„Die AfD wäre Horst Seehofer auf Speed“

Arne Semsrott vom Projekt Frag den Staat hat eine Anleitung für den Widerstand geschrieben, falls die AfD an die Macht kommen sollte. Ein Gespräch über Preppen von links und seine Hoffnung in die Beamtenschaft

Im ländlichen Osten gibt es viele Initiativen für Offenheit und Vielfalt. Dazu gehören auch Demos gegen AfD-Wahlveranstaltungen, wie hier in Quirla am 7. August Foto: Bodo Schackow/dpa

Interview: Gareth Joswig

taz: Herr Semsrott, CDU und Bundesregierung haben beschlossen, das Verfassungsgericht gegen einen autoritären Staatsumbau abzusichern. Sie haben gerade eine Anleitung zum Widerstand geschrieben für den Fall der Machtübernahme durch die AfD. Sind die geplanten Verfassungsänderungen ein guter Schritt?

Arne Semsrott: Man gewinnt Zeit im Falle einer Machtübernahme. Und um den Machtzuwachs der AfD zu verlangsamen, ist jeder Schritt wichtig. Aber es ist nicht die Lösung. Im Moment sind rechtliche Abwehrmechanismen zu sehr im Fokus. Man kann aber demokratische Institutionen langfristig nicht gegen eine antidemokratische Mehrheit verteidigen. Es ist keine Lösung, nur auf Institutionen zu vertrauen, im Gegenteil: Sie müssen getragen werden von einer kämpferischen Zivilgesellschaft und demokratischen Politik.

taz: Derzeit gibt es diese antidemokratische Mehrheit nicht. Warum gehen Sie in Ihrem Buch trotzdem wie selbstverständlich davon aus, dass die AfD früher oder später an die Macht kommt?

Semsrott: Ich gehe fest davon aus, dass es früher oder später zu einer AfD-Beteiligung in einem Bundesland kommen wird. Wenn noch nicht jetzt bei den Landtagswahlen im Osten, dann womöglich in zwei Jahren in Sachsen-Anhalt, wo CDU-Mitglieder sich bereits für eine Zusammenarbeit mit der AfD ausgesprochen haben. Ich hoffe natürlich, dass ich mich irre. Aber man sollte sich für den Ernstfall rüsten.

taz: Was macht die AfD, wenn sie an die Macht kommt?

Semsrott: Wenn Leute aus dem AfD-Umfeld Wahlkämpfer anderer Parteien angreifen, hat das schon jetzt einen Hauch von SA. Aber die Demokratie würde nach einer Machtübernahme nicht mit einem Knall abgeschafft. Es gäbe viele kleine Schritte, die in der Gesamtmenge das Leben für viele Menschen zur Hölle machen würden.

taz: Woran machen Sie das fest?

Semsrott: Es gibt aktuelle Beispiele, die zeigen, was droht: in Ungarn, Polen und Österreich etwa. Aber auch Deutschland hat jede Menge rechtspopulistischer Vorbilder aus den vergangenen Jahren: Die AfD wäre gewissermaßen Horst Seehofer auf Speed. Schon der hat sich über 69 Abschiebungen an seinem 69. Geburtstag gefreut. So etwas könnte ein AfD-Innenminister auch machen – und zwar noch doppelt, drei- oder zehnmal so viel.

taz: Wenn man Ihr Buch liest, bekommt man stellenweise den Eindruck, Sie setzen für den Ernstfall viel Vertrauen in die Beamtenschaft. Aus der historischen Erfahrung in Deutschland lässt sich das nicht unbedingt ableiten. Etwas zugespitzt: Sind Beamte wirklich ein Bollwerk gegen Faschismus?

Semsrott: Wenn das so rüberkommt, habe ich vielleicht nicht klar genug formuliert. Ich habe durch meine Arbeit mit dem Informationsfreiheitsportal Frag den Staat sehr viel Erfahrung im Umgang mit Beamten. Die Beamtenschaft ist überaus heterogen, und es sind ja immerhin fünf Millionen Leute, die beim Staat arbeiten. Viele davon fragen sich, was sie tun könnten und wie sie Widerstand leisten könnten, wenn ihr Chef aus der AfD kommt. Natürlich setze ich nicht meine alleinige Hoffnung in Beamte – aber ich habe die Hoffnung auch nicht aufgegeben.

taz: Wie funktioniert Gegenwehr für Menschen mit Amtseid, die nicht demonstrieren dürfen?

