Emanzipatorische Medienkritik: Selbstreflexion jetzt!
Der deutsche Journalismus hat Probleme. Doch Kritik kommt vor allem von rechts. Das muss sich ändern. Denn weniger Meinungsvielfalt nutzt niemandem.
Die Medienkritik verhält sich zu den Medien wie die Ornithologie zu den Vögeln: Die Vögel wollen davon nichts wissen.“ Das sagt der Soziologe Harald Welzer, der zusammen mit dem Philosophen Richard David Precht 2022 einen Bestseller mit dem Titel „Die vierte Gewalt. Wie Mehrheitsmeinung gemacht wird, auch wenn sie keine ist“ veröffentlicht hat. Tatsächlich reagieren viele Medienvertreter dünnhäutig auf Kritik, vor allem wenn sie grundlegender Art ist. Strukturelle Kritik, die über einzelne Skandale hinausgeht, wird schnell in die Nähe rechter Verschwörungsideologien gerückt, selbst wenn sie wie im Fall von Welzer von linksliberaler Seite kommt.
Empfohlener externer Inhalt
Dabei gäbe es durchaus Anlass zu einer kritischen Selbstreflexion. Es sei nicht von der Hand zu weisen, dass es eine Repräsentationslücke zwischen öffentlicher und veröffentlichter Meinung gebe, so der Kommunikationsforscher Uwe Krüger von der Universität Leipzig. Eine Auswertung der Beiträge von deutschen Leitmedien zum Ukrainekrieg habe gezeigt, dass Stimmen, die sich für die Lieferung schwerer Waffen und gegen diplomatische Initiativen aussprachen, mit Abstand die größte Präsenz in den führenden Medien hatten. Dagegen lehnte im selben Zeitraum laut Umfragen etwa die Hälfte der deutschen Bevölkerung solche Waffenlieferungen ab, mehr als die Hälfte wünschte sich mehr Diplomatie.
Eine militaristische Schlagseite der deutschen Medienlandschaft sei kein neues Phänomen, so Krüger. Ob Krieg gegen Serbien oder in Afghanistan, stets war die große Mehrheit der Leitartikel in den führenden deutschen Medien dafür, während sich die Bevölkerung mehrheitlich ablehnend äußerte.
Dieser Artikel ist eine gekürzte Fassung eines Beitrags, der in der Märzausgabe der französischen LeMondeDiplomatique erscheint.
Krüger war 2013 mit einer Dissertation bekannt geworden, in der er die Einbettung führender deutscher Journalisten in transatlantische Thinktanks untersucht hatte. Dabei zeigte er, dass Topjournalisten von der Süddeutschen Zeitung, Zeit, FAZ bis zur Bild in transatlantischen Denkfabriken wie der Atlantik-Brücke oder der Trilateralen Kommission Mitglied waren, ohne dies in ihren Publikationen offenzulegen.
Eine Frame- und Inhaltsanalyse als Teil der Dissertation ergab, dass die Texte dieser einflussreichen Journalisten durchgängig den US- und Nato-freundlichen Positionen dieser Organisationen entsprachen. Selbst der stellvertretende Chefredakteur der Zeit, Bernd Ulrich, räumte ein, dass die transatlantischen Netzwerke ein „Transmissionsriemen für die amerikanische Denkart in der Außenpolitik“ seien.
Transatlantische Netzwerke
Doch trotz der Wellen, die Krügers Studie und die Kabarettsendung „Die Anstalt“, die das Thema verarbeitete, damals schlugen, wurde die Forschung an diesem Thema nicht fortgeführt. Auch die großen Medien verfolgten es nicht weiter.
Dabei ist die Frage, ob und wie transatlantische Netzwerke die Berichterstattung beeinflussen, angesichts der Eskalationsgefahren vom Ukrainekrieg über den Nahen Osten bis China von höchster Aktualität und nicht weniger brisant als die Frage nach Einflüssen der russischen Propaganda.
Die Einbettung in Elitenetzwerke ist jedoch bei Weitem nicht die einzige Ursache für potenzielle Verzerrungen in der Berichterstattung. Sinkende Auflagen, wegbrechende Anzeigenkunden und die Konkurrenz durch schnelle Umsonst-Infos aus dem Internet haben die Medienbranche in den letzten Jahrzehnten tiefgreifend verändert. Sabine Schiffer, Gründerin des Instituts für Medienverantwortung in Erlangen, weist darauf hin, dass für viele Journalisten ihre Arbeit deutlich prekärer geworden ist. Mutiges Anschwimmen gegen den Strom sei heute wesentlich schwieriger, Karriere würden vor allem Opportunisten machen.
Eine weitere problematische Entwicklung verschärft die Zeitungskrise: die zunehmende Eigentumskonzentration. Im Bereich der Tagespresse werden 57 Prozent der Marktanteile von den zehn größten Medienkonzernen gehalten, bei den Boulevardzeitungen liegt die Konzentration sogar bei über 98 Prozent.
Monopole bei Tageszeitungen
In über zwei Dritteln aller Landkreise und Städte hat ein einzelner Konzern sogar ein Monopol bei Tageszeitungen, so etwa in Köln, Stuttgart, Hannover, Nürnberg, Freiburg, Magdeburg, Kiel, Mainz, Wiesbaden, Erfurt, Leipzig und dem größten Teil des Ruhrgebiets.
Im Bereich der Wochenzeitungen sieht es ähnlich aus, bei Publikumszeitschriften etwa sind sogar knapp 63 Prozent in der Hand von fünf Konzernen. Der Großteil dieser marktbeherrschenden Konzerne gehört wiederum in Teilen oder ganz einer kleinen Schar von Milliardären oder Fast-Milliardären, darunter die Familien Mohn (Bertelsmann/RTL/Gruner und Jahr), Springer/Döpfner (Bild, Welt u. a.), Holtzbrinck (Die Zeit, Tagesspiegel u. a.), Schaub (Medien-Union/Süddeutsche Zeitung u.a.), Burda (Focus u. a.) und Becker/Marx/Wilcke (Funke-Gruppe).
Zwar mischen sich Eigentümer selten in die tägliche redaktionelle Arbeit ein, aber sie bestimmen Chefredakteure und Budgets und üben so erheblichen Einfluss auf die redaktionelle Linie aus. Dass man in einem Land, in dem die meisten Medien Milliardären gehören, wenig darüber liest, wie man deren übermäßigen Reichtum durch Steuern oder Vergesellschaftung lindern könnte, um die öffentlichen Haushalte zu sanieren, ist kaum erstaunlich.
Die Eigentumsverhältnisse sind allerdings nicht der einzige Faktor, der Meinungsvielfalt und kritische Selbstreflexion einschränkt. Die tonangebenden Medien würden, so Harald Welzer, bei bestimmten Themen immer näher zusammenrücken und eine Art Korpsgeist entwickeln, auch wenn sie konkurrierenden Unternehmen angehören.
Diesen Korpsgeist hat der Sozialpsychologe Irving Janis einst als groupthink bezeichnet. Janis hatte in den frühen 1970er Jahren erforscht, wie Anpassungsdruck in Eliten zu fatalen Fehlentscheidungen führen konnte, von der gescheitertem US-Invasion in der kubanischen Schweinebucht über die Eskalation des Vietnamkrieges bis zum Watergate-Skandal. Die Zugehörigkeit zu einer bestimmen in-group wird in Entscheidungssituationen höher gewichtet als klares Denken und ethische Maßstäbe. Abweichende Sichtweisen und alternative Lösungsstrategien werden als gruppengefährdend ausgeblendet und sogar bekämpft.
Diese Tendenz zum groupthink war nicht nur im Ukrainekrieg, sondern auch schon in der Coronapandemie in deutschen Medien zu beobachten. Zwar gab es einen gewissen Spielraum für Debatten, doch wurden Kritiker bestimmter Regierungsmaßnahmen wie Lockdowns, Schulschließungen und 2G-Maßnahmen von einigen führenden Medien pauschalisierend als „Schwurbler“ oder „Covidioten“ abgetan, selbst wenn sie ernsthafte Argumente ins Feld führten.
Für Heribert Prantl, bis 2019 Mitglied der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung, stellten diese Abwertungen von Kritikern einen groben Fehler und einen Missbrauch der Pressefreiheit dar. „Journalisten sollten mit Argumenten streiten, nicht mit Verbalinjurien“, so Prantl.
Auch unverhohlen autoritäre Tendenzen wurden salonfähig. So veröffentlichte etwa die Süddeutsche Zeitung einen großen Essay des Schriftstellers Thomas Brussig mit dem ganz und gar ernst gemeinten Titel „Mehr Diktatur wagen“. Prantl kommt zum Schluss: Gerade in einer Zeit, in der die Staatsgewalten von der Exekutive über die Legislative bis zur Judikative Grundrechtseinschränkungen durchsetzten, hätte die vierte Gewalt als Korrektiv einschreiten müssen.
Der Krieg in Gaza bietet ein weiteres Beispiel für eine beunruhigende Konvergenz von Massenmedien und Staatsmacht. Die eklatante Falschbehauptung des deutschen Kanzlers Olaf Scholz am 14. November 2023, dass sich die Regierung Netanjahu bei ihren Bombardierungen in Gaza an Völkerrecht und Menschenrechte halte und alle anderslautenden Behauptungen „absurd“ seien, hat in den deutschen Leitmedien kaum Kritik erfahren.
Wann aber hat die Tendenz zum Gruppendenken in Deutschland eingesetzt und warum? Uwe Krüger hat um die Jahre 2013 bis 2015 eine deutliche Veränderung in Deutschland wahrgenommen. Medienkritik würde inzwischen leicht von rechten Verschwörungstheoretikern vereinnahmt oder mit ihnen in Verbindung gebracht.
Damals, zwischen 2013 und 2015, entstanden AfD und Pegida-Bewegung, die das Schlagwort „Lügenpresse“ verbreiteten. Diese Entwicklung leistete einer fatalen Polarisierung Vorschub: Während rechte Kreise das Feld der Medienkritik immer weiter besetzen konnten, bildeten viele Leitmedien eine Art Wagenburgmentalität aus und immunisierten sich gegen Kritik, indem sie sich als Verteidiger der freiheitlichen Ordnung gegen den rechten Mob inszenierten.
Eine grundlegende Kritik an der Funktionsweise von Massenmedien wurde zunehmend zwischen diesen Fronten zerrieben. Dabei ist eine solche Kritik aus emanzipatorischer Sicht heute notwendiger denn je, gerade auch um der Rechtsentwicklung entgegenzuwirken.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Steinmeiers Griechenland-Reise
Deutscher Starrsinn
Orbán und Schröder in Wien
Gäste zum Gruseln
Serpil Temiz-Unvar
„Seine Angriffe werden weitergehen“
Rechtsruck in den Niederlanden
„Wilders drückt der Regierung spürbar seinen Stempel auf“
Koalitionsverhandlungen in Potsdam
Bündnis fossiles Brandenburg
VW in der Krise
Schlicht nicht wettbewerbsfähig