Kamala Harris als Präsidentin: Ein progressiver Move
Eine Präsidentschaftskandidatin Harris hat eine Chance insbesondere bei Frauen und Migrant:innen – wenn sie sich ihrer Versprechen von 2020 erinnert.
Kamala Harris könnte die erste Frau an der Spitze der Vereinigten Staaten werden. Momentan sieht jedenfalls alles danach aus, dass sie gegen Donald Trump antreten wird: Es dauerte nur etwa eine halbe Stunde, bis Joe Biden nach seinem Rückzug als Bewerber um die Präsidentschaftskandidatur der Demokraten verkündete, fortan seine Vize Harris zu unterstützen. Sollte sie Trump, der in den Umfragen vorn liegt, am Ende an der Wahlurne tatsächlich überholen, wäre sie nicht nur die erste Frau an der Spitze der ältesten Demokratie der Welt. Sie wäre auch die erste schwarz-asiatische Person in dieser Position. Und das ist – trotz aller Kritik, die es an ihr in den vergangenen vier Jahren gab – ein progressiver Move.
Harris steht für ein diverses Amerika, sie könnte, wenn sie in vier Wochen auf dem Parteitag der Demokraten tatsächlich als Präsidentschaftskandidatin nominiert wird, migrantische Wähler:innen und vor allem Frauen für sich gewinnen. Das könnte sie erreichen, indem sie ihre Versprechen bei ihrem Amtsantritt 2020 einlöst: für eine bessere Bezahlung von Women of Color zu sorgen. Indem sie sich noch stärker als bisher für das Recht auf Abtreibung, eines ihrer Kernthemen, und gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen einsetzt.
Und auch das hatte sie als Bidens Vize angekündigt, indem sie sich stärker um die Karrierechancen von Mädchen kümmert: nicht als marktkapitalistischer Akt der Selbstoptimierung, sondern als feministischen Ansatz. Wie sonst sollen junge Frauen verstehen, dass sie nicht hinter Männern zurückstehen müssen, wenn sie es nicht deutlich gesagt und vorgelebt bekommen? Schon als Kind wollte sie Staatsanwältin werden und sich in dieser Rolle für finanziell und sozial Schwächere einsetzen.
Harris würde, sollte sie also tatsächlich die erste US-Präsidentin werden, nicht nur ein progressives Signal ins eigene Land senden, sondern auch ein internationales: Frauen können Staatsführung. Sie würde sich einreihen in die Riege von Politikerinnen, die viele Jahre erfolgreich und fortschrittlich ihr Land regierten, wenngleich auch nicht immer bis zum Ende konsistent – Jacinda Ardern in Neuseeland, Sana Marin in Finnland, Nicola Sturgeon in Schottland, Vaira Vīķe-Freiberga in Lettland, Michelle Bachelet in Chile. Und nicht zu vergessen, Angela Merkel in Deutschland. Sie alle stehen und standen mehr oder weniger für eine Politik, die die Rolle von Frauen in der Gesellschaft verändert hat, oder die diese Rolle zumindest im Blick hatte.
Frauen in hohen und höchsten Ämtern sind, nur weil sie sich mit Biss in männlichen Gefilden hochgearbeitet haben, natürlich keine Garantie für eine fortschrittliche, schon gar nicht für eine linke Politik. Das beweisen rechtsextreme Politikerinnen wie Giorgia Meloni in Italien, Marine Le Pen in Frankreich und die AfD-Co-Chefin Alice Weidel in Deutschland. Diese Frauen zeigen die Grenzen des Feminismus auf: Die Gleichstellung schreitet in weiten Teilen der Welt voran und bietet Frauen die Möglichkeit zum Aufstieg. Aber natürlich wollen nicht alle Frauen die Welt automatisch ein bisschen besser machen, nur weil sie Frauen sind. Cristina Kirchner, die einstige Präsidentin Argentiniens, wurde wegen veruntreuter öffentlicher Gelder zu sechs Jahren Haft verurteilt.
Zurück zu Harris: Will sie ihre Chance nutzen, darf sie Fehler nicht wiederholen. Sie darf migrantische Communitys nicht instrumentalisieren, sondern muss sich wahrhaft für sie einsetzen. Sie muss präsent in der Öffentlichkeit und dabei authentisch sein. Sie muss die freiheitliche Demokratie im Auge behalten und gleichzeitig für Sicherheit im Land der Waffen sorgen. Sie muss Sozialpolitik können, die Wirtschaft ankurbeln, für Stabilität in der Welt sorgen. Das ist viel, das ist hart – und ist unabhängig vom Geschlecht.
Leser*innenkommentare
Steinchen Frank
LOL.
Die progressiven US-Demokraten (z. B. TYT) sind entschiedene Gegner einer Kandidatur von Harris, da sie die handverlesene Kandidatin des Establishments und der Grossspender ist und zudem nur sehr geringe Chancen gegen Trump haben dürfte.
Als Gefangene ihrer eigenen Identitätspolitik können die Demokraten aber praktisch keinen anderen Kandidaten aufstellen.
DocSnyder
Besser als Trump allemal und der orangefarbene müsste seine Beleidigungs- und Beschimpfungsstrategie ändern.
Octarine
Die Versprechen des Jahres 2020 hätte sie in den letzten Jahren einlösen sollen, hat sie aber nicht. Das liegt auch an der Politik von Biden, oder den Interessen der Hinterzimmer.
Jetzt, wird sie wie das bewusste Kaninchen aus dem Hut gezogen, für alles andere, auch eine generelle Diskussion über die notwendige Politik, ist keine Zeit.
Harris ist nicht die einzige, die in den letzten Jahren entzaubert wurde, AOC, Sanders, gehören mit dazu. Die Democrats sind die Partei des Establishments, progressiv ist sind da nur die Versprechen "vor den Wahlen", danach geht um die wirtschaftlichen Interessen der Unterstützer.
Wie ist die Situation von Frauen, jetzt ist sogar ihr Zugang zu Kontrazeptiva und IVF infrage gestellt, wie die der Schwarzen? Wie die Situation von Arbeitern?
Die Wirklichkeit sieht nicht gut aus, und es wird nicht besser, nicht mit den Democrats und nicht mit der GOP.
Kaninchen sind keine Nagetiere
Harris ist abgesehen von wenigen Themen (Abtreibung, Hautfarben diskriminirung und Frauen Rechte u.a)nicht sehr progressiv besonders nicht ökonomisch . Sie ist eine Farblose Establishment Demokratin .
Wen es einem wirklich um progressivität UND Diversität ginge wäre AOC die perfekte Kandidatin.
Bei Harris nominierung wäre das einzig gute die Repräsentanz von Frauen und POC mehr kann man von ihr nicht erwarten.
Janix
Nur weil sie Frau ist, wird sie nicht gewählt, auch von Frauen nicht. Andersherum bei Männern mag das anders sein, entsprechend beim Migrationshintergrund, aber Harris wird ohne das leisten und liefern müssen.
Sie hat wenig Profil gewonnen, gewinnen dürfen, jetzt gilt es das nachzuholen. Schade, dass sie Trump nicht gleich in der Fernsehdebatte auseinandernehmen konnte.
DocSnyder
@Janix Ja, das mit der Tv Debatte find ich auch schade. Jeder halbwegs intelligente Kandidat müsste den Affen Trump mit Argumenten in der Luft zerreißen können.