And the winner is Switzerland!

Nemo aus der Schweiz gewinnt mit „The Code“ den 68. Eurovision Song Contest in Malmö. Israels Sängerin Eden Golan, in der Arena teils ausgebuht, wurde Fünfte, in der Publikumswertung erhielt sie die zweitmeisten Stimmen

Zum dritten Mal hat den ESC die Schweiz gewonnen, diesmal Nemo Foto: Martin Meissner/ap

Aus Malmö Jan Feddersen

Diese nonbinäre Person, Nemo mit Namen, war auch vor dem 68. ESC im schwedischen Malmö hoch gewettet – am Ende siegte dey (Pronomen Nonbinärer) mit 591 Punkten aus 36 Ländern recht knapp vor dem Kroa­ten Baby Lasagna (547) mit seinem campy-rockigen Titel „Rim Tim Tagi Dim“ und dem ukrainischen Duo alyona alyona & Jerry Heil (452) mit dem Ethno-Act „Teresa & Maria“. Erstaunlich war nicht der fünfte Platz für die Israelin Eden Golan mit ihrem Lied „Hurricane“, sondern, dass sie in der Publikumswertung („Televoting“) die zweitmeisten Stimmen erhielt – und am häufigsten auch mit der Länderhöchstzahl von zwölf Punkten bedacht wurde. Sie lag nicht nur beim deutschen Publikum weit vorn, sondern auch in anderen Ländern, in denen starke propalästinensische Proteste und Diskurse die Öffentlichkeit bestimmen, etwa den Niederlanden, in Frankreich, Spanien und Belgien sowie in Schweden als gastgebendem Land selbst.

Die Israelin hätte den zweiten Platz insgesamt belegt, hätten die Jurys, rekrutiert überall aus Kultur, Musikindustrie und Entertainment, nicht 50-prozentige Stimmmacht. Ohne die Jurys hätte Nemo, aktuell in Berlin lebend, lediglich den fünften Platz belegt. Der deutsche Kandidat Isaak belegte final keinen – wie in sehr vielen Jahren für Deutschland üblich – letzten oder vorletzten Platz. Sein Titel „Always on the Run“ erntete stärkere Zustimmung der Jurys, die der eurovisionären Volxabstimmungen blieb er­heblich geringer – schließlich fand er sich auf Platz zwölf wieder. Alle Resultate gibt es auf www.­eurovision.tv, diese bis in die Details der Jurywertungen.

Der ESC in Malmö war zugleich der politisch aufgeheizteste. Durch die Malmöer Innenstadt zog den Nachmittag zuvor eine Demonstration von etwa 10.000 Frauen und Männern, unter anderem auch mit der Aktivista Greta Thunberg, die wie in den Tagen und Wochen zuvor den Ausschluss Israels forderten. Ein kleiner, militanzorientierter Trupp aus dieser Menge zog schließlich zur ESC-Arena, wurde dort aber von einer umsichtig, doch klar agierenden schwedischen Polizei (mit Support durch norwegische und dänische Kolleginnen*) aufgehalten.

In der Arena selbst erhoben sich sehr vernehmlich Buhrufe beim Auftritt Eden Golans. Einige Künstlerinnen*, die zuvor beteuerten, in irgendeiner Weise propalästinensisch agieren zu wollen – etwa auch Nemo, die Irin Bambi Thug, der Franzose Slimane oder die Griechin Matti Satti –, verzichteten schließlich auf solche Gesten. Auch mit Missfallensrufen bedacht wurde der Projektchef des ESC bei der European Broadcasting Union (EBU), der Schwede Martin Österdahl, als er die niederländische Wertung vortrug: Die Jury Hollands wie auch deren Publikum durften abstimmen – aber der Interpret Joost Klein fehlte, eigentlich für das Grand Final qualifiziert. Er war am Morgen zuvor disqualifiziert worden – nicht weil er sich seiner israelischen Künstlerkollegin gegenüber am Donnerstagabend nach dem Semifinale patzig, ungehobelt und hässlich verhalten hatte, sondern weil er backstage tätlich toxisch gegen eine Fotografin geworden sein soll. Die Polizei ermittelt – und solange dieser Fall nicht geklärt sei, so die EBU, könne der Niederländer nicht performen.

In der Schweiz wurde Nemos Triumph streckenweise delirierend gefeiert, in Kroatien der vorzügliche zweite Platz für Baby Lasagna nicht minder, wenn auch etwas enttäuscht, weil ohne die Jurys der populäre Kroate Marko Purišić gewonnen hätte. In Israel wurde der fünfte Rang von Eden Golan gefeiert – stellvertretend formulierte gewiss auch für die meisten liberalen und Netanjahu-kritischen Israelis die linke Aktivistin Fanny Oz-Salzberger, hier übersetzt ins Deutsche: „Achten Sie auf das, was ich die leisen Unterströmungen genannt habe. Millionen von Wählern weltweit haben das Talent, den Mut, die Schönheit und die tiefe Traurigkeit der israelischen Darbietung gewürdigt und die zahlreichen Hassausbrüche gegen Eden und ihr Team ignoriert. Und nein, Antisemiten, diese Stimmen wurden nicht mit jüdischem Geld gekauft. Frischt eure abscheulichen alten Vorurteile auf. Danke, Eden. Nun zurück zu den Geiseln (219 Tage) und den unschuldigen Menschen im Gazastreifen.“

Durch die Innenstadt zogen rund 10.000 und forderten den Ausschluss Israels

Die ARD (plus One) verzeichnete einen Marktanteilserfolg – acht Millionen Menschen (ungezählt die vielen mehr auf ESC-Partys, auch im linksradikalen Kulturspektrum in Berlin, bei Public Viewings) schauten zu – und hatte keine deutsche Schande zu vermelden: Wie aus so vielen anderen Länder (15 von 37) erhielt Eden Golan auch beim deutschen Televoting zwölf Punkte, durch die Jurys immerhin noch den dritthöchsten Wert, acht Punkte. Der ARD-Kommentator Thorsten Schorn, durchaus befrischender Nachfolger des gewöhnlich queer­ignorierenden Peter Urban, leistete sich allerdings eine schwere Erklärpanne. Anders als Jan Böhmermann und Olli Schulz, die für den österreichischen FM4 (öffentlich-rechtlich beim ORF) kommentierten und bei den Buhrufen gegen Israel und die EBU, die Israel nicht suspendieren wollte, beherzt ein „F*uck …“ ausriefen und die Schamlosigkeit dieser respektlosen Gesten nicht auf sich beruhen lassen wollten, sagte Schorn lediglich, es habe Proteste gegen Israel gegeben von Menschen, die sich fragten, so scheinheiligte dieser Kommentator, warum Russland ausgeschlossen wurde und Israel nicht – beide führten schließlich Kriege –, jedoch ohne zu erwähnen, dass die EBU prüft, ob die mit ihr vernetzten TV-Sender journalistisch, nicht nur propagandistisch arbeiteten. In Russland, darauf kam es an, eben nicht; in Israel sehr wohl durch die TV-Kette KAN.

Die ARD war beim ESC nie gut in der Bericht­erstattung zu politischen Umständen – aber an dieser Stelle war sie mal wieder: feige, kleinlaut und unterinformiert.