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Meinungsfreiheit in der SlowakeiUngarn als Vorbild

Seit Tagen gehen Tausende in der Slowakei auf die Straße. Im Zentrum der Proteste: die rechte Kulturministerin Martina Šimkovičová.

Kulturministerin Martina Šimkovičová Foto: Vaclav Salek/CTK/imago

Wien taz | „Schande!“, skandieren die Menschen, die sich seit Tagen zu Tausenden in Bratislava zum Protest versammeln. Die Unzufriedenheit der Slowaken mit ihrer Regierung ist groß, adressiert ist diesmal aber vor allem eine: Kulturministerin Martina Šimkovičová.

Die langjährige TV-Moderatorin ist erst ein knappes Jahr im Amt, doch sticht sie aus der illiberalen und europakritischen Regierungskoalition unter Premier Robert Fico besonders unrühmlich heraus. Kurz nach ihrem Amtseintritt ließ Šimkovičová jene Gelder einfrieren, die zur Bekämpfung von Desinformation vorgesehen waren. Sie spricht von „Genderwahn“, behauptet, dass LGBT-Rechte zur „Auslöschung der weißen Rasse“ führten, und will keine staatlichen Förderungen mehr für entsprechende Projekte.

Die Zusammenarbeit mit russischen Kulturinstitutionen, die wegen des Ukraine­kriegs eingestellt worden war, hat die 52-jährige Ministerin hingegen prompt wieder aufgenommen. Das passt ins moskaufreundliche Bild, das die Regierung abgibt; wenn sie etwa einen Stopp der Hilfen an die Ukraine fordert.

Seit ihrem Amtsantritt im Oktober 2023 hat Kulturministerin Šimkovičová die Leitung mehrerer Kulturhäuser ausgewechselt. Die aktuellen Proteste entzündeten sich nun an der Abberufung der Spitze der beiden wohl renommiertesten slowakischen Kulturinstitutionen. Binnen zwei Tagen wurden Matej Drlička, Generaldirektor des Nationaltheaters – zu dem neben dem Schauspielhaus auch die Sparten Oper und Ballett zählen –, und Alexandra Kusá, Direktorin der Nationalgalerie, handstreichartig entlassen. Im Falle Drličkas konnte die Entlassung offenbar nicht warten, bis er aus dem Krankenstand zurück war; er musste das Schrei­ben zu Hause im Bademantel entgegennehmen.

Erinnerungen an Zensur während des Sozialismus

In slowakischen Medien heißt es, dass bald auch der derzeit im Urlaub befindliche Direktor des Slowakischen Nationalmuseums gehen soll. Einen Grund für diese offenbar so dringenden Entlassungen nannte die Ministerin bisher nicht. Nicht nur unter Kulturschaffenden weckt das Erinnerungen an die staatliche Zensur während des Sozialismus.

Sie fürchten Einschnitte der Meinungsfreiheit, die sich auch im Medienbereich bereits abzeichnen: Die Regierung ließ kürzlich den öffentlich-rechtlichen Rundfunk formal schließen und neugründen. Ziel ist ein verengtes, einheitliches, jedenfalls regierungstreues Programm. Vorbild sind hier Polen, dessen frühere PiS-Regierung ähnlich mit dem Sender TVP verfuhr, sowie natürlich Victor Orbáns Ungarn, dem Fico überhaupt nachzueifern scheint.

Vorerst will sich Šimkovičová von den Protesten offenbar nicht aus der Ruhe bringen lassen. Sie ist Gegenwind gewohnt, wurde vor Jahren von ihrem damaligen Arbeitgeber, dem Sender Markiza, gefeuert, als sie hasserfüllte Kommentare über Geflüchtete postete. Damit begann jedoch ihr Aufstieg in rechten Kreisen. 2016 kam sie für die rechtspopulistische Familienpartei Sme rodina erstmals ins Parlament. 2020 lief sie für eine rechtsextreme Liste Hlas Ľudu, die aber den Einzug verfehlte. Die rechtsextreme SNS, für die sie 2023 antrat, machte sie schließlich zur Ministerin – der vorläufige Höhepunkt ihrer Karriere.

Klar ist: Mit Martina Šimkovičová steht die liberale Demokratie in der Slowakei vor einem bisher nicht gekannten Härtetest. Auch infolge des Attentats auf Fico im Mai könnte die Regierung versucht sein, härter gegen politische Gegner und kritische Stimmen vorzugehen. Opposition und Zivilgesellschaft wissen, was auf dem Spiel steht. Weitere Proteste sind bereits angekündigt.

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18 Kommentare

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  • Ungarn, Slowakei und Georgien sind das Muster, nachdem die Kreml-Strategen die Rest-Ukraine umbauen wollen: von innen heraus alle Kräfte der Selbstbestimmung und Selbstentfaltung zum Schweigen bringen.

  • Eine weitere Zusammenarbeit mit russischen Kulturinstitutionen soll jetzt also schon ein Zeichen für eine "illiberale" und "rechte" Kulturpolitik sein? Dabei hat doch selbst Grünen-Politikerin Claudia Roth vor einem Boykott russischer Kultur gewarnt, weil dies vor allem die kritischen Stimmen gegen Putin treffen würde.

    www.deutschlandfun...er-kultur-104.html

    Andere Maßnahmen der slowakischen Ministerin mag man ja durchaus zu Recht für kritikwürdig halten und die Putin-freundliche Haltung der slowakischen Regierung im Allgemeinen ist auch kein Ruhmesblatt. Trotzdem ist ein Boykott alles Russischen ebenso ein Irrweg und ganz sicher kein Zeichen einer "liberalen" Haltung.

