Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland: Mehr Bauchfreiheit
Nach wie vor ist Abtreibung in Deutschland nach Paragraf 218 verboten. Experten empfehlen nun die Legalisierung von Abbrüchen am Anfang der Schwangerschaft.
Ein Jahr lang hat die von der Bundesregierung eingesetzte „Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin“ zwei Fragen erörtert: Einmal, ob und inwiefern Schwangerschaftsabbrüche außerhalb des Strafgesetzbuchs geregelt werden können. Und, zum Zweiten, ob und inwiefern Eizellspende und altruistische Leihmutterschaft legalisiert werden sollten.
Am kommenden Montag will das Team aus 18 Wissenschaftler*innen seine Einschätzung dazu vorlegen. Nun berichtete der Spiegel vorab – und setzte damit das Thema Schwangerschaftsabbrüche vorzeitig auf die politische Tagesordnung.
Bahnbrechend an dem Bericht ist, dass zum ersten Mal hierzulande eine ernsthafte Abwägung der Grundrechte der Schwangeren und der Rechte eines Embryos vorgenommen wird. Ein Zwang zur Fortsetzung einer noch frühen Schwangerschaft stelle einen „nicht zu rechtfertigenden Eingriff in die Grundrechte der Frau dar“. Je kürzer die Schwangerschaft bestehe, desto eher sei ein Schwangerschaftsabbruch zulässig.
Krankenkassen sollen Kosten übernehmen
In den ersten drei Monate sollen Abbrüche demnach legal sein – offen lassen die Sachverständigen aber, ob das über weitreichende Ausnahmen im Strafrecht geregelt oder ob der Paragraf 218 ganz aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden sollte. In dem Fall könnte er durch ein eigenes Gesetz für reproduktive Rechte ersetzt werden.
Nach den ersten drei Monaten lässt die Kommission dem Gesetzgeber viel Spielraum. Erst ab der eigenständigen Lebensfähigkeit des Fötus außerhalb der Gebärmutter solle er „den Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich nicht erlauben“. Ausnahmen etwa bei medizinischer Indikation müssten aber jederzeit ermöglicht werden. Bislang sind ungewollt Schwangere zudem vor einem Abbruch verpflichtet, sich beraten zu lassen – ob dies weiterhin so sein oder die Pflicht abgeschafft werden soll, auch da legt die Kommission sich nicht fest.
Die Kommission empfiehlt, dass die Kosten für Abbrüche mindestens in den ersten drei Monaten von den Krankenkassen übernommen werden sollen. Auch fordert sie kostenfreien Zugang zu Verhütungsmitteln und für alle Frauen Zugang zu qualitativ hochwertigen Informationen sowohl zu Verhütung wie auch zu Abbrüchen.
Ja zu Eizellspenden, vorsichtiger bei Leihmutterschaft
Eine zweite Arbeitsgruppe der Kommission beschäftigte sich mit der Frage, ob Eizellspende und altruistische Leihmutterschaft hierzulande legalisiert werden sollten. Eizellspende bedeutet, dass Eizellen außerhalb des Körpers befruchtet und einer anderen Person wieder eingepflanzt werden. Leihmutterschaft bedeutet, dass eine Person die Schwangerschaft für eine andere Person austrägt, möglicherweise mit deren Eizellen. Beides hält die Kommission für möglich, wenn auch mit Abstufungen.
Das seit 1990 geltende Verbot von Eizellspenden sei „überholt und nicht mehr überzeugend“. Unter bestimmten Bedingungen sei der Vorgang sowohl verfassungsrechtlich wie auch ethisch vertretbar: Dazu zählt neben Aufklärung und freiwilliger Einwilligung der Spenderin auch ein Spenderinnenregister analog zum Samenspenderregister. So soll das Recht des Kindes auf Kenntnis der eigenen Abstammung gewahrt werden. Für die Entnahme der Eizellen müssten medizinische Verfahren genutzt werden, die die Belastung der Spenderin so gering wie möglich halten. Zudem müsse die Aufwandsentschädigung für den körperlichen und psychischen Aufwand der Spenderin „angemessen“ sein. Was das konkret bedeutet, bleibt offen.
Beim Thema Leihmutterschaft formuliert die Kommission vorsichtiger. Sofern sowohl der Schutz der Leihmutter als auch das Kindeswohl gewährleistet würden, könne diese in einigen Fällen zugelassen werden. Das Austragen einer Schwangerschaft für eine andere Person aber berge „selbst in altruistisch angelegten Modellen“ Potenzial für Missbrauch, heißt es im Bericht. Es liege deshalb im Ermessen des Gesetzgebers, auch am bisherigen Verbot von Leihmutterschaft festzuhalten.
Für den Fall einer Legalisierung formuliert die Kommission Bedingungen: Eine Leihmutter müsste bereits mindestens ein Kind geboren haben. Alle medizinischen Verfahren müssten möglichst geringe Belastungen für sie mit sich bringen. Abstammungsrechtlich müsse eine eindeutige Zuordnung des Kindes zu den Wunscheltern ermöglicht werden – zugleich aber müsse der Austragenden das Recht eingeräumt werden, sich innerhalb einer „kurzen Frist“ nach der Geburt doch noch dafür zu entscheiden, selbst rechtliche Mutter des Kindes zu werden. Auch hier müssten eine „angemessene Aufwandsentschädigung“ sowie das Recht des Kindes auf eigene Abstammung gewährleistet werden.
Bundesregierung hält sich bedeckt
Aus den beteiligten Ministerien für Gesundheit, Frauen und Justiz war am Dienstag kein Kommentar zu bekommen. Sie alle verwiesen auf die Vorstellung der Kommissionsergebnisse am Montag. Auch von den Grünen war keine Stellungnahme zu bekommen. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Ralf Mützenich sagte lediglich, die Koalitionspartner könnten mit diesem Bericht „ihre Argumente schärfen“ – dies würde man aber zunächst intern tun.
Anders die Opposition: Der Unionsfraktionsgeschäftsführer Thorsten Frei (CDU) kündigte umgehend an, im Fall einer Liberalisierung beim Bundesverfassungsgericht klagen zu wollen. Etwas zurückhaltender reagierte CDU- und Fraktionschef Friedrich Merz: Er hoffe, dass der Kanzler „die Koalition davon abbringen wird, einen weiteren gesellschaftlichen Großkonflikt in dieses Land zu tragen“. Man werde aber zunächst „in der Sache argumentieren und nicht gleich den Weg nach Karlsruhe gehen“.
Die Vorsitzende der Linke-Gruppe im Bundestag hingegen begrüßte, dass die Kommission nicht nur die Legalisierung innerhalb der ersten zwölf Wochen empfehle, „sondern auch klar sagt, dass es möglich ist, den Zeitraum für Schwangerschaftsabbrüche zu erweitern“. Die Bundesregierung müsse nun zügig einen Gesetzentwurf vorlegen, so Heidi Reichinnek.
Auch Pro Familia begrüßte die Empfehlungen. Die Spielräume, die die Kommission dem Gesetzgeber lasse, müssten „umfänglich genutzt werden“, fordert die Organisation und drängt die Politik zum Handeln: Die Regierung müsse „notwendige Gesetzesänderungen noch in dieser Wahlperiode konzipieren, konsultieren und beschließen lassen“.
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