Ihre Seelen irrlichtern noch immer umher

Postkolonialer Minimalismus, der nur überwältigen kann: Zur Ausstellung „Opera to a Black Venus“ von Grada Kilomba in der Kunsthalle Baden-Baden

Von Carmela Thiele

Der Titel „Opera to a Black Venus“ klingt ein wenig pompös. Er ist aber klug gewählt. Grada Kilomba verweist damit in der Kunsthalle Baden-Baden auf zwei Säulen der europäischen Kulturtradition, die Oper und die griechische Mythologie. Black Venus spielt die Hauptrolle, ohne personifiziert in Erscheinung zu treten. Es geht um Höheres: um das Sediment der Geschichte. Die Künstlerin will es fruchtbar machen. Mit den Mitteln der europäischen Hochkultur beschwört sie die Kraft der Black Community.

Das macht sie virtuos – allerdings ohne dem Publikum eine differenzierte Sicht zu bieten. Sie nimmt sich, was ihr zu ihrer Erzählung, dieser einen Erzählung passt. Sie stellt sich in die Tradition der Griots, der Geschichtenerzähler des afrikanischen Kontinents. Sie liebt aber auch die Oper. Dort kommen alle Künste zusammen. Ihr Auftritt in Baden-Baden soll als großes Ganzes wirken, als Inszenierung des unfassbaren Leids im Raum.

Im großen Saal leitet ein Wald aus schwarzen Vorhängen die Trauerarbeit ein. Es folgt der Eintritt in eine Welt, in der Vergangenheit und Gegenwart ineinanderfließen. Das „Labyrinth“ ist lediglich der Prolog zum zentralen Bild der Inszenierung, der Videoarbeit „Opera to a Black Venus. What would the bottom of the ocean tell us tomorrow, if emptied of water today.“ (Oper für eine schwarze Venus. Was würde uns der Grund des Ozeans erzählen, wenn er heute geleert würde.) Damit ist alles gesagt.

Das wandfüllend projizierte Video zeigt mit statischer Kamera ein bewegtes Tableau. Im Vordergrund stehen Frauen und Männer, in mehreren Reihen hintereinander, synchron tief ein- und ausatmend. Im Hintergrund schroffe Felsen als Sinnbilder komprimierter Zeit. Zwei Personen lösen sich aus der Formation und bewegen sich auf den Betrachter zu. Sie stehen für die Befreiung von dem bedrückenden Erbe, für die in die Gegenwart hineinreichende Geschichte des Kolonialismus.

Grada Kilombas Erzählungen sind feinsinnige Variationen von ein und derselben Geschichte

Diese Oper ist nur wenige Minuten lang. Jedenfalls in der Fassung, die uns die Künstlerin in diesem Moment zubilligt. Sie stellt in Dauerschleife die Frage nach den heutigen Toten des Mittelmeeres, den Gründen ihrer Migration, den Ursachen zementierter Abhängigkeitsverhältnisse, der Klima­krise. Aber davon spricht Grada Kilomba nur indirekt. Sie inszeniert mit ihren performten Bildern die Macht untröstlichen Leids. Sie stellt sie vor uns hin als Klage, als Epos, als spirituell aufgeladenen Raum. Ihr Anspruch ist hoch, vielleicht zu hoch.

Ihr Werk spielt mit den Mitteln des Theaters, wie zwei ihrer früheren Produktionen aus der Serie „Illusions“ zeigen. Grada Kilomba erzählt darin die Geschichten von „Antigone“ und „Ödipus“ vor postkolonialem Hintergrund neu. Die von Antigone gestellte Frage, welcher Körper es wert ist, begraben zu werden und welcher nicht, bezieht Kilomba auf die Toten des kolonialen Unrechts und der Migration. Sie sind nicht bestattet worden, ihre Seelen irrlichtern umher, traumatisieren die Nachgeborenen der Kolonisierten. Realität und Mythos fließen ineinander.

Dieses Mantra durchzieht auch die Installation „18 Verses“. Sie schließt an die Performance „O Barco/The Boat“ an, eine Open-Air-Inszenierung, die 2021 in Lissabon und Baden-Baden aufgeführt wurde. Beide Arbeiten erinnern an die Sklavenschiffe, an den Dreieckshandel im 17. und 18. Jahrhundert. Im Raum verstreut liegen kurze, geschwärzte Balken. Darin sind in den Sprachen der Geflüchteten, in Yoruba, Kimbundu, Kapverdischem Kreolisch, Portugiesisch, Englisch und syrischem Arabisch Verse eingraviert und mit Blattgold hervorgehoben. Die Fracht des Schiffs bestand aus versklavten Menschen, die dort zusammengedrängt ausharrten wie heute die Geflüchteten in den Booten der Schleuser.

Performing Knowledge vor schroffen Felsen: Grada Kilombas „Opera to a Black Venus“ Foto: Foto:Courtesy der Künstlerin

Grada Kilomba begreift ihre künstlerische Arbeit als „performing knowledge“, als aufgeführtes Wissen, das sie mythisch verklärt. Sie bietet diverse Medien und Darstellungsformen auf, um auf den Kolonialismus und seine Folgen aufmerksam zu machen. Die Künstlerin jedoch zielt mit ihrem Werk nicht auf eine detaillierte Aufarbeitung von Geschichte. Der gelernten Psychologin geht es um Arbeit an unbearbeiteter Trauer. Ihre Therapie heißt Katharsis.

Es ist kein Zufall, dass die erste Einzelausstellung von Grada Kilomba in Deutschland in der Kunsthalle Baden-Baden stattfindet. Das Leitungsduo Çağla Ilk und Misal Adnan Yıldız setzt auf Storytelling, die Idee der Bühne, das Live-Event. Çağla Ilk möchte ein breites Publikum erreichen. Das Konzept brachte ihr die Kuration des deutschen Pavillons der Biennale von Venedig ein. Sie begreift Kilombas Bildsprache als postkolonialen Minimalismus.

Da stellt sich die Frage, wie der Minimalismus zum Selbstverständnis der Künstlerin als Geschichtenerzählerin passt. Genau genommen sind auch ihre Erzählungen minimalistisch. Es sind feinsinnige Variationen ein und derselben Geschichte. Es ist ein schmaler Grat, auf dem diese Kunst agiert. Als Live-Performance ist sie großartig.

„Grada Kilomba. Opera to a Black Venus“: Kunsthalle Baden-Baden, bis 20. Oktober 2024