piwik no script img

Start-up-Kultur in DeutschlandMit einem Bein im Gefängnis

Un­se­r*e Ko­lum­nis­t*in erzählt ungern über das eigene Start-up, zu verpönt ist das Gründen. Das muss sich ändern.

Schlechtes Vorbild für die Gründeszene: Theranos-Gründerin Elizabeth Holmes auf dem Weg ins Gefängnis Foto: Go Nakamura/reuters

D eutschland ist kein Gründerland. Dabei braucht es dringend mehr Menschen, die Start-ups gründen. Menschen, die innovative Ideen etwickeln. Eine Hürde ist die „Gründerszene“ selbst und das, was man gemeinhin damit assoziiert. Zu oft verkommt das Gründen zu hohlen Phrasen von Po­li­ti­ke­r*in­nen und fragwürdigem Sozialdarwinismus.

Wenn ich auf Partys erzähle, was ich beruflich so mache, sage ich oft, dass ich selbstständig bin oder ein Softwareunternehmen habe. Mir ist es dann manchmal unangenehm, zu sagen, dass ich ein Start-up habe. Das klingt dann eher nach Krypto-Bro, nicht sonderlich seriös.

Fehlt mir das „Mindset“ zum guten „Start-up-Entrepreneur“? In sozialen Medien träumen viele Menschen von Dingen, die mit Begriffen wie „Entrepreneurship“ und „Start-up“ beworben werden. Nur bewegen sich die vermeintlichen Gurus irgendwo zwischen völligem Scam und zweifelhafter Selbstdarstellung. Oft ist es vom Social-Media-Entrepreneurship nur ein kleiner Schwenk zum Multi-Level-Marketing-Netzwerk.

Bei Start-ups häufen sich die schwarzen Schafe, etwa auf der „Forbes under 30“-Liste. Das ist sozusagen der heilige Gral für Un­ter­neh­me­r*in­nen unter 30. Wäre da nicht ein kleines Problem: Vielen ihrer Mitglieder drohen rechtliche Auseinandersetzungen. Auf dieser Liste landen augenscheinlich sehr erfolgreiche junge Un­ter­neh­me­r*in­nen – deren „Erfolg“ sich später als Betrug entpuppt.

Im großen Stil betrügen

Elizabeth Holmes etwa betrog mit ihrem Unternehmen Theranos im Multimilliardenbereich. Die Krypto-Börse FTX musste 2021 zugeben, dass ihre Reserven nicht gedeckt waren. Das Start-up Frank erfand 4 Millionen Kund*innen, um eine höhere Bewertung zu erhalten. Alles keine Ausnahmen.

Natürlich landet nicht die Hälfte aller Grün­de­r*in­nen im Gefängnis. Aber es gibt ein Problem in der Industrie und ihrer Kultur: Die Investmentwelt rund um Venture Capital ist zu einem nicht unerheblichen Teil Scam. Große Kapitalgeber rechnen mittlerweile damit, hin und wieder im großen Stil betrogen zu werden.

Auf der Suche nach revolutionären Ideen prüfen die In­ves­to­r*in­nen die Versprechen der Start-ups kaum. Erst war Blockchain im Trend, jetzt ist es KI. Bei den Kapitalgebern fehlt die Expertise und die Bereitschaft, sich diese für eine Prüfung der Wirtschaftlichkeit einzukaufen. Nach kurzer Zeit kommt schon der nächste Trend. Cloud Computing, KI und sogar Blockchain können spannende Technologien sein, lösen aber kein Problem. Innovative Software braucht eine innovative Idee.

Es besser machen als alle anderen zuvor

Die „Gründerkultur“ zieht keine In­ge­nieu­r*in­nen an, die aus realen Problemlösungen profitable Unternehmen mit seriösen Geschäftsmodellen machen. Stattdessen ist sie attraktiv für junge Menschen, die für schnelles Geld bereit sind, zu lügen und zu schummeln. Wer ohne große Übertreibungen ein Investment sucht, wird von denjenigen ausgestochen, die diesen Realismus als Dorn im Auge für ihren schnellen Reichtum sehen.

Die größte Disruption in der Softwarewelt ist meistens die, die ein bestehendes Problem besser löst als bisher. Weder Facebook noch Twitter oder Tesla waren die Ersten auf ihrem Gebiet: Sie haben es nur besser gemacht als alle anderen zuvor. Diese gefährliche Kultur betrifft mittelbar alle, die vielleicht ohne Bling-Bling und dreifacher KI-Blockchain-Technologie wirklich gründen wollen und dafür Unterstützung benötigen. Für sie wird diese Szene zunehmend unattraktiv, sie gründen eher nicht. Und das ist furchtbar schade.

