ARD-Spielfilm „Am Abgrund“: Lieber Geschenke als Menschenrechte
Ein Politthriller beschäftigt sich mit korrupten deutschen Europapolitikern, die als Wahlbeobachter in Aserbaidschan waren. Souverän und packend erzählt.
Kennt jemand Frank Schwabe aus Recklinghausen? Besser wär’s. Denn ohne den SPD-MdB würde wohl immer noch andere Abgeordnete brav das Händchen heben und für ein Whitewashing Aserbaidschans sorgen. Obwohl allseits bekannt sein sollte, dass die ehemalige sowjetische Republik unter ihrem Langzeitpräsidenten Ilham Alijew nicht einmal zur Grauzone taugt. Schwabe ist Vorbild für den fiktiven SPD-Politiker Gerd Meineke, der in Daniel Harrichs Film „Am Abgrund“ als Wahlbeobachter nach Baku reist, um in eben diesen Abgrund zu blicken.
Die Handlung folgt dabei eng den höchst realen Erlebnissen von Schwabe, der als Mitglied des Europarats als Wahlbeobachter in Aserbaidschan unterwegs war und aus dem Staunen nicht mehr herauskam. Allerdings weniger über das, was das Regime anstellt. Das ist so schlimm wie bekannt.
Wie der reale Schwabe ist auch der fiktive Meineke – mit souveränem Pott-Arbeitnehmervertretercharme gespielt von Hans-Jochen Wagner – vielmehr über das Verhalten seiner Parlamentskoleg*innen verstört. Denn die ignorieren sowohl dreiste wie subtile Manipulation, nehmen gern den goldenen Füller aufs Haus und gehen wie die Abgeordnete Kerstin Strauch am Wahltag lieber Shoppen.
Teppiche und Kaviar
Zu den längst Korrumpierten gehört auch Meinekes CDU-Kollege Herbert Pfleiderer für den „Teppiche und Kaviar“, wie es im Film so schön heißt, einfach als landestypische Kulturpflege dazugehören. Das ist dann mal eine hübsche Paraderolle für den in Harrichs Filmen stets gesetzten Heiner Lauterbach.
„Am Abgrund“, 6. März, 20.15 Uhr ARD, danach abrufbar in der Mediathek
Und so ist es kein Wunder, dass in der parlamentarischen Versammlung des Europarats nicht nur die Wahl für okay befunden wird, sondern auch der Antrag durchfällt, wenigstens die Existenz politischer Gefangener anzuprangern, was danach nicht nur die Delegation aus Baku feiert. Übrigens gehört auch das leider zur Realität und hat 2013 genauso stattgefunden.
Ein bisschen fiktional wird’s dann schon noch. Meineke ist nebenbei in höchst familiärer Mission unterwegs. Die Tochter seiner aus Aserbaidschan stammenden Partnerin Alina (Jasmin Tabatabai) ist kritische Bloggerin und sitzt gerade in dem Land, in dem es angeblich gar keine politischen Gefangenen gibt, im Knast, weil sie Jennifer Lopez vor ihrem Auftritt eine kritische Frage stellen wollte. (Auch den Auftritt hat es 2012 wirklich gegeben). Leyla (Luna Jordan) ist aber nicht nur Bloggerin, sondern heimlich mit Valentina (Alina Levshin) liiert, die als Assistentin des Leiters der Europarat-Delegation Aserbaidschans ein Doppelleben führt.
Europarat reagiert
Das Ganze erzählt Daniel Harrich (Recherche, Buch und Regie) souverän und sogar noch ein bisschen packender als sonst bei seinen „investigativen Spielfilmen“. Aber auch diesmal ist es das Gesamtkunstwerk mit anschließender Doku, die „Am Abgrund“ auszeichnet.
So erschließt sich die erbärmliche Rolle, die die reichen Staaten des Westens spielen. Denn es geht, womit sich dann auch der Titel dieses ARD-Themenabends erschließt, um den „Kampf um Rohstoffe“. Vor allem die seltenen, die wir aber unbedingt für den Umstieg in eine klimatisch beherrschbare Welt brauchen. „Es geht um die Frage, wie weit wir bereit sind zu gehen“, hat Daniel Harrich bei einer Aufführung des Films vor Abgeordneten des Deutschen Bundestags bei der Berlinale gesagt.
Apropos Bundestag: Auch die fiktive MdB Kerstin Strauch gab es wirklich, es handelt sich um die 2021 verstorbene CDU-Politikerin Katrin Strenz. Und die Staatsanwaltschaft ermittelt nun gegen die Unionspolitiker Axel Fischer und Eduard Lintner, die ebenfalls vom aserbaidschanischen Regime geschmiert worden sein sollen. Fischer (CDU) war 2021 Bundestagsabgeordneter und saß wie Strenz auch im Europarat. CSU-Mann Lintner war bis 2009 im Parlament und lobbyiiert seitdem ganz offiziell für Aserbaidschan. Und der Europarat? Hat auf Antrag von Schwabe & Co. Ende Januar die aserbaidschanische Delegation für mindestens ein Jahr ausgeschlossen.
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