Semsrott: Beamte müssen zwar Anweisungen ausführen, aber es gibt auch die sogenannte Remonstrationspflicht: Rechts- und verfassungswidrige Weisungen dürfen Beamte gar nicht befolgen. Etwa wenn es darum ginge, rechtswidrige Abschiebungen durchzuführen oder diskriminierende Personenkontrollen ohne Anlass durchzuführen. Dann müssten Beamte sagen: „Nein, ich bin an die Verfassung gebunden, ich darf das nicht machen.“

taz: Was könnten Beamte noch tun?

Semsrott: Eine weitere Möglichkeit für Widerstand ist das Whistleblowing, also intern oder auch über externe Kanäle wie Medien auf Missstände aufmerksam zu machen. Und natürlich hilft es, sich mit Kol­le­g*in­nen zu organisieren, wenn ihnen das Verhalten einer Behördenspitze nicht gefällt. Beamte dürfen zwar nicht streiken, aber es gibt auch subtilere Varianten, wie Dienst nach Vorschrift oder den Bummelstreik: erst mal sehr sorgfältig alle Zuständigkeiten zu prüfen und so Prozesse zum Erliegen zu bringen. Und auch wer krankgeschrieben ist, kann keine problematischen Weisungen ausführen.

taz: Seit Anfang des Jahres hat vor allem eine breite Protestwelle gegen Rechtsextremismus und für Demokratie mobilgemacht. Welche Rolle kommt der Zivilgesellschaft beim Widerstand zu?

Semsrott: Es hängt ganz viel an der Zivilgesellschaft. Ich finde sehr aufschlussreich, dass das die größten Demokratieproteste in der BRD jemals waren, aber politisch keine konkrete Maßnahme daraus wurde. Weder ist das Demokratiefördergesetz beschlossen noch ein AfD-Verbotsverfahren. Stattdessen gibt es leere Versprechen, und der Kanzler winkt einer vorbeiziehenden Demo zu. Nach Bauernprotesten wurden Pläne zur Streichung von Subventionen für Landwirte zum Teil zurückgenommen, Pegida hat zu Asylrechtsverschärfungen geführt – das war ein Bruchteil der Menschen, die Anfang dieses Jahres auf der Straße waren. Die Demokratiedemos haben in der Bundespolitik zu nichts außer Debatten geführt.

taz: Was folgt daraus für den Widerstand?

Semsrott: Man darf es nicht beim Fordern lassen, wir müssen jetzt loslegen: Gerade im ländlichen Osten gibt es viele Initiativen, die Offenheit und Vielfalt herstellen wollen. Es steht an uns allen, wie gut diese unterstützt werden. Auch das ist Präventionsarbeit gegen mögliche noch rechtere Regierungen.

taz: Wer müsste sich im Ernstfall noch gegen eine AfD-Regierung stellen?

Semsrott: Die Gewerkschaften. Sie sollten sich politische Streiks wieder zu eigen machen und sich anschauen, wie man etwa einen Generalstreik organisiert. Auch so etwas kann die Machtübernahme der AfD behindern. Und an der Basis der Gewerkschaften gibt es großen Druck, dass man kämpferischer auftreten solle.

taz: Allerdings gibt es auch viele Arbeiter, die AfD wählen.

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Arne Semsrott

Der Journalist und Aktivist leitet das Projekt Frag den Staat, das für Informationsfreiheit kämpft. Er sitzt zudem im Vorstand von Lobby­control.

Semsrott: Ja, und deswegen müssen Gewerkschaften auch intern schauen, wie man damit umgeht: Die Gewerkschaft der Polizei etwa hat einen Unvereinbarkeitsbeschluss zur AfD. Das ist genau der richtige Weg, um zu zeigen: Wer AfD wählt, ist arbeitnehmerfeindlich. Und es ist auch ein starkes Signal der Solidarität an Arbeiter, die im Falle der Machtübernahme abgeschoben würden. Die Gewerkschaften müssen sagen: Wir wollen keine AfD-Menschenfeinde integrieren. Das wäre auch Werbung für mehr linke Mitglieder.

taz: Wie könnte sich die Justiz widersetzen?

Semsrott: Der Vorteil ist, dass dieser Bereich sehr viel träger ist als andere Institutionen. Für die Digitalisierung mag das ein Ärgernis sein, aber es bedeutet auch, dass die AfD an der Macht nicht so einfach und schnell wie in Polen und Ungarn Personal austauschen könnte, um über die Richterwahl Einfluss zu nehmen. Dadurch hätte die Justiz mehr Zeit, um Widerstand zu leisten.

taz: Allerdings gibt es auch viele rechte Richter, die einen Umbau befördern würden.

Semsrott: Ja, auch hier gilt: Wenn es 20 bis 30 Prozent Zustimmung zur AfD gibt, haben wir das in der Justiz auch. Gegen rechte Richter würde mehr Transparenz helfen. Es ist ein Missstand, dass Gerichtsentscheidungen, obwohl „im Namen des Volkes“, noch immer nicht veröffentlicht werden, sondern nur 0,9 Prozent aller Urteile.

taz: Zuletzt haben immer wieder Wirtschaftsvertreter betont, wie schädlich eine starke AfD ist. Wie können Unternehmer gegen den Autoritarismus helfen?

Semsrott: Mit rein linker Dogmatik würde man sagen: Wir müssen an die Sozialpolitik ran und den Kapitalismus abschaffen; und das stimmt auch. Aber solange der noch da ist, bleibt es wichtig und relevant, wie sich Firmen positionieren. Wirt­schafts­ver­tre­te­r*in­nen genießen im Dorf ein hohes Ansehen und können so Signale senden. Sie können sich mit Betriebsvereinbarungen wirksam positionieren, in denen sie festlegen: Unsere Firma steht für Vielfalt und Demokratie, und gewisse Unvereinbarkeiten regeln wie rassistische Äußerungen, bestimmte rechtsextreme Kleidermarken und Symbole. Dann hat man auch eine Handhabe gegen rechte Agitation im Betrieb.

taz: Faktisch dürfte das aber auch hier oft anders laufen. Der AfD-Chef Tino Chrupalla selbst ist Malermeister aus Görlitz.

„Wir müssen uns verbinden und füreinander da sein“

Semsrott: Ich glaube auch, dass es da draußen viele Chrupallas gibt. Bei allem, was ich sage, muss man natürlich anerkennen, dass der Trend andersherum geht. Es gibt nicht die drei Schritte, die man nur machen muss, und dann ist die Demokratie gerettet. Es sieht ziemlich bitter aus gerade. Aber es hilft nicht, sich immer nur ohnmächtig die Apokalypse vor Augen zu halten. Man muss auch an die Postapokalpyse denken. Es gilt, nicht in Schockstarre zu verfallen, sondern zu einer Handlungsfähigkeit zu kommen. Mein Buch ist kein optimistischer Appell, aber es ist dennoch wichtig, in eine Verbindung zueinander zu kommen, um zu sehen, wie viele wir sind.

taz: Ihre letzten zwei Kapitel des Buches heißen „Prepping for Future“ und „Widerstand beginnt jetzt“. Wie Preppen von rechts aussieht, weiß man: Waffen und Lebensmittel horten, Leichensäcke und Kriegstechnik vorhalten. Wie geht denn Preppen von links?

Semsrott: Man sollte lokale Netzwerke bilden, die sich selbst versorgen können. In größeren Gruppen sollten Menschen kollektiv mit verschiedenen nützlichen Fähigkeiten für sich da sein. Dabei geht es mir nicht um das Horten von Klopapier und Medikamenten, sondern um Liebe und Verbindungen. Gerade die gesellschaftliche Linke hat eine Historie, solche Räume zu schaffen: autonome und kulturelle Zentren sind Orte von „Prepping for Future“, und die Nachbarschaftshilfe ist es auch. Es braucht Netzwerke für gemeinsame Bedürfnisse.

taz: Was heißt das mit Blick auf die Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im September, wo die AfD stärkste Kraft werden könnte?

Semsrott: Bei mir fängt es klein an: Ich beginne damit, mir zur überlegen, wen ich anrufe, wenn die AfD ein katastrophal hohes Ergebnis hat, um zu sagen: „Hey, ich bin da.“ Wir können nicht alleine die Demokratie retten. Wir müssen uns verbinden und füreinander da sein. Da kann man sich die Form aussuchen: gemeinsam auf die Straße gehen, stickern im eigenen Kiez, an Organisationen spenden. Von meinem Buch geht pro verkauftem Exemplar 1 Euro an das Netzwerk Polylux, die großartige Arbeit machen, aber man kann auch direkt bei Initiativen mithelfen – man muss nicht das Rad neu erfinden.