Transparenzhinweis: In einer früheren Version dieser Kolumne hieß es, dass mehr als der Hälfte der Mitglieder der „Forbes unter 30“-Liste eine Gefängnisstrafe droht. Richtig ist, dass vielen Mitgliedern rechtliche Auseinandersetzungen, aber nicht zwangsläufig Gefängnisstrafen drohen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • Warum gelten Unternehmensgründungen a prori als gut? Ernstgemeinte Frage. Welchen gesellschaftlichen Vorteil bringt ein Unternehmen, ganz ohne Berücksichtigung seines Geschäftsfelds?

    Dafür sprechen vielleicht Arbeitsplätze und gegebenenfalls die Produkte oder Dienstleistungen, die der Gesellschaft nutzen könnten.

    Dagegen spräche aber bei einem leergefegten Arbeitsmarkt, dass die Arbeitskräfte in gesellschaftsfördernden Berufen (Pfleger, Ärztin, Steuerfahnderin, Busfahrer, Erzieherin usw.) fehlen, der Ressourcenverbrauch und eben die Produkte und Dienstleistungen, die produziert werden.

    Ohne dies zu Berücksichtigen finden ich das Pauschale Lob für jede Gründung unpassend. Bei Erwerbsarbeit würde ja auch niemand auf die Idee kommen, zu sagen: „wir sollten stolz auf jeden Arbeitnehmer sein!“



    Die Kinderärztin oder der Pfleger im Krankenhaus, die ohne Gründung viel gutes und lebenswichtige tut, erscheint mit nicht pauschal weniger lobenswert, als der Selfmade Gründet eines Marketingungernehmens. Ganz im Gegenteil.

    Mir kommt der ganze Diskurs etwas vor, wie eine PR Maßnahme für den Neoliberalismus.

    Womit ich ausdrücklich NICHT sagen will, dass es nicht auch äußert bewundernswerte Gründjngen geben kann.

  • Leider werden in Deutschland zu oft und systematisch junge Unternehmen abgemahnt, und müssen dann schließen. Es ist ein Dilemma für mutige junge Menschen. Anstatt stolz zu sein auf jede Unternehmensgründung, gibt es kaum soziale, und wirtschaftliche Unterstützung. Meist sind die wirtschaftlichen Unterstützungen, sehr eng ausgeschrieben auf eine Zielgruppe. Zusätzlich muss man Pitchen und sich wie im Zirkus beweisen, oder aus der Arbeitslosigkeit heraus gründen,für die Anträge braucht es eine Agentur die diese ausfüllt oder für die Gründer beantragt, das kostet Geld. Zusätzlich ist es wieder ein Pitch und wieder eine persönliche Meinung ob die Gründungsidee die beste des Jahres ist. Demotivierend und konservative Strukturen. Und es dauert zu lange.

  • Ist schon länger her, aber wohl immer noch aktuell: Im persönlichen Gespräch mit einem in den USA mehrfach erfolgreichen deutschstämmigen StartUp - Investor ging es um die Frage, warum wir hierzulande relativ wenig erfolgreiche technologiegetriebene neue Unternehmen haben. Seine These war, vielen Deutschen mangelt es vor allem an der Bereitschaft mit vollem Einsatz und vollem Risiko alles zu geben. Das zeige sich bei Banken, Behörden, Betrieben und eben auch in der Breite der Gesellschaft. Es gäbe sehr viel Verständnis für vollversichernde Vorsicht und sehr wenig Faszination für Veränderung. Manchmal hätte er den Eindruck, die Menschen hierzulande wüssten gar nicht mehr, in welch rauher Wirtschaftswelt sie leben.

  • Ah, ich find's ganz gut, wenn eine toxische Kultur mal ein bisschen schrumpft.

    Vielleicht öffnet das dann ein Fenster für etwas neues. Das Problem wird aber das Geld sein: Die toxische Kultur hat ja genau da ihren Ursprung.

    Hab das bei dem Startup eines Freundes miterleben können: Die ganzen ethisch guten Ideen haben die diversen Investorenrunden nicht überlebt.

  • Ich finde es schade, dass unter dem Begriff Start-up immer nur Software Unternehmen verstanden werden und nur diese öffentlich abgefeiert werden. Verdient nicht jede Unternehmensgründung Anerkennung?

    • @DanPan:

      "Der Begriff Start-up kennzeichnet junge Unternehmen mit innovativen und skalierbaren Produkten, Dienstleistungen, Geschäftsmodellen oder Technologien."



      Natürlich sind auch andere Unternehmensgründungen anerkennenswert. Aber vielen fehlt halt entweder die Skalierbarkeit oder die Innovative Idee.