Gewissen, weil ich genervt von den immer gleichen Gesprächen bin.

Marika Stylianou, 84 Jahre alt, in der Musik­­stunde des Ithaki-Zentrums

Wie mit solchen Situationen umgehen? Die Logopädie-Studentin aus dem Ithaki-Zentrum Anastasia meint dazu: „Mit demenzkranken Menschen zu schimpfen, wie man es mit kleinen Kindern tun würde, bringt nichts. Einfach zuhören und nachfragen, wenn man merkt, die Person will erzählen.“ Und wenn es einfach zu viel wird? Dann solle man versuchen, das Gespräch im besten Fall an eine andere Person abzugeben, sagt Anastasia.

Meine Oma ist stolz auf ihr Leben, ihre harte Arbeit – jahrzehntelang ist sie täglich frühmorgens zu den Feldern gegangen, um dann auf Märkten ihre Produkte zu verkaufen, auch das erzählt sie oft. Mit dem Tod meines Großvaters vor neun Jahren und der fortgeschrittenen Demenz musste sie die Feldarbeit aufgeben. Seitdem liegen die Felder brach und wenn wir im Sommer kommen, müssen wir Wassermelonen, Bohnen und Gurken selbst kaufen, sehr zum Leidwesen meiner Großmutter. Nur die Olivenbäume sind übriggeblieben.

Marika vermisst ihre Selbstständigkeit, der Alzheimer hat sie ihr genommen, selbst wenn sie auch das manchmal vergisst. Meine Verwandten aus dem Dorf kümmern sich um sie, aber seit dem Tod ihres Mannes lebt sie allein. Wenn niemand bei ihr ist, drehen wir die Gasflasche aus, damit sie den Herd nicht benutzen kann. Erst kürzlich hat sie die Mikrowelle für eine halbe Stunde angemacht, was zu einer kleinen Explosion führte. Das hat mir meine Tante erzählt. Meine Oma erinnert sich nicht daran, je eine Mikrowelle gehabt zu haben.

Sie in ein Altersheim zu bringen, ist keine Option. Einerseits sind sie in Zypern recht teuer, andererseits möchte sie selbst in ihrem eigenen Zuhause bleiben und meine Familie respektiert diesen Wunsch. Alle sechs Monate überprüft ein Neurologe ihre Hirnleistung, sie nimmt täglich Tabletten gegen die Demenz und seit zwei Jahren hat sich ihre Erkrankung nicht merklich verschlechtert.

Sollte sich ihr Zustand verschlechtern – das heißt, könnte Marika nicht mehr selbstständig duschen, essen und sich um den Garten kümmern oder nicht mehr laufen – würde meine Familie die Option wählen, für die sich die meisten zyprischen Haushalte entscheiden: eine ausländische Hilfskraft. Die kommen zumeist aus Sri Lanka oder Indien auf die Insel und bleiben dann 24/7 bei den Hilfsbedürftigen. Optimal ist das nicht, denn in der Regel haben diese Menschen keine Ausbildung zur Pflegefachkraft und in den seltensten Fällen sprechen sie Griechisch – letztlich könnten sie sich also nur um körperliche Bedürfnisse kümmern. Auch meine Familie hatte es nach der Krebserkrankung meiner Oma mit einer Frau aus Sri Lanka versucht, doch sobald sie sich von den Chemotherapien erholt hatte, akzeptierte sie die fremde Hilfe nicht mehr. Weil sie oft vergisst, dass sie vergisst, und soweit es geht, eben selbst über ihr Leben bestimmen möchte. So lebt sie weiter allein.

Wie wird es sein, wenn sie unsere Namen vergisst? Wenn sie nicht mehr weiß,wer diese Menschen aus Deutschland sind?

Seit meine Tante und mein Onkel sie dreimal die Woche auf dem Weg zu ihrer eigenen Arbeit ins Ithaki bringen, hat sie zumindest vormittags Programm. Paria Nikolaou, die Leiterin der zwei Ithaki-Zentren in Nikosia und Limassol, erklärt, dass es bei der Tagesbetreuung auch um die Entlastung der Familien gehe. „Es ist oft schwer, eine gute Betreuung für Demenzkranke zu bekommen: Einerseits fehlt es Familien an ökonomischen Mitteln und Zeit, andererseits fühlen sich Menschen mit Demenz einsam“, sagt sie. „Wenn sie ins Ithaki kommen, bekommen sie Aufmerksamkeit und können sich mit den anderen unterhalten.“

Die Wände der Tagesstätte sind grün, orange, blau und gelb gestrichen, die Eingangshalle und die zwei Klassenzimmer wirken hell und freundlich, wenig erinnert an einen Ort der Pflege. Das sei bewusst so gehalten, erklärt Nikolaou, sie ist selbst studierte Psychologin. Das Konzept hätten sie von einem Demenzzentrum aus Athen übernommen, hier soll nichts an Altersheim oder Krankenhaus erinnern. „Wenn wir mit den Kunden“ – so nennt Nikolaou die Besucher – „Unterricht machen, vermeiden wir die Wörter ‚Demenz‘ und ‚Alzheimer‘ stets. Manche wissen, dass sie wegen ihrer Vergesslichkeit hier sind, aber wir wollen sie nicht stressen, indem wir sie daran erinnern. Unser Ziel ist, sie stabil zu halten. Ihre Demenz wird sich nicht verbessern und wir werden auch, anders als bei Kindern, keine Lernerfolge sehen“, sagt die 35-jährige Nikolaou.

