Bericht vom Kongress des PEN Berlin: Schwierigkeiten der Positionierung

Der PEN Berlin solidarisiert sich mit Israel und kritisiert illiberale Tendenzen im Kulturbetrieb. Streit vermied man auf dem Kongress tunlichst.

Die Schriftstellerin Eva Menasse lächelt entspannt in die Kamera

Hatte im Vorfeld des Kongresses Kritik auf sich gezogen: PEN-Berlin-Sprecherin Eva Menasse Foto: Jens Kalaene/dpa

Zum Skandal taugte die Festrede von A. L. Kennedy dann nicht. Die britische Schriftstellerin, über deren BDS-Nähe im Vorfeld des PEN-Berlin-Kongresses heftig diskutiert wurde, konnte am Samstagabend nur über Zoom zu ihren Zu­hö­re­r:in­nen in Berlin sprechen. Am Vortag war ihr in London der Rucksack samt Ausweisdokumenten gestohlen worden, die Ausreise aus Großbritannien war nicht möglich.

„I’m sorry everything is shit“ war die Rede überschrieben; und über das bloße Konstatieren des zweifellos desas­trösen Welt-Ist-Zustands kommt Kennedy auch kaum heraus. In dem ihr eigenen schnoddrigen Ton schimpft sie über die uralten menschlichen Dichotomien; Gut und Böse, Regierende und Regierte, Korrupte und Mittellose.

Gerade aktuell ist allerdings die Frage nach der Definition von Meinungsfreiheit, die sie stellt: Unterstützt Redefreiheit die demokratische Vielfalt der Stimmen – oder das Recht auf Lüge und Verleumdung?

Der PEN Berlin hat gerade seine erste Krise erlebt. Mehrere Mitglieder hatten den Schriftstellerverband verlassen, da sie eine Solidaritätserklärung mit Israel vermissten. Seit Freitag gibt es eine solche nun: Bei der Mitgliederversammlung wurden zwei Resolutionen beschlossen, sagt Deniz Yücel, neben Eva Menasse Sprecher des Boards des PEN Berlin, in seiner Eröffnungsrede.

Offiziell wird nun „Jüd:innen in Deutschland, Israel und überall“ Solidarität ausgesprochen, eine zweite Resolution richtet sich gegen „gesellschaftliche Polarisierung und illiberale Tendenzen im Kulturbetrieb“. Zudem wuchs die Zahl der PEN-Berlin-Mitglieder trotz Austritten: 68 weitere Au­to­r:in­nen seien in den Schriftstellerverband aufgenommen worden.

Muslime unter Generalverdacht

Im Nachgang des Hamas-Überfalls richtete sich der Blick vieler auf muslimische Communitys, auch in Deutschland. Jouanna Hassoun, die in der politischen Bildung tätig ist und auf dem ersten Panel des Kongresses spricht, sieht Muslime unter Generalverdacht gestellt. „Es gibt in Berlin 45.000 Palästinenser:innen“, sagt sie. Diese würden mit den Randalierern von propalästinensischen Demonstrationen in einen Topf geworfen, dabei seien einige dieser Demos erwiesenermaßen von der islamistischen Gruppe „Generation Islam“ organisiert worden.

Während die taz-Redakteurin Erica Zingher das Fehlen von aus muslimischen Communitys heraus organisierten „Free Palestine from Hamas“-Demos bemängelt, stellt der Autor İmran Ayata ebendiesen Begriff der „muslimischen Communitys“ in Frage. Er erinnert an die Proteste nach dem Brandanschlag von Mölln vor über 30 Jahren, die damals von türkischen Rechtsextremen der „Grauen Wölfe“ instrumentalisiert wurden. „Mit diesen Leuten“, so Ayata, habe er nichts gemeinsam, außer vielleicht der Rassismuserfahrung.

Mit Spannung erwartet wurde die Diskussionsrunde zu Israel und Palästina. Die Moderatorin Elisabeth von Thadden geht äußerst vorsichtig vor, fragt eingangs erst mal nach der Sprecherposition: Woher sprechen Sie? Woher kommen Sie? „Von Homer!“, fühlt man sich fast versucht zu rufen, doch ist hier der Platz für Witze nicht. Die vier Diskutanten sind sich in so gut wie allen Punkten einig, kreisen um die Schwierigkeit der Positionierung.

Hemmung, Hebräisch zu sprechen

Die israelische Künstlerin Yehudit Yinhar macht das deutlich anhand ihrer Kritik an Polizeieinsätzen gegen muslimische De­mons­tran­t:in­nen in Berlin-Neukölln und der gleichzeitigen Hemmung, nach dem 7. Oktober Hebräisch auf der Straße zu sprechen. Die Kulturwissenschaftlerin Sarah El Bulbeisi spricht von palästinensischen Gewalterfahrungen, die in Deutschland unsichtbar gemacht würden, und von „Reizwörtern“, die nicht mehr ausgesprochen werden dürften.

Um welche Wörter es sich handelt, macht Fadi Abdelnour klar. Ob die Situation in Israel Begriffe wie Genozid, Apartheid oder Kolonialismus charakterisieren, darüber diskutiere doch die Wissenschaft, so der Verleger. Von diesen Begriffen scheint der Schriftsteller Tomer Dotan-Dreyfus zwar nichts zu halten, er wünscht sich jedoch die Freiheit, jemanden, der von „Genozid“ spricht, nicht zu „canceln“, sondern ihn nach Details zu fragen.

Die Angst vor der „Cancel Culture“ ist immer wieder Thema auf diesem Panel. Nun ist es generell sinnvoll, die Grenzen des Sagbaren im Blick zu behalten und bei etwaigen Verschiebungen aufzumerken – schon allein angesichts der immer zahlreicher werdenden rechten Regierungen in Europa.

Doch die Frage, ob Masha Gessen, der:­die in einem langen und hierzulande stark kritisierten Essay im New Yorker unter anderem den Gazastreifen mit jüdischen Zwangsghettos verglich, wirklich „gecancelt“ wird, muss ebenso gestellt werden. Das merkt gegen Ende immerhin auch Elisabeth von Thadden an, die sonst eigentümlich unkritisch bleibt. Aus dem Publikum waren keine Fragen an die Runde zugelassen.

Eintreten für universelle Rechte

Meinungsfreiheit ist das Kernthema des PEN. Zwischen den Diskussionsrunden machen Mitglieder des PEN Berlin auf verfolgte Au­to­r:in­nen aufmerksam; auf berühmte wie Julian Assange, aber auch weniger bekannte, wie die zu lebenslanger Haft verurteilte uigurische Autorin Rahile Dawut, die seit sechs Jahren niemand mehr gesehen hat.

Welche Konsequenzen das Eintreten für ein Recht auf free speech haben kann, war anschaulich im zweiten Saal des Festsaals Kreuzberg zu sehen. Dort erzählt die LGBT-Aktivistin Zahra Sedighi-Hamedani, wie sie den Beginn der „Frau, Leben, Freiheit“-Proteste in Iran aus dem Gefängnis mitverfolgte und wie ihr Eintreten für universelle Rechte dazu führte, dass sie schließlich zum Tode verurteilt wurde.

Die historische Bedeutung des Urteils macht indes die Publizistin Shadi Amin deutlich. Dass Homosexualität unter Männern bestraft wird, sei in Iran nicht neu. Mit Sedighi-Hamedani war jedoch erstmals eine Frau wegen Verbreitung von Homosexualität sowie „Korruption auf Erden“ zum Tode verurteilt worden.

Auch aufgrund des internationalen Drucks konnte die Hinrichtung schließlich abgewendet werden. Doch obwohl die großen Protestwellen in Iran abgeebbt sind, bleibt die Lage dramatisch. Über 600 Menschen ließ die Islamische Republik allein in diesem Jahr hinrichten. Angesichts der Weltlage ist dieser weiter giftig schwelende Brandherd allerdings arg in den Hintergrund gerückt.

Das spiegelte sich auch in Berlin am Samstagabend wider. Die vergleichsweise wenigen Besucher des Panels gehörten größtenteils der iranischen Diaspora und der LGBT-Community an.

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