gekonnt
: Märchenhaftes Hamburg: Es war einmal ein Schülerticket

Es war einmal vor langer Zeit in einem Land, in dem die Luft immer schlechter wurde und das Grün immer weniger. An seine Stelle hatte man breite Straßen gebaut, auf denen Tag für Tag immer längere Schlangen immer bulligerer Autos standen. Tatsächlich fuhren in diesem Land auch Züge, aber die waren in einem so verheerenden Zustand, dass man Absicht dahinter vermuten musste. Sie fuhren zu spät oder gar nicht, zugleich wurden die Fahrkarten immer teurer.

Einmal, als eine Pandemie das Land heimsuchte, schenkte man den Au­to­fah­re­r:in­nen Geld und danach, notgedrungen, auch den Bahnfahrer:innen. Die bekamen eine Fahrkarte namens Deutschlandticket, die nur neun Euro kostete und mit der man, wenn auch nur in den langsamen Zügen, überall hinfahren konnte. Plötzlich waren die Züge sehr voll und man erhöhte den Preis der Fahrkarte um das Fünffache. Aber nach kurzer Zeit erhoben sich Stimmen, die forderten, die Fahrkarte noch teurer zu machen, unter anderem der Finanzminister des Landes, der bekannt war für seine Vorliebe für prächtige Autos.

Nun war das Land zersplittert in viele kleine Länder und in einem der nördlicheren, das letztlich nur eine Stadt war, war ein Mann der Grünen in den Rang des Verkehrsministers gelangt, der vieles ändern wollte. Zunächst waren einige seiner Vorhaben am Widerstand des Innenministers gescheitert, einem Roten, dem die Polizei unterstand.

Immer wieder zerschellten Vorhaben der Grünen am Widerstand der Roten, denen das Auto und sein Fortkommen in der Stadt mehr bedeutete als das Fortkommen der Räder. Allmählich aber sah man Bauarbeiten in der Stadt, wo Autostraßen verengt wurden zugunsten von Fahrradstreifen. Man freute sich und fragte doch: Wer wird sich durchsetzen in der nördlichen Stadt, die Kämp­fe­r:in­nen für das bullige Auto oder der Rest?

Regiert wird das Land von einem roten Bürgermeister, Peter Tschentscher, der sich eher selten in Fragen des Verkehrs vertiefte. Zwar versprach er einen Takt-Verkehr, nach dem spätestens 2030 jeder Bürger und jede Bürgerin binnen fünf Minuten ein öffentliches Verkehrsmittel erreichen können sollte. In der Praxis kippte er bei einem Treffen der Regierenden aller Länder ein Gesetz, das es erleichtert hätte, ein langsameres Tempo in städtischen Straßen einzuführen.

Man sei besorgt um die Sicherheit der Bürger:innen, hat sein Sprecher damals zum allgemeinen Erstaunen erklärt. Deshalb sollten die Autos schneller fahren können.

Etwa ein halbes Jahr später gab die Schul­behörde der nördlichen Stadt bekannt, dass künftig alle Schü­le­r:in­nen ein kostenloses Deutschlandticket erhalten werden. Nach den Sommerferien wird es so weit sein: Dann können sie nicht nur mit Bus, S- und U-Bahn durch Hamburg fahren, sondern per Regionalverkehr durchs ganze Land.

Rund 100 Millionen Euro gibt die Stadt dafür aus. Das ist spektakulär und bislang bundesweit einzigartig und um so eindrücklicher in einer Stadt, in der Verkehrspolitik einen Schritt nach vorn und dann einen zurück geht – siehe oben.

Was für ein wunderbarer Einstieg, wenn öffentlicher Verkehr bedeutet, einfach einsteigen zu können

Außerdem wendet sich das ganze an exakt die richtigen: die Ver­kehrs­teil­neh­me­r:in­nen von morgen – diejenigen, die darüber bestimmen werden, wie Mobilität künftig aussehen soll. Was für ein wunderbarer Einstieg, wenn öffentlicher Verkehr bedeutet, einfach einsteigen zu können. Und auch wenn es für immer Peter Tschentschers Geheimnis bleiben wird, warum schnellere Autos sicheren Verkehr bedeuten: Das kostenlose Deutschlandticket für Schü­le­r:in­nen ist super.

Und eines Tages, wenn alle noch nicht gestorben sind, dann ist in dieser großen Stadt im Norden der Hamburger Verkehrsverbund auch für Erwachsene günstig, dann gibt es autofreie Schulstraßen und die Autos fahren 30.

Friederike Graeff