Den längsten „Kunden“ hätte sie sechs Jahre lang im Ithaki-Zentrum in Limassol gehabt, bis er zu krank wurde. „Um das Ithaki besuchen zu können, muss eine Grundmobilität bestehen“, meint Nikolaou. „Wir sind noch nicht so weit, dass wir uns auch um Menschen kümmern können, die nicht mehr mobil sind. Und wenn sie gar nichts mehr verstehen, geht es sowieso nicht.“

Für meine Oma und die anderen geht der Unterricht weiter, nach der Vorstellungsrunde bekommen sie ein Arbeitsblatt mit einem Buchstabensalat. Mit einem Filzstift sollen sie Wörter wie Handy, Blatt, Glas und Aluminium umkreisen, Marika ist als Erste fertig. „Na, welche Note gibst du mir jetzt?“, fragt sie die Studentin Anastasia scherzend. „10 von 10 natürlich!“, bekommt sie als Antwort. Aber nicht alle Teilnehmer sind körperlich so fit wie meine Oma, einige können den Stift nicht allein halten, ein Herr kann sich kaum artikulieren und deutet nur auf die Wörter.

Buchstaben­salat am Vormittag: Marika soll Wörter wie Handy, Blatt, Glas und Aluminium umkreisen

Als nächste Übung steht eine Art „Stadt, Land, Fluss“ auf der Tagesordnung. Dem griechischen Alphabet nach sollen die Teilnehmer Wörter zu Name, Tier, Beruf, Sache nennen – während allen noch relativ schnell Namen einfallen, ist vor allem die Sache eine kognitive Herausforderung. Assoziationen funktionieren bei den meisten noch gut, sich aber auf eine konkrete Aufgabe zu konzentrieren, ist für alle schwer – auch für meine Oma. Zum Abschluss der ersten Stunde fragt die Logopädie-Studentin Christina: „Wer kann sich an ein Lied erinnern? Lasst uns singen.“ Zunächst bleibt es stumm, aber weil meine Oma Stille noch nie lange ertragen konnte, fängt sie an, ein wenig schief „Pera stous pera kampous“ („Drüben auf den Feldern“) zu singen – ein altes griechisches Volkslied. Damit zaubert sie ihrer Sitznachbarin ein Lächeln ins Gesicht, die nach einer Zeile langsam mit einstimmt. Gemeinsam singen sie den Refrain, an mehr können sich beide nicht erinnern.

Nach dieser ersten Stunde Gehirnjogging kommt eine Pause: Wer möchte, kriegt einen zyprischen Kaffee und Gebäck. Meine Oma lehnt ab, ich erinnere sie an ihr Halloumi-Brot, das ich ihr morgens in die Tasche gepackt habe. Zufrieden beißt sie in das Sandwich.

Schließlich gibt es nochmal eine Stunde Gedächtnistraining, auch hier fragt die junge Lehrerin als erstes: „Wer kann mir Datum und Wochentag nennen?“ Niemand antwortet, also schreibt sie es an die Tafel. „Wir haben halt nicht das gleiche Alter wie du, wir vergessen ab und zu“, scherzt meine Oma. Das sei nicht schlimm, versichert ihr die Logopädin, dafür sei sie schließlich da. Danach sollen die Teilnehmer ihr Synonyme zu den Verben und Nomen an der Tafel nennen.

Die ­Studentinnen lassen ihre „Kunden“ erzählen und korrigieren nicht, wenn mal was durch­ein­andergerät

Zum Abschluss der Vormittagsbetreuung haben alle Musikunterricht mit einer Musik­therapeutin. Es läuft eine alte CD von Giannis Poulopoulos – einem griechischen Sänger, der vor ein paar Jahren im Alter von 79 gestorben ist. Die meisten hier kennen die Lieder aus ihrer Jugend, ein älterer Herr stellt sich in die Mitte des Raums und tanzt langsam zu der Musik. Er schnipst dabei schwach mit den Fingern und versucht, die sich überkreuzenden Schritte von griechischen Volkstänzen nachzuahmen, während er sich immer wieder gemächlich um seine eigene Achse dreht. Er hat die Augen halb geschlossen und scheint nur so halb im Hier und Jetzt zu sein.

Den Vormittag mit einer Gruppe von Menschen mit Demenz zu verbringen, war, als hätte jemand die Zeit verlangsamt. Alles ist schleichender passiert, vieles hat sich wiederholt. Die teils leeren Blicke zu sehen, die kaum verstehen, hat mich unangenehm berührt; Angst vor dem eigenen Altern habe ich jedoch – zumindest noch – nicht. Aber das mag auch daran liegen, dass ich noch keine 30 bin.

Um 12.30 Uhr neigt sich der Schultag seinem Ende zu, die Teilnehmer werden nach und nach von ihren Verwandten abgeholt und auch meine Oma möchte gehen, sie ist müde geworden. Wir verabschieden uns, und Marika versichert allen, dass sie erst mal nicht mehr ins Ithaki kommen wird, weil sie jetzt Gesellschaft hat. Ich freue mich zu sehen, dass sie gerne ins Ithaki geht und mit anderen redet. Und ich freue mich, dass wir die nächsten drei Wochen zusammen verbringen werden.

Auch wenn ich vor dem Moment Angst habe, in dem sie unsere Namen vergessen, und nicht mehr wissen wird, wer die Fremden aus Deutschland sind.