Rough Trade-Laden in Berlin: Ein neuer Spielplatz für Vinyl
Rough Trade ist ein berühmter britischer Plattenladen und prominentes Label. Nun hat eine Dependance in Berlin eröffnet. Die Musik gibt es da nur auf Vinyl.
S o mancher Musikliebhaber dürfte bei dem Schriftzug, der nun an einem Neubau in der Neuköllner Karl-Marx-Straße 101 prangt, ehrerbietig und dankbar an große vergangene Musikepochen zurückdenken. „Rough Trade“ steht dort in großen Lettern geschrieben, hier befindet sich fortan die erste Berliner Dependance des berühmten britischen Plattenladens, der einst in London zum place to be für Punk- und Postpunkfans wurde.
In der Gegend Ladbroke Grove 1976 als Schallplattenladen gegründet, rief Inhaber Geoff Travis kurz darauf auch ein Label gleichen Namens ins Leben. Bands wie Cabaret Voltaire, The Smiths, Sleaford Mods und viele weitere haben dort in all den Jahren veröffentlicht. Außerhalb Großbritanniens gab es immer mal wieder Versuche, Rough-Trade-Läden zu etablieren – etwa in Hamburg (wo später „Ruff Trade“ daraus wurde), Paris und Tokio. Seit 2013 gibt es auch eine New Yorker Filiale.
Nun also neben Neuyork auch noch Neukölln. An Tonträgern gibt es hier ausschließlich Vinyl zu kaufen, der Laden ist das eine Standbein der frisch gegründeten Firma Rough Trade Europe. Das andere ist der Onlineverkauf von Vinyl, CDs, Merchandise und vielem mehr für den europäischen Markt. Geschäftsführer ist Curt Keplin, der seit 2004 für verschiedene Labels und Firmen im Musikbusiness tätig war, unter anderem für Kobalt, City Slang und V2.
Den Standort des neuen Shops hält er für perfekt: „In Neukölln sind viele Clubs wie das Huxleys, das Hole 44 und kleinere Indieclubs, hier schwingt die Musik jeden Tag mit. Da passen wir gut rein.“ Der Firmensitz Deutschland sei auch wegen des Brexits gegründet worden, sagt Keplin.
Gleich am ersten Tag gut gefüllt
Nun können die in der EU lebenden Kund:innen bei Rough Trade bestellen und einkaufen, ohne dass Zollgebühren anfallen wie in Großbritannien. Auch in Deutschland steigt der Vinylab- und -umsatz seit einigen Jahren wieder deutlich (von 70 Millionen Euro Umsatz 2018 auf 124 Millionen im Jahr 2022). Daher verwundert es nicht, dass man auch hier voll auf Vinyl setzt.
Rumgesprochen zu haben scheint sich die Neueröffnung diese Woche, der Laden ist gleich am ersten Tag gut gefüllt. Angegraute Mid-Ager schauen sich neugierig um, junges hippes Publikum sitzt am Tresen des Cafés, das Teil des Ladens ist. Klassiker von The Slits oder My Bloody Valentine stehen in den Regalen. Im hinteren Bereich bügelt eine Mitarbeiterin gerade ein The-Clash-Shirt glatt, es gibt Rough-Trade-Fanschals, -Käppis, -Tassen und -Anhänger zu kaufen.
Für das Expat-Publikum, dasganz versessen ist auf die Berliner Passfotoautomaten, ist ein solcher gleich im Laden aufgestellt – bald soll man hier Passfotos mit Rough-Trade-Prägung machen können.
Ein weiterer Club soll öffnen
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Der neue Shop mag wenig von dem roughen ursprünglichen Laden in London haben, den die BBC mal als „Headquarter for punk’s revolt against mainstream music“ bezeichnet hat. In Neukölln wirkt der Shop viel cleaner und auch etwas steril, er muss erst noch mit Leben gefüllt werden.
Doch er ergänzt andere kulturelle Akteure der Stadt, Betreiber Keplin kooperiert mit der Neuköllner und Kreuzberger Subkultur. So verkauft der altehrwürdige Synthesizerhändler SchneidersLaden hier seine Produkte, es gibt Craftbeer und Kaffee von lokalen Anbietern. Rough Trade ist also weit mehr als nur ein Plattenladen, Musikbücher werden verkauft, auch ein eigens geprägter Rough-Trade-Plattenspieler ist zu erwerben.
Doch Rough Trade ist in dem neu gebauten Gebäude, auf dessen Gelände früher ein Kaufhaus und ein Parkhaus waren, nur ein Baustein in einem geplanten Kultur- und Einkaufskomplex. Ein weiterer Club mit einer Kapazität von 600 Besucher:innen soll Ende des Jahres hier eröffnen, betrieben von den Machern des Zig Zag Jazz Clubs. Im benachbarten Laden wird es einen Foodmarket geben, „ähnlich wie der Time Out Market Lissabon“, wie Keplin sagt. Zudem zieht ein Supermarkt ein.
Eine Art Gegenentwurf zu den Neukölln Arcaden entsteht hier; statt des Shoppingcenters ein neuer Spielplatz. Passend zum hedonistischen Milieu, das seit einigen Jahren in Neukölln angesiedelt ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos