Identitätspolitik und Kamala Harris: Divers, aber ziemlich elitär
Ist Kamala Harris ein Vorbild für Frauen mit Migrationsgeschichte? Eher nicht. Und: Der Bundespräsident hält Reden, die niemals weh tun.
In Anchorage, Alaska, lebt eine kleine Exilgemeinde von Kaliforniern, und mein alter Unifreund Greg ist mittendrin. In seiner hölzernen Mietapartmentanlage traf ich vor ein paar Jahren: ein lesbisches Paar in Holzfällerhemden, das bei einer Ölförderfirma arbeitete, einen blassen jungen Mann, der jeden Abend von Nietzsche redete, und einen anderen, der den ganzen Tag angelte. Und meinen Freund. Sie alle stammen aus dem Golden State.
Abenteuerlust trieb sie an, nach Alaska zu gehen – aber sie sind auch geflohen vor dem Performancedruck, dem Happinesszwang und dem Materialismus Kaliforniens. Und natürlich vor den hohen Mieten in den Metropolen. So etwa in der einst liebenswerten, schrägen Stadt San Francisco, wo 25-jährige Techmillionäre des Silicon Valley und ihre Angestellten seit Jahren die charmanten alten Häuser in der Stadt für ihre private Lifestylekulisse aufkaufen.
Klar ist man unheimlich divers in Kalifornien; neben New York City gibt es wohl keine andere Region in den USA, wo ethnische Herkunft und Identität so egal sind. Aber der Leistungsdruck schwebt über allen. An die kleine Exilgemeinde musste ich denken, als ich vom partiellen Hype rund um Kamala Harris las.
Die Bald-Präsidentschaftskandidatin der Demokraten steht wohl wie keine zweite PolitikerIn für die Bay Area rings um San Francisco, aus der sie stammt. Und ja, die Gegend wird von ziemlich vielen Leuten in den USA, keineswegs nur von Trump-Anhängern, regelrecht gehasst.
Sie stößt der überhebliche Habitus der „Eliten“ ab, der sich aus der Überzeugung speist, dass man der „kreativen Klasse“, wie der Ökonom Richard Florida das mal nannte, angehört: Wir machen Innovation (Google, Microsoft, Uber), die anderen 95 Prozent im Land erledigen die Scheißjobs.
Die Fixierung von Kamala Harris auf Identitätspolitik und ihre Biografie könnten sich als Bumerang erweisen: Die hispanische Verkäuferin, die in New Mexico auf Mindestlohnbasis bei der Fast-Food-Kette Wendy’s arbeitet, dürfte sich eher nicht mit Kamala Harris identifizieren.
Das stolze Label „Kind von MigrantInnen“ trägt hier nicht: Harris’ Eltern kamen per Akademikervisum in die USA und nicht als papierlose Erntehelfer. Ob Kamala Harris, die jenseits von Frauen- und Minderheitenpolitik seltsam konturlos ist, beim Thema soziale Ungleichheit wird nachlegen können?
Katzenfrauen – ein Tiefschlag
Dem Vize-Kandidaten von Donald Trump, J. D. Vance, ist diese Woche ein altes Zitat – das mit den „kinderlosen Katzenfrauen“ – auf die Füße gefallen. Ein frauenverachtender Tiefschlag, zweifellos. Ich fürchte, so richtig wird es ihm nicht schaden; in den USA kann es hinter der Small-Talk-Fassade rhetorisch ziemlich rustikal zugehen, auch unter Linksliberalen.
Frank-Walter Steinmeier ist rhetorisch gesehen genau das Gegenteil von J. D. Vance, im Guten wie im Schlechten: fair und vernünftig, aber eben auch erwartbar, allzu routiniert und widerspruchslos. Zum 80. Jahrestag des Warschauer Aufstands bat Steinmeier „um Vergebung“ für die deutschen Verbrechen – mal wieder.
Ich wette, im Rechner von Steinmeiers Redenschreiber gibt es eine Datei namens „Vergebungsreden_Basisversion“, wo nur noch die Zielregion oder die Opfergruppe eingegeben werden muss: Warschau, Auschwitz, Oradour, Babyn Jar, Homosexuelle, Sinti und Roma. Um Vergebung hat er in den vergangenen Jahren ziemlich häufig gebeten. Klar, das kostet nichts, und es dürfte jeder Demokrat zustimmen.
Was machte SS-Gruppenführer Reinefarth?
Darüber hinaus sollte er in seinen Vergebungsreden besser mal da hinleuchten, wo es wehtut: Warum SS-Gruppenführer Heinz Reinefarth, der für die „Aufstandsbekämpfung“ in Warschau zuständig war und Zehntausende Menschen auf dem Gewissen hat, nach dem Krieg jahrelang unbehelligt als Bürgermeister von Westerland auf Sylt walten konnte. Oder wie sehr viele Deutsche vom Raubzug „im Osten“ materiell profitierten. Darüber wird in ziemlich vielen Familien bis heute geschwiegen.
Nächstes Jahr, zum 80. Jahrestag des Kriegsendes, müssen wir noch einmal die erwartbare Steinmeier-Rede erdulden. Danach wird er uns nicht mehr behelligen, weil es in seiner Amtszeit dann keine NS-Jahrestage mehr gibt.
Leser*innenkommentare
Jam
Wie kommen Sie darauf, dass "Frauen mit Migrationsgeschichte" eine einheitliche Gruppe sind?
Und warum kann man das Label "Kind von MigrantInnen" nur stolz tragen, wenn die Eltern "papierlose Erntehelfer" sind? Ich habe Schwierigkeiten, Ihrer Argumentation zu folgen, Gunnar Hinck.
ecox lucius
Wenn sie Migranten "als papierlose Erntehelfer" sehen, aber nicht als Akademiker, dann haben sie eine problematische Sicht auf den Begriff Migrant.
Lowandorder
Schonn. Der Seminarjungspund - quasselt sich nen Wolf 🐺! But
“Ich wette, im Rechner von Steinmeiers Redenschreiber gibt es eine Datei namens „Vergebungsreden_Basisversion“, wo nur noch die Zielregion oder die Opfergruppe eingegeben werden muss: Warschau, Auschwitz, Oradour, Babyn Jar, Homosexuelle, Sinti und Roma.“
Merkens was?! Genau Genau!
Vergebung? Mach Bosse!
Fünf Jahre anlaß&rechtsgrundlos mit seinem Klempner Hans-Georg Maaßen!
Murat Kurnaz in Guantánamo weggeschlossen! Gelle
Da reicht es dem feinen Herrn im Bundestag nicht einmal für ein - Bedauern •
Ja! “Der kann alles!“ - damit diente einst seine Gießener Mitstreiterin Brigitte Zypries!
Ihn - dem GazpromGerd an! Wie wahr!
Nur - soziales Gewissen (remember Hartz IV) und wie gesagt menschliche Größe?!
Fehlanzeige! Woll - Gewissen wie ein Stiefelschacht! Newahr
Normal
unterm——ein unglaublichlicher Karrierist - wa!
Kaum glaublich - daß dieser Bellevue secondist!;( einst!
Wegen “Demokratie und Recht“ - ins Visier der Schlapphüte geraten konnte -
Gelle - mit Brigittchen! Was eine Lachnummer!
de.wikipedia.org/w...-Walter_Steinmeier