    • @Karmesinrot:

      "...weil dies vor allem die kritischen Stimmen gegen Putin treffen würde."

      Die kritischen Stimmen gegen Putin will Frau Šimkovičová wahrscheinlich nicht fördern 😉

      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        Man kann das unterschiedlich bewerten. Es ging mir aber auch eher darum, dass es nicht in die Liste ihrer Untaten eingereiht werden sollte, sondern ein separater Aspekt ist.

        • @Karmesinrot:

          "Man kann das unterschiedlich bewerten."

          Schaut man sich "die Liste ihrer Untaten" an, fällt die Bewertung nicht schwer.

          PS: Ich bin auch grundsätzlich gegen die pauschale Verdammung einer Kultur.

    • @Karmesinrot:

      Es geht ja auch um den Kontext. Gleichzeitig Rundfunk und Medien umbauen und pro russische und anti ukrainische Narrative übernehmen.

    • @Karmesinrot:

      Die Worte "illiberal" und "rechts" kommen in dem expliziten Absatz über die Zusammenarbeit mit russischen Kulturinstitutionen nicht vor.

      Im Rest des Artikels gibt es dafür genug andere Beispiele, die die Verwendung dieser Begriffe nahelegen.

    • @Karmesinrot:

      Ein generelles Boykott russischer Kultur sollte natürlich nicht angestrebt werden, da haben Sie Recht. Dann würde nur wieder alles über denselben Kamm geschoren, wie es leider zu oft getan wird.

      Das eigentliche Problem ist eher der Wandel des Kulturbereiches unter dieser Ministerin und die Einflüsse der russischen Regierung auf ihr Handeln.



      Zensur, radikaler Umbau von öffentlich-rechtlichen Strukturen zur absoluten Staatsverherrlichung und Unterdrückung aller unliebsamen Gegenstimmen und kritischer Meinungen können nicht der richtige Weg sein.

      • @Draco:

        Institutionen ungleich Kultur. Mit Kulturinstitutionen sind dagegen aber oft indirekt staatliche oder staatlich geförderte Stellen gemeint, ich denke das ist ihnen auch klar und sie wollen lediglich stänkern.

        • @wirklich?:

          Ich habe keinesfalls vor zu stänkern, mir ist der Unterschied bewusst. Vielleicht habe ich nur die falsche Wortwahl getroffen, das tut mir leid.



          Ich wollte nur die Aufmerksamkeit auf das eigentliche Problem lenken und das ist hier meiner Meinung nach nicht das Boykott russischer Kultur, sondern das Ausnutzen einer politischen Stellung zur Umsetzung einer rechtsgerichteten Agenda.

    • @Karmesinrot:

      Sie sollten vielleicht auch das lesen, was in dem Absatz davor steht.

      • @Ewu:

        Das habe ich, aber das betrifft nicht die Zusammenarbeit mit russischen Kulturinstitutionen.

        • @Karmesinrot:

          fällt ihnen noch eine russische Institution ein die nicht linientreu ist; deren frei denkender Kulturschaffender Direktor/in nicht zufällig aus dem Fenster viel?

          • @Ramaz:

            Kennen Sie sich denn so gut mit der russischen Kulturszene aus, dass Sie das zu beurteilen können glauben? Und finden Sie nicht, dass das nicht auch unfair ist gegenüber den Kulturschaffenden, die im Land geblieben sind und ihre Distanz zum Regime irgendwie noch so vorsichtig ausdrücken wollen, dass sie nicht gleich im Gefängnis landen (oder aus dem Fenster stürzen)?

            Und nach Ihrer Logik sollten wir dann wohl auch sofort alle iranischen Künstler, die im Iran leben und arbeiten, komplett von unseren Kulturevents ausschließen?

        • @Karmesinrot:

          Sie sollten das nochmal lesen. Vielleicht verstehen Sie dann, daß liberale und einer Demokratie würdige Dinge gegen sogenannte "russische Kulturinstitutionen" ausgetauscht wurden. Vermutlich finden Sie das gut?

          • @Ewu:

            Mir scheint, Ihnen ist selber nicht ganz klar, was in dem betreffenden Absatz steht. Šimkovičovás Kampf gegen "Genderwahn" und LGBT-Rechte sind die eigenen destruktiven Ideen dieser Frau und keine Diktate aus Moskau. Manche mag das vielleicht überraschen, aber LGBT-Feindlichkeit gibt es nicht nur in Russland.

  • Frauen sind nicht die besseren Menschen.

    • @D. MEIN:

      Behauptet das jemand? Das scheint mir doch eher so 80er Jahrefeminismus, bzw. der absichtlich missverstandene überzeichnete Feminismus den due Rechten an die Wand malen zu sein. Diesen Feminismus trifft man auch gerne in Filmen, bei Frauen die gerade von den Männern enttäuscht sind. Echter Feminismus ist dies meines Erachtens nicht.