Rechtsextreme Graue Wölfe: Morddrohungen ohne Konsequenzen
Ein türkischer Nationalist bedroht Politiker:innen in Deutschland. Der Staat scheint machtlos zu sein, zeigen taz-Recherchen.
Anderthalb Wochen sind vergangen, seitdem der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan und Olaf Scholz in Berlin zusammenkamen: Scholz bat die Türkei als Türsteher Europas um Hilfe und bemühte sich um eine Neuauflage des EU-Türkei-Flüchtlingsabkommens. Dafür stellte er Hilfe beim Wiederaufbau von Bildungseinrichtungen in türkischen Erdbebengebieten in Aussicht. Erdoğan reichte das nicht, er forderte zudem Visa-Erleichterungen für türkische Staatsbürger. Das Signal, das vom Staatsbesuch ausging: Die beiden Länder brauchen einander, arbeiten weiterhin zusammen, trotz aller Differenzen.
Wo die Zusammenarbeit offenbar nicht gut funktioniert, zeigt nun die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linken-Abgeordneten Martina Renner, die auf Recherchen der taz Bezug nimmt und dieser Zeitung exklusiv vorliegt.
Die Antwort hat Folgen für die Opfer einer über drei Jahre anhaltenden Drohserie. Mindestens seit Ende Februar 2020 erhalten kurdischstämmige Linken-Politiker:innen, aber auch nichtkurdischstämmige Personen Morddrohungen von Social-Media-Accounts, die sich positiv auf die rechtsextreme türkische Ülkücü-Bewegung (Graue Wölfe) beziehen. So hatten es 2022 taz-Recherchen ergeben, und so steht es nun auch in der Antwort der Bundesregierung.
Deutsche Behörden scheinen aber auch nach fast vier Jahren Ermittlungen machtlos zu sein gegenüber dem Urheber der Morddrohungen. Außerdem decken sich Informationen der taz teilweise nicht mit den Angaben der Bundesregierung.
Türkische Behörden antworten den deutschen nicht
Im Januar 2022 veröffentlichte die taz eine Recherche, in der sie den Absender dieser Morddrohungen als Tayfun K. identifizierte, der in der zentralanatolischen Stadt Kayseri einen Handyladen betreibt. Auf Konfrontation der taz per Anruf räumte der Mann damals ein, der Absender der Morddrohungen und auch Anhänger der rechtsextremen Grauen Wölfe zu sein.
„Die ersten Bedrohungen sind nach Kenntnis der Bundesregierung Ende Februar 2020 aufgetreten. Seitdem sind ca. 40 Fälle erfasst worden“, heißt es nun fast zwei Jahre später in der Antwort auf die Kleine Anfrage. Taz-Informationen zufolge soll sich Ende Februar 2020 schon das Bundeskriminalamt (BKA) mit der Drohserie beschäftigt haben.
Fest steht: Bei mehreren Staatsanwaltschaften in verschiedenen Bundesländern sind Ermittlungsverfahren anhängig. Das BKA ist nach Angaben der Bundesregierung im Fall Tayfun K. als „kriminalpolizeiliche Zentralstelle“ tätig geworden, habe sich an den Ermittlungen der Landesbehörden aber nicht direkt beteiligt. Der taz liegt jedoch ein Schreiben des BKA vor, demzufolge die Abteilung für Cyberkriminalität das LKA Hessen auf dessen Bitte hin im Juni 2021 bei den Ermittlungen unterstützt hat.
Linken-Abgeordnete Martina Renner sagt dazu:„Angesichts bundesweiter, offenbar orchestrierter Bedrohungen durch mutmaßlich aus dem Ausland handelnde Täter ist es überfällig, die Ermittlungen beim BKA zu bündeln.“
Täter kann sich frei in Deutschland bewegen
Deutsche Sicherheits- und Justizbehörden, in verschiedenen Ländern wie auf Bundesebene, haben sich also über Jahre mit der Bedrohungsserie beschäftigt. Aber sie kamen mit ihren Ermittlungen zur Feststellung der Identität des mutmaßlichen Täters anscheinend nicht weiter und ersuchten die türkischen Behörden um Hilfe. Doch die deutschtürkische Zusammenarbeit sollte in diesem Fall erfolglos bleiben, wie die aktuelle Antwort der Bundesregierung zeigt: Zwischen Januar 2021 und Oktober 2022 hat das BKA drei Erkenntnisanfragen an türkische Behörden gestellt. Doch „auf keines der genannten Ersuchen wurden seitens der türkischen Behörden Erkenntnisse übermittelt“, heißt es.
Brisant ist, dass der Bundesregierung keine Erkenntnisse darüber vorliegen, ob gegen den Täter Tayfun K. eine Einreisesperre oder eine sonstige polizeiliche Ausschreibung besteht. Der Absender der Morddrohungen hatte demnach die Möglichkeit, nach Deutschland einzureisen und sich hier frei zu bewegen, ohne Strafverfolgung zu befürchten. Und das, obwohl er den Opfern gedroht hatte, nach Deutschland zu kommen oder sich bereits auf deutschem Boden zu befinden.
Im Widerspruch dazu steht eine taz-Information aus Behördenkreisen, laut der gegen Tayfun K. eine Einreisesperre verhängt worden sei. Der Bundesregierung liegen dagegen laut Antwort auf die Kleine Anfrage keinerlei Erkenntnisse darüber vor, ob Tayfun K. sich zeitweise in der Bundesrepublik aufgehalten hat oder nicht.
Zur allgemeinen Gefährdungslage durch türkische Rechtsextremisten schreibt die Bundesregierung in ihrer Antwort, dass spätestens seit dem Putschversuch 2016 „eine zunehmende Verschärfung des öffentlichen Diskurses in der Türkei“ stattgefunden habe. Damit sei eine „Zunahme polizeilich relevanter Aktivitäten u. a. durch türkische Nationalisten zum Nachteil türkischer regierungskritischer Oppositioneller in Deutschland“ einhergegangen. Diese Aktivitäten seien „Beleidigungen, Bedrohungen und Volksverhetzungen (meist über soziale Netzwerke) und Sachbeschädigungen“, in „wenigen Fällen“ auch Gewaltdelikte wie Körperverletzungen.
Prüfung eines Verbots der Grauen Wölfe noch offen
Daraus ergebe sich „ein erhöhtes abstraktes Risiko“ für Betroffene. Zudem würden öffentliche türkische Personenfahndungen und entsprechende mediale Berichterstattung das Risiko bergen, dass sich Einzeltäter oder Kleinstgruppen in Deutschland zum Handeln gegen politische Gegner berufen fühlen könnten.
Im November 2020 hat der Bundestag mit einem Beschluss die Bundesregierung beauftragt, Organisationsverbote gegen Vereine der türkisch-rechtsextremen Ülkücü-Bewegung zu prüfen. Bislang