Roma-Denkmal im Berliner Tiergarten: Ein Ort der Stille wird erschüttert
Der geplante Bau einer S-Bahn-Linie unter dem Sinti- und Roma-Denkmal in Berlin sorgt weiter für Ärger. 50 Einwendungen sind bei der Bahn eingegangen.
Künstler Dani Karavan, der das Mahnmal schuf, wollte diesen Akt als Symbol des „Lebens, der Trauer und der Erinnerung“ verstanden wissen. Betroffeneninitiativen sehen heute diese Erinnerung an dem Mahnmal in Gefahr, weil die Deutsche Bahn hier einen neuen S-Bahn-Tunnel plant.
„Zuversichtlich bin ich nicht“, sagt Romeo Franz telefonisch aus Oświęcim in Polen. Der 57-jährige Generalsekretär der Bundesvereinigung Sinti und Roma hat sechs Angehörige in der NS-Zeit verloren, sein Großonkel wurde in Auschwitz, wie die Stadt in der NS-Zeit hieß, erschossen. Dort, im ehemaligen deutschen Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, findet am Freitag eine Gedenkveranstaltung zum Jahrestag des Völkermords an den Sinti und Roma statt, zu der er angereist ist.
Franz kämpft für die Zukunft des Roma-Mahnmals im Berliner Tiergarten, das nach langen Diskussionen vor zehn Jahren eröffnet wurde und nun schon wieder in Gefahr ist. „Die Bedeutung und die Einzigartigkeit des Mahnmals stehen nicht im Vordergrund“, sagt Franz, „das ist sehr traurig.“
Seit Jahren gibt es Streit um den Gedenkort. Die Deutsche Bahn will eine neue Nord-Süd-Verbindung für die S-Bahn bauen, die unterirdisch den Hauptbahnhof mit dem Süden der Stadt verbinden und das Regierungsviertel unterqueren soll. Ein Stück der Trasse soll direkt unter dem Mahnmal verlaufen.
In einem offenen Brief, den zuletzt 240 Menschen unterzeichnet hatten, kritisieren Roma-Angehörige und Kulturschaffende, dass der Tunnel nur einen Meter unter der Erinnerungsstätte verlaufen soll. Sie fürchten, dass es durch den künftigen S-Bahn-Verkehr zu Erschütterungen an dem Mahnmal kommen könnte. Außerdem beanstanden sie, dass mehrere Bäume, die das Mahnmal kreisförmig umgeben und zu dem stillen Gedenken an dem Ort beitragen sollen, für das Bauvorhaben gefällt werden müssten.
Adressiert ist der offene Brief an das Eisenbahnbundesamt, das über die Zulässigkeit des Bauvorhabens entscheiden muss. Dieser Entscheidungsprozess könnte noch mehrere Monate in Anspruch nehmen, denn die Behörde muss derzeit rund 50 Einwendungen und Stellungnahmen zu dem Bauvorhaben bearbeiten, die an sie herangetragen wurden.
Verkehrssenatorin will alles klären
Einer dieser Anträge kommt vom Berliner Senat. Dieser fordert die Deutsche Bahn als Bauherrn auf, ein Konzept vorzulegen, wie sie das Mahnmal während der Baumaßnahmen schützen will und die Gedenkstätte in der Zeit weiter zugänglich bleibt.
Verkehrssenatorin Ute Bonde (CDU) gab sich zuversichtlich und erklärte, dass man gemeinsam davon ausgehe, kritische Punkte „hinsichtlich der Zugänglichkeit von Gedenkstätten“ noch einvernehmlich klären zu können. Alle „touristisch nachgefragten Bauwerke sowie Denk- und Mahnmale“ im Berliner Tiergarten würden nach Auskunft der Bahn während der gesamten Bauzeit „bestmöglich zugänglich und nutzbar sein“.
Doch nicht alle teilen diese Zuversicht. Zu den Kritikern gehören unter anderem die Lagergemeinschaft Dachau, der Bundesverband der Roma und die Bundesvereinigung der Sinti und Roma. Die größte Vereinigung von Betroffenen in Deutschland, der Zentralrat der Sinti und Roma, hält sich dagegen mit Kritik an dem Bauvorhaben zurück.
„Wenn die in Auftrag gegebenen Gutachten feststellen, dass durch die Baumaßnahmen keine Schäden am Denkmal entstehen, dann werden wir mit der Bahn und dem Berliner Senat ein abschließendes Gespräch über dieses wichtige Infrastrukturprojekt führen“, erklärte ihr Vorsitzender Romani Rose gegenüber der taz. „Der Zentralrat lehnt eine reine Blockadehaltung ab.“ Die deutschen Sinti und Roma seien Teil der Gesellschaft und des Landes und wendeten sich nicht gegen ein Infrastrukturprojekt, das für die Berlinerinnen und Berliner eine Notwendigkeit sei, so Rose.
Die Roma-Selbstorganisation Romatrial, die den offenen Brief aufgesetzt hatte, sieht in dem Bauvorhaben dagegen „ein politisch skandalöses Versagen der politischen Gedenkkultur in Deutschland“. Unterzeichnet haben den Protestbrief unter anderem der Direktor der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, Uwe Neumärker, der ehemalige französische Kulturminister Jack Lang und der Filmregisseur Wim Wenders.
„Niemand käme auch nur auf die Idee, das Denkmal für die ermordeten Juden Europas anzurühren“, heißt es in dem Schreiben. „Ganz offenbar wird der Gedenkstätte der Sinti und Roma weniger Respekt entgegengebracht.“
Auch der Antiziganismusbeauftragte der Bundesregierung, Mehmet Daimagüler, sieht die S-Bahn-Pläne in Berlin mit Skepsis. Das Mahnmal habe für die Minderheit eine „enorme Bedeutung“, sagte er Ende Mai. Eine halbe Million Sinti und Roma seien in der NS-Zeit ermordet worden. Vor diesem Hintergrund hätten die Nachfahren die Gespräche über die geplante S-Bahn-Trasse als „oberflächlich“ empfunden. Bei einem so sensiblen Thema brauche es mehr Transparenz. Er schlug deshalb eine Mediation vor.
Betroffene wollen weiter kämpfen
In Deutschland leben schätzungsweise bis zu 150.000 deutsche Sinti und Roma sowie etwa 100.000 zugewanderte Roma, vorwiegend aus Südosteuropa. Ende Mai setzten Bund und Länder eine gemeinsame Kommission ein, um sie vor Diskriminierung zu schützen. Die Melde- und Informationsstelle Antiziganismus (MIA) hatte in ihrem Jahresbericht für das Jahr 2023 festgestellt, dass sich die Zahl der registrierten antiziganistischen Vorfälle im Vergleich zum Vorjahr glatt verdoppelt hat.
Das Spektrum der gemeldeten Vorfälle reicht von Beleidigungen, Diskriminierung bei der Wohnungssuche, in der Schule oder durch die Polizei. Überzogene Polizeieinsätze machen einen großen Teil der dokumentierten Fälle aus. Viele Polizistinnen und Polizisten glauben, dass Roma und Sinti generell zur Kriminalität neigen, und begegnen selbst Opfern von Gewalt oder Diskriminierung mit dem Verdacht, diese seien selbst daran schuld.
Hinzu kommt Gewalt gegen Erinnerungsorte. Ende Mai wurde in Flensburg eine örtliche Gedenkstätte für die 1940 deportierten Sinti und Roma aus der Region beschädigt. Laut Polizei wurde die Stele aus ihrer Verankerung gerissen. Das Fachkommissariat für Staatsschutz nahm Ermittlungen auf, die Empörung war groß.
Die Empörung über die Pläne am Berliner Mahnmal halten sich dagegen in Grenzen. „Die Deutsche Bahn und der Berliner Senat werden ihrer Verantwortung nicht gerecht“, sagt Romeo Franz. Die Vorstellung, eine S-Bahn im Minutentakt unter dem Denkmal zu spüren, sei „makaber“, sagt er mit Blick auf die Deportationszüge der Bahn in der NS-Zeit.
„Wir werden alle Möglichkeiten nutzen, um zu verhindern, dass das Denkmal so beschädigt wird, wie wir das befürchten, gibt er sich jedoch kämpferisch. Da bleiben wir weiter dran, und die Zahl unserer Mitstreiter steigt. Der Protest nimmt zu.“
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