Angeklagte über G20-Prozess: „Eine Bestrafung ohne Urteil“
Ab Donnerstag stehen in Hamburg sechs Angeklagte vor Gericht wegen der G20-Proteste 2017. Bereits jetzt kritisieren sie die Staatsanwaltschaft.
taz: Nils Jansen und Gabi Müller, mit welchem Gefühl blicken Sie auf den Ihnen bevorstehenden Prozess?
Nils Jansen: Ich bin total überwältigt von der Solidarität, die wir gerade bekommen. Aus ganz Deutschland melden sich Leute bei uns und bieten Unterstützung an. Hamburger*innen, die uns überhaupt nicht kennen, haben uns Schlafplätze angeboten. Zu jedem Prozesstag gibt es Kundgebungen vor Gericht und jetzt am Samstag eine Demo, zu der bundesweit aufgerufen wird. Denn bei diesem Prozess geht es nicht nur um uns Angeklagte, sondern um einen politischen Angriff auf die Versammlungsfreiheit.
Seit dem Gipfel 2017 sind schon viele Urteile gegen Demonstrant*innen ergangen. Im Rondenbarg-Komplex wurde schon zwei Mal Anklage erhoben. Was leiten Sie daraus für Ihren Prozess ab?
Gabi Müller: Alles ist möglich. Bisher war ja alles dabei: Es gab irre Haftstrafen für nix, dann gab’s Prozesse, die völlig in sich zusammengefallen sind, nachdem die Anklage extrem aufgebauscht worden war, und das Gericht hat am Ende Freisprüche erteilt.
Jansen: Die harten Urteile gegen G20-Demonstrant*innen haben mich schockiert. Da gab es ja mehrjährige Haftstrafen für Flaschenwürfe, bei denen niemand verletzt wurde. Carsten S., der dem NSU die Mordwaffe besorgt hat, bekam auch nur drei Jahre – für Beihilfe zu neunfachem Mord! Da wird deutlich, dass wir hier eine politisch motivierte Justiz vor uns haben. Gegen linke Demonstranten soll besonders hart vorgegangen werden. Andererseits wurde das erste Rondenbarg-Verfahren gegen Fabio V. im vergangenen Jahr endlich eingestellt. Vielleicht gerät die Staatsanwaltschaft langsam unter Druck, weil sie kaum Erfolge präsentieren kann. Und sie merkt, dass ihr Agieren nicht widerspruchslos hingenommen wird.
Müller: Ich erwarte von Seiten der Staatsanwaltschaft auch eine Entpolitisierung des Geschehens. Sie will der Demonstration den politischen Charakter absprechen und linke Proteste als sinnlosen Krawall delegitimieren.
Aus welchen Gründen haben Sie damals protestiert?
Jansen: Das besondere an Gipfelprotesten ist, dass da ganz viele Themen zusammenkommen. Zum Beispiel sind die G20 die größten Kriegstreiber der Welt, deswegen waren viele Friedensaktivist*innen da. Die G20 sind auch die größten Umweltverschmutzer, deswegen war die Klimabewegung da. Außerdem war Trump da, deswegen war es für die feministische Bewegung wichtig. Für mich als aktiver Gewerkschafter und engagierter Linker war es ein Muss, Teil der Proteste zu sein.
Müller: Bei so einem Gipfeltreffen ist es wichtig klarzumachen: Das geht nicht ohne unseren Widerspruch. Da trifft sich die herrschende Klasse und teilt Märkte und Profit unter sich auf, was negative Auswirkungen auf Millionen Menschen hat. Die Vorstellung, die Staatschefs, Wirtschaftsminister und Zentralbankchefs sitzen da und auf der Straße passiert nichts, weil es angeblich eh keinen Einfluss hat, finde ich fatal. Man muss so was öffentlich kritisieren und hat zumindest immer eine gemeinsame Erfahrung zu gewinnen.
Wie sind Sie am Morgen des 7. Juli 2017 am Rondenbarg gelandet?
Jansen: Das ist eine Frage, die auch das Gericht beschäftigen wird. Im Prozess sind verschiedene Menschen aus dem ganzen Bundesgebiet angeklagt, die verschiedene Erfahrungen gemacht haben und verschiedene politische Positionen vertreten. Durch ihre Anklage hat die Staatsanwaltschaft aus uns ein Kollektiv gemacht. Ich bitte um Verständnis, dass ich deshalb vor dem Prozess meine persönlichen Erlebnisse nicht wiedergeben werde.
Müller: Die Solidaritätsorganisation Rote Hilfe weist darauf hin, dass jede Aussage zu der Situation, so harmlos sie scheint, gegen einen verwendet werden kann. Aussageverweigerung ist auch ein politisches Statement, um zu sagen, ich kooperiere nicht mit der Klasse, die uns unterdrückt. Die Staatsanwaltschaft muss uns nachweisen, dass wir etwas getan haben – nicht andersherum. Wir müssen uns nicht dafür rechtfertigen, gegen diese gewaltvollen Verhältnisse, in denen wir leben, auf die Straße zu gehen.
Wie war es, sechseinhalb Jahre in der Erwartung dieses Prozesses zu leben?
Müller: Die staatliche Verfolgung bezweckt ja, linke Aktivist*innen mundtot zu machen und zu lähmen. Ich habe deshalb versucht, mich nicht verrückt machen zu lassen. Aber man hat es natürlich im Hinterkopf. Wenn man zum Beispiel mehrere Wochen im Urlaub ist oder für eine Zeit ins Ausland geht, muss man zusehen, dass jemand Vertrauenswürdiges die Post öffnet, falls was kommt, auf das man schnell reagieren muss.
Jansen: Ich habe es als zermürbend erlebt. Man muss sich das in der Summe vorstellen: Erst die brutale Situation am Rondenbarg, dann die tagelange Freiheitsberaubung in der Gefangenensammelstelle und Justizvollzugsanstalt, dann diese Anzeige. Fünf Monate später durchsucht die Polizei deine Wohnung, verwüstet dein Zimmer, dringt in deinen persönlichen Schutzraum vor. Dann wird dir diese riesige Akte geschickt, in der steht, es seien „hohe Haftstrafen zu erwarten“. Und dieses Ding liegt dann da sechs Jahre. Jedes Mal, wenn du deinen Briefkasten öffnest, kann da Post vom Gericht sein. Ende letzten Jahres war es dann so weit.
Gabi Müller
heißt eigentlich anders. Sie politisierte sich durch die Prekarisierung und Perspektivlosigkeit in Ostdeutschland.
Wie organisieren Sie es, zu den Prozessterminen bis voraussichtlich August 25-mal nach Hamburg zu fahren?
Müller: Da ist nicht ganz einfach. Man muss ja irgendwie frei bekommen, aber nicht jeder kann oder möchte seinen Arbeitgeber darüber informieren. Da ist Kreativität gefragt.
Jansen: Man muss sich klarmachen, was das bedeutet. Ich bin zum Beispiel selbstständig, ich kann jetzt de facto sechs Monate lang keinen Vertrag annehmen und werde einen großen Teil meiner Einkünfte verlieren. So ein Verfahren kann auch ohne Verurteilung eine finanzielle Katastrophe bedeuten. Natürlich beeinträchtigt es auch das Privatleben. Es bedeutet, dass eine Bestrafung stattfindet, ohne dass jemals ein Urteil gesprochen wurde.
Haben Sie das Gefühl, die Staatsanwaltschaft benutzt Sie, um eine Veränderung der Rechtsprechung zum Versammlungsrecht zu erzielen?
Nils Jansen
28, kommt aus Bonn und studiert Wirtschaftswissenschaften in Berlin. Er engagiert sich unter anderem bei der Gewerkschaft Ver.di.
Jansen: Genau, ich glaube, der Staatsanwaltschaft geht es nicht um uns. Eigentlich geht es darum, durch die Hintertür die Rechtsprechung zu ändern: Die bloße Anwesenheit auf der Demo soll hier bestraft werden.
Müller: Die Staatsanwaltschaft hat schon in den vergangenen Rondenbarg-Anklagen deutlich gemacht, dass sie prüfen möchte, ob die sogenannte „Hooligan-Rechtsprechung“ des Bundesgerichtshofs – also dass die Anwesenheit in einer Menschenmenge, bei der es zu Gewalt kommt, ausreicht, um verurteilt zu werden – ob diese Rechtsprechung auch auf politische Versammlungen übertragbar ist. Und das, obwohl der BGH das damals explizit ausgeschlossen hat. Der Landfriedensbruch-Paragraf wurde in den letzten Jahrzehnten immer wieder verschärft, nun will die Staatsanwaltschaft also weitere Fakten schaffen.
Jansen: Wenn die Staatsanwaltschaft damit durchkommt, könnten in Zukunft alle Teilnehmenden von Demonstrationen für eventuelle Straftaten aus der Menge kollektiv verurteilt werden. Was bleibt dann noch übrig vom Versammlungsrecht?
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