proteste in serbien
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Lithium setzt Serbien unter Spannung

Zehntausende demonstrieren in Belgrad gegen den Lithiumabbau im Westen Serbiens und den beteiligten britisch-australischen Bergbaukonzern. Präsident Aleksandar Vučić hat das Bergwerk zur Chefsache erklärt – auch Deutschland hat Interesse an dem Projekt

Menschenstrom unter Strom: Demonstrierende in Belgrad schicken am Samstag eine klare Botschaft an den britisch-­australischen Konzern Rio Tinto Foto: Djordje Kojadinovic/ap

Aus Belgrad Andrej Ivanji

Nichts macht die Bürger Serbiens derzeit so wütend wie der geplante Lithiumabbau. Mehr als 40.000 Menschen protestierten an diesem Samstag im Zentrum Belgrads. Mit dem Slogan „Hier wirst du nicht graben!“ zeigten sie ihren Unmut über den geplanten Abbau von Lithium im Jadar-Tal in Westserbien.

Bürger trugen Transparente auf denen „Erde, Luft, Wasser – Freiheit“ geschrieben stand und „Es wird hier kein Bergwerk geben“. Mit „Rio Tinto raus aus Serbien“ richtete sich der Protest auch gegen den britisch-aus­tralischen Bergbaukonzern, der bei Umweltschützern weltweit einen schlechten Ruf hat. Junge und ältere Menschen, Studenten, Beamte, Bauern – sie alle vereint die Sorge, dass der Lithium­abbau zu einer Umweltkatastrophe führen wird.

„Ich bin hier wegen meinen Kindern und Enkelkindern. Wir dürfen es nicht zulassen, das wir unseren Nachfahren ein vergiftetes Land hinterlassen“, sagte ein älterer Belgrader bei der Protestveranstaltung. Ähnliches hörte man auch von anderen Demonstranten. Die Angst ist ehrlich – und sie ist größer als die Ehrfurcht vor dem mächtigen Präsidenten Aleksandar Vučić und seinem Staatsapparat. „Sie wollen aus Serbien eine schmutzige Bergbaukolonie machen“, rief die bekannte Schauspielerin und Umweltaktivistin Svetlana Bojković entrüstet. Die Proteste dauern seit Wochen an und finden in Dutzenden Städten in ganz Serbien statt. Die Anzahl und die Entschlossenheit der sonst eher zurückhaltenden Bürger in der Provinz, überraschte den Autokraten Vučić.

Die Proteste laufen parteiübergreifend. Vučić’eigene Wählerschaft folgte zum Teil dem Aufruf des Bundes ökologischer Organisationen Serbiens. Allerdings bestand die Organisation darauf, dass die Demos sich nicht gegen das Regime richten, sondern gegen das Vorhaben, Serbien zu „vergiften“.

Doch aus der Sicht von Vučić gibt es dabei keine Trennlinie. Er hat das „Projekt Jadar“ zur Chefsache gemacht und sein ganzes politisches Kapital auf diese Karte gesetzt. Er verspricht den Serben ein Lithium-bedingtes Wirtschaftswunder, Batterie- und Elektroautofabriken, einen deutschen Lebensstandard – wenn das Lithiumbergwerk 2027 mit der Arbeit beginnen kann.

Der Besuch von Bundeskanzler Olaf Scholz in Belgrad unterstützte den Kurs von Vučić. Hilfe kam auch vom Vizepräsidenten der EU-Kommission, Maroš Šefčovič, der ebenfalls in die serbische Hauptstadt reiste. Er unterzeichnete mit Vertretern Serbiens ein Abkommen, das eine umweltverträgliche Förderung des Leichtmetalls im Jadar-Tal garantieren soll. Das Ganze entspricht einer Art EU-Partnerschaft mit Serbien zum Abbau des für Elektroautos so wichtigen Leichtmetalls. Mercedes und andere Autohersteller zeigen bereits großes Interesse für serbisches Lithium.

„Sie wollen Serbien zur Bergbaukolonie machen“

Umweltaktivistin

Die Polizei stellte sich am Samstag den Demonstranten zunächst nicht in den Weg. Bis in die frühen Morgenstunden blockierten die Menschen die Autobahn und zwei Eisenbahnstationen. Erst als es deutlich weniger wurden, verjagten Sondereinheiten die Protestierenden von den Schienen. Einige wurden verhaftet. Ihnen könnte gar eine Klage wegen „versuchtem Staatsstreich“ drohen und damit jahrelange Haftstrafen.

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