Kunstausstellung in Baden-Baden: Schwarze Romantik der Gegenwart

Fortschritt statt Oldtimer: Von der Kunsthalle Baden-Baden aus mäandern Kunstwerke, Raum und Erzählung aus „Nature and State“ bis in die Stadt.

Blaues Foto von einer Halle, in der Menschen auf dem Boden übereinander liegen

​Das ­Installationsprojekt von Ersan Mondtag weckt Erinnerungen an den Symbolisten Ferdinand Hodler Foto: Günzel.Rademacher, © Staatliche Kunsthalle Baden-Baden

Das Eröffnungswochenende von „Nature and State“ fiel in Baden-Baden mit dem beliebten Oldtimer-Meeting zusammen. Parallelwelten trafen aufeinander – während Grada Kilombas Performance „O Barco/The Boat“ mit über einem Dutzend schwarz gekleideten Per­for­me­r*in­nen an die Geschichte des Sklavenhandels erinnerte, reckten sich aus dem benachbarten Szenerestaurant verdutzte Köpfe, die für den Concours d’élégance in die Stadt gekommen waren.

Baden-Baden feierte klimabilanzverachtende Errungenschaften der Automobilindustrie parallel zur Vernissage einer Ausstellung, die forschend in die Kurstadt eindringen will. Kilombas Installation, die Umrisse eines Bootes aus verkohlten Holzblöcken bildete, blieb noch einige Wochen im Park stehen, umgeben vom Rauschen des Stadtbachs Oos – „alles fließt“ kann auch als Leitsatz dieser Ausstellung gesehen werden.

Nach zwei von der Pandemie durchwachsenen Jahren ist das nicht mehr neue Kuratorenteam aus Çağla Ilk und Misal Adnan Yıldız endlich in Baden-Baden angekommen und will mit „Nature and State“ einen offenen Prozess für temporäre Strukturen und kritische Erzählungen einleiten, die von Herrschaft und Kontrolle berichten.

„Wir haben keine Staaten, keine Nationen, keine Präsidenten, keine Premierminister, keine Häuptlinge, keine Generäle, keine Bosse, keine Bankiers, keine Grundbesitzer, keine Löhne, keine Wohltätigkeit, keine Polizei, keine Soldaten, keine Kriege“, wird hier die queere Science-Fiction von Ursula K. Le Guin aus den 1970er Jahren zitiert.

„Nature and State“: Staatliche Kunsthalle Baden-Baden, bis 16. Oktober.

Anleitung zum Leben heute

All das findet bei Le Guin auf einem fremden Planeten statt und soll nun in der Kunsthalle als eine Anleitung zum Leben in der heutigen Welt dienen. Was naiv daherkommt, ist vielleicht eine Möglichkeit, heute in Anbetracht der Weltlage an eine Zukunft denken zu können. Im großen Lichtsaal der Kunsthalle hat der mehrfach ausgezeichnete Künstler Ersan Mondtag einen antiken Tempel samt Wasserbecken gebaut, der als Museum, Bühne und Auftakt des Rundgangs fungiert.

Dunkles Blau beherrscht den Raum, Schwarzwaldästhetik mit aufgemalten Nadelbäumen auf den Wänden lässt eine Atmosphäre der Schwarzen Romantik aufkommen. Mehrfach wurde darin die Tanzperformance „Becoming Sculptures“ aufgeführt, die wie ein lebendig gewordenes Gemälde des Schweizer Symbolisten Ferdinand Hodler wirkte, wenn die Per­for­me­r*in­nen zuerst phlegmatisch und schließlich immer schneller durch das Wasser des Tempels tanzten.

Im Laufe der Ausstellung soll das Wasserbecken austrocknen und damit die politische Dimension des Klimawandels und Wasser als verbindendes Element der Ausstellung betonen.

Nicole L’Huillier breitet eine bunte Flagge, die gleichzeitig eine Soundinstallation ist, von der Wand auf den Boden aus. Um die verfremdete Akustik eines Gedichts der chilenischen Nobelpreisträgerin Gabriela Mistral zu hören, muss man sein Ohr dicht über die Membranen der Flagge halten und sich damit intensiver mit der Umgebung befassen, als man es gewohnt ist.

Hier wird das Publikum auf Achtsamkeit trainiert, gleichzeitig repräsentiert eine Flagge üblicherweise den Staat und damit zusammen mit der Natur den zweiten Pol, zwischen dem die Ausstellungsobjekte mäandern.

Staat als Gebilde der Erinnerung

Dass der Staat eher ein Gebilde der (zuweilen instrumentalisierbaren) Erinnerung sein kann, zeigen Olga Chernyshevas schwarz-weiße Körper von erschöpften postsowjetischen Menschen, die in der Ausstellung auf Collagen aus Selbstporträts, gefundenen Objekten und Festplatten der türkischen Multimedia-Ikone Ipek Duben stoßen.

„Nature and State“ will wie so viele Ausstellungen derzeit, nicht zuletzt die documenta fifteen, ein offener Prozess sein. Doch dieser scheint hier in eine ferne Welt verfrachtet zu sein. Trotzdem gelingt es Çağla Ilk und Misal Adnan Yıldız, die – wenn auch etwas beliebig ausgewählten – Kunstwerke in einen Fluss zu bringen.

Letztlich ist die ungewöhnliche Auswahl von über 30 Künst­le­r*in­nen­ für die verschlafene Kurstadt Baden-Baden eine gelungene Erfrischung. Man möchte diesem Traum eine Chance geben und die Oldtimer hinter sich lassen.

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