Jérôme Boateng wieder vor Gericht: Verprügelt, verletzt, verstummt

Häusliche Gewalt im Profifußball bleibt zu oft ungeahndet. Es braucht mehr Einblick in die verantwortlichen Machtstrukturen.

aufgerissener Fussballrasen

Wissenslücken müssen gefüllt werden, um Gewalt verhindern zu können Foto: imago

Am Freitag soll wieder einmal eine 34 Jahre alte Frau namens Sherin S. vor Gericht treten und im Detail aussagen, wie sie von ihrem Ex-Partner geschlagen, bespuckt, gebissen und beleidigt worden sei. Wenn es so läuft wie in den vorigen Prozessen, wird sie den Ablauf der Ereignisse beschreiben, sie wird auf sehr genaue Fragen antworten, es wird um Körperteile gehen, um Hämatome, abgeschürfte Stellen und die Frage, wie die Verletzungen entstanden sind.

Häusliche Gewalt ist ein verbreitetes Delikt, und doch ist der Fall ein Sonderfall: Denn der Ex-Partner von Sherin S. heißt Jérôme Boateng und war mehrfach Fußballnationalspieler. Er steht inzwischen das dritte Mal vor Gericht, und schon die beiden vorigen Prozesse öffneten den Blick in eine Welt, aus der Vorwürfe meist nicht nach außen dringen.

Bei einer Recherche im November 2022 haben wir bei Correctiv gemeinsam mit der Süddeutschen Zeitung über mehrere Fälle von häuslicher Gewalt bei Profifußballern berichtet und ein System aufgedeckt, in dem Gewalt weggeschwiegen und betroffene Frauen mal subtil und mal brachial eingeschüchtert werden.

Der Fall Jérôme Boateng ermöglicht es, einen Blick hinter die Fassade des Milliardenspektakels Profifußball zu werfen. Die Vorwürfe gegen Boateng sind lange bekannt, er soll S. im Juli 2018 in einem Karibik-Resort angegriffen und verletzt haben. Er selbst hat dies immer bestritten. In zwei Instanzen wurde er schuldig gesprochen, das jüngste Urteil wurde wegen eines Verfahrensfehlers aufgehoben, deshalb beginnt das Verfahren jetzt von vorne.

Enormes Machtgefälle

Das Verhältnis zwischen Spieler und Spielerfrau ist oft gekennzeichnet von einem enormen Machtgefälle; kommt Gewalt ins Spiel, fühlen sich die Frauen oft ausgeliefert. Die meisten schweigen, manche lassen sich mit Geld ruhigstellen, andere fügen sich aus Angst. Mehrere der Frauen sagen: Die Spieler sind geschützt von einem Panzer aus Macht, Status und Geld und einem Apparat aus Beratern, Managern, Anwälten, die sie und ihr Image abschirmen.

Unsere Recherche zeigte auch: Es sind nicht nur betroffene Frauen, die den Mund halten, sondern auch viele Journalisten. Einzelfälle geraten immer mal in die Schlagzeilen, vor allem, wenn sie polizeibekannt werden. Aber dann verschwinden die Berichte oft schnell wieder aus den Medien. Nach unserer Recherche ist Bewegung in das Thema gekommen; viele Medien haben die Berichte aufgegriffen. Besonders laut tönte aber die Stille in den großen Fußballmagazinen.

Das liegt zum einen an den juristischen Risiken: Profifußballer sind klagefreudig, und sie können teure, langwierige Verfahren finanzieren. Ich kenne zum Beispiel einen Fall, bei dem die Anwältin eines Fußballers an vier unterschiedlichen Landgerichten Anträge gestellt hat, um gut dokumentierte Vorwürfe von besonders brutaler Gewalt ihres Mandanten zu unterdrücken; letztlich erfolgreich.

Die Abhängigkeit der Sport- und Boulevardmedien vom Fußball spielt dabei eine vielleicht noch größere Rolle. Journalisten fürchten, Zugänge zu verlieren, wenn sie zu kritisch berichten. Bei der Recherche erfahren wir von Fußballmanagern, die Tageszeitungen drohen, keine Interviews mehr mit Spielern zu ermöglichen. Mehrfach hören wir von Reportern, denen die Berater exklusive Storys anbieten, wenn sie dafür einen für die Spieler unangenehmen Vorfall diskret liegenlassen.

Skandale in den Boulevardmedien drohen

Mehrere Frauen sagten uns, dass ihre Ex-Partner ihnen damit drohten, Skandalgeschichten und vernichtende Artikel über sie in Boulevardmedien zu lancieren. Dass das tatsächlich funktioniert, zeigt auch der Fall Boateng: Der Spieler gab Anfang 2021 ein Interview in der Bild-Zeitung, in dem er seine Ex-Partnerin Kasia Lenhardt mit lauter demütigenden Schmähungen überzog. Es folgte eine Hasswelle im Internet, und einige Tage später war sie tot, offenbar Selbstmord.

Zuvor hatte Lenhardt eine Verschwiegenheitsverpflichtung unterzeichnet, darin sicherte sie zu, über alle Details ihrer Beziehung zu Boateng Stillschweigen zu bewahren. Solche Knebelverträge, Englisch: Non Disclosure Agreements, NDAs, sind ein Instrument, mit dem Prominente sich ihre eigenen Gesetze schaffen. Psychologisch haben sie sich als sehr wirksam erwiesen.

Zurück zu Sherin S.: Sie hatte keinen NDA unterzeichnet, dies scheint lange auch nicht nötig gewesen zu sein. Vor Gericht sagte sie, Boateng habe sie bereits vorher häufiger geschlagen. Warum sie nicht schon eher Anzeige erstattet habe, fragte der Richter. Sie habe lange gezögert, sagte sie, wegen der Kinder, wegen seines Status. Es gibt viele Gründe, zu schweigen.

Gabriela Keller ist Investigativreporterin beim ­Medienhaus Correctiv und recherchiert schwerpunktmäßig zu struktureller Gewalt gegen Frauen, rechten Netzwerken und dubiosen Firmenkon­strukten.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Ist seit Sommer 2012 Reporterin bei der taz. Hat zuvor als freie Journalistin mit Schwerpunkt Nahost gearbeitet und fünf Jahre in Damaskus und Beirut gelebt. Volontariat beim Weser-Kurier in Bremen. Studierte englische, deutsche und französische Philologie in Münster und Sheffield.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.