Hitze im Sommer: My German Sommerangst

Noch bevor der Sommer da ist, kommt schon die Angst. Vor der Schlaflosigkeit, Erschöpfung, Lustlosigkeit. Warum nur haben wir keine Siesta-Kultur?

gelbes Sonnenlicht fältt diurch einen transparenten Vorhang

Es gibt keine Siesta, keine Fensterläden vor den Fenstern in Mietshäusern, keine Klimaanlagen, keinen Rückzug Foto: YAY images/imago

Die Kinder singen das Lied gerne. Darin heißt es: „Der Frühling bringt Blumen, der Sommer den Klee, der Herbst, der bringt Trauben, der Winter den Schnee.“ Leider ist der Song so nicht mehr zeitgemäß.

Aktueller ist, aber das ist noch nicht ins Liedgut gedrungen: „Der Frühling bringt Frost und der Sommer bringt Glut, der Herbst spendet Trost und der Winter bringt Flut.“

Alles ist durcheinander. Nur die Vermarktung des Sommers ist noch immer dieselbe. Noch immer wird diese Jahreszeit als Inbegriff für Freude verkauft. Sommer = Sommerfreude. Mit Ferien am Meer, Reisen im offenen Coupé, Sonnen am Strand. Dazu wird geschwommen und gechillt, werden Sommercocktails getrunken und Eis geschleckt.

Dabei ist doch nichts mehr so wie früher. Mit dem Sommer kommt die Schlaflosigkeit, Erschöpfung, Lustlosigkeit, fehlende Konzentration. Und mit dem Sommer kommt die Angst vor dem Sommer – my German Sommerangst. Die PR weiß nicht, wie sie daraus einen Werbeschlager machen kann, und hält am alten Sommermythos fest.

Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.

Weiterziehen ist keine Lösung

Angst ist eingeschrieben in die Verhaltensmuster der Menschen. Sie macht wachsam, schärft die Sinne, hilft in Sekundenschnelle die richtige Entscheidung zu treffen: Fliehen oder Kämpfen? So zumindest lauteten die Optionen, die unsere Vorfahren hatten, wenn Säbelzahntiger, Höhlenbären oder der 500 Kilogramm schwere Machairodos, eine Urgroßkatze, auftauchten. Über die warme Jahreszeit aber haben sie sich gefreut, denn Gaszentralheizung gab es bei ihnen im Winter nicht. Wurde es, da wo sie lebten, zu heiß, sind unsere urzeitlichen Vorfahren weitergezogen.

Wie nun aber auf die moderne Sommerangst reagiert werden soll, darauf gibt es genealogisch noch keine Antwort. Denn Weiterziehen ist nicht die Lösung. Dort, wo wer hinflüchten will vor der Hitze, ist doch schon jemand, und der heißt die Hitzeflüchtigen nicht willkommen.

Die Sommerangst hierzulande ist berechtigt. Denn mittlerweile ist es im Schnitt in Deutschland fast eineinhalb Grad wärmer als noch vor 50 Jahren. Menschen sterben an Hitze. Manchmal wird der Temperaturdurchschnitt Südeuropas getoppt. Und der in Südeuropa toppt den in Afrika. Das ist ein Schneeballsystem – nur dass das Schneeballsystem heute anders heißen müsste.

Keine Gluthitze-Kultur

Nun ist es aber so, dass wir in einem Land der Philosophen leben, in dem die Sommerangst noch nicht in allen Facetten durchdacht ist. Geschweige denn mit einem Repertoire von Maßnahmen versehen ist, das durch intensives Nachdenken generiert wurde.

Es gibt keine Gluthitze-Kultur. Es gibt keine Siesta, keine Fensterläden vor den Fenstern in Mietshäusern, keine Klimaanlagen, keinen Rückzug. Denn wer all dies hierzulande hätte oder angeordnet hätte, hätte im gleichen Atemzug zugegeben, dass er den menschengemachten Klimawandel nicht stoppen kann. Schlimmer noch, nicht stoppen will.

Halt, ganz stimmt das nicht. Der Bund hat immerhin schon einen Klima- und Transforma­tionsfonds eingerichtet, mit dem Maßnahmen zur Anpassung „mit hohem Innovationspotential“ finanziert werden. My German Sommerangst mindert das nicht.

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