Flüchtlingszentrum Tegel: Scharfe Kritik an „Lagerschule“

Flüchtlingsorganisationen bezichtigen Bildungssenatorin der Lüge: Sie hätten der neuen „Lagerschule“ in Tegel nie zugestimmt. Auch Linke üben Kritik.

Blick auf eine der Leichtbauhallen in Tegel, wo inzwischen rund 4.000 Flüchtlinge leben Foto: dpa

BERLIN taz | Die neue Flüchtlingsschule im Ankunftszentrum Tegel bleibt hoch umstritten. „Wir lehnen sowohl Lagerschulen als auch den gesamten Lagerkomplex Tegel ab. Das Ankunftszentrum Tegel ist ein Un-Ort, wo Menschen abgeschottet hinter Stacheldraht und unter menschunwürdigen Bedingungen leben müssen“, sagt Sina Stach vom Flüchtlingsrat in einer gemeinsamen Pressemitteilung von Flüchtlingsrat, dem Beratungs- und Betreuungszentrum für junge Geflüchtete und Mi­gran­t*in­nen (BBZ) sowie dem Berliner Netzwerk für besondersschutzbedürftige Geflüchtete (BNS).

Auch die Linken lehnen die kürzlich eröffnete Lagerschule ab. „Ich habe Sorge, dass Lager und Schule zur Dauereinrichtung werden“, sagte die Sprecherin für Migration der Linksfraktion, Elif Eralp, am Sonntag der taz. Das Ankunftszentrum habe nur eine Übergangslösung für wenige Monate sein sollen, jetzt werde es immer größer und durch die Schule bekomme das „Lager“, wie auch sie es nennt, zusätzlich einen dauerhafteren Charakter. „Ich habe den Eindruck, dass die Koalition sich nicht wirklich bemüht, Tegel zu schließen“, so Eralp.

Die Schule bedeutet eine Abkehr von der bisherigen Politik, Flüchtlingskinder im Sinne einer möglichst raschen Integration Flüchtlingskinder in Regelschulen unterzubringen – auch wenn sie zunächst in Willkommensklassen zum Deutsch lernen separiert werden. Doch die Verwaltung kann die auch für Flüchtlingskinder geltende Schulpflicht schon länger nicht mehr garantieren, es fehlt an Schulplätzen. Zugleich müssen die Menschen inzwischen im Schnitt über ein halbes Jahr im Ankunftszentrum Tegel leben, bevor sie in eine Gemeinschaftsunterkunft in einem Bezirk verteilt werden, wo sie in einer Schule angemeldet werden – theoretisch. Je länger der Aufenthalt in Tegel dauert, desto länger dauert es daher, bis die Kinder eingeschult werden.

Streit um Begriff

Im Herbst hatte die Koalition daher die Einrichtung einer Schule in Tegel beschlossen, die kürzlich eröffnete. Am Mittwoch stattete Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) ihr einen Besuch ab. Aktuell werden dort in einem zweistöckigen Containergebäude etwa 300 Kinder von 12 Lehrern unterrichtet, perspektivisch sollen es 56 Lehrer für 300 Kinder werden. Derzeit gebe es in Berlin 1.220 schulpflichtige Kinder, die nicht zur Schule gingen, sagte Günther-Wünsch dort laut Tagesspiegel, 843 davon wohnten in Tegel. Die meisten sind Ukrainer.

Am Donnerstag gab es im Integrationsausschuss offenbar einen Streit zwischen Günther-Wünsch und Eralp um den Begriff „Lagerschule“. Eralp berichtete, die Senatorin habe ihr vorgeworfen, mit der Verwendung rechte Ressentiments zu bedienen. „Aber ich verwende den Begriff bewusst“, so Eralp. „Die Menschen leben dort völlig isoliert, in engsten Verhältnissen ohne Privatsphäre, der Weg in die Stadt ist weit. Das ist wie ein Lager.“ Zu Günther-Wünsch habe sie gesagt, den Begriff habe sie sich nicht ausgedacht, auch Flüchtlingsorganisationen würden ihn benutzen. Darauf habe die Senatorin erwidert, diese würden die neue Schule mittragen.

Genau das aber weisen Flüchtlingsrat, BBZ und BNS, die die Ausschusssitzung im Livestream verfolgten, in ihrer Pressemitteilung scharf zurück. Sie hätten die neue Schule weder begrüßt, noch seien sie in den Entscheidungsprozess miteinbezogen gewesen. Die Senatorin „belügt Abgeordnete und Öffentlichkeit, ohne rot zu werden“, schreiben sie. „Die Billigung einer Lagerbeschulung gibt es seitens des BNS nicht“, sagt Nicolay Büttner vom BNS. In solchen „Spezialschulen“ finde das Gegenteil von Integration statt, so die drei Organisationen. Kinder würden „ganz klar ausgegrenzt und der Möglichkeit eines Tapetenwechsels beraubt“ – aber dieser sei gerade in solch einer kinderfeindlichen Umgebung wie dem „Lagerkomplex Tegel“ unerlässlich. Nach ihrer Darstellung warten derzeit über 2.000 Flüchtlingskinder auf einen Schulplatz.

Eralp schlägt einen Runden Tisch mit den Bezirken vor, um zu sehen, wie die Kinder von Tegel möglichst in der Nähe an Schulen verteilt werden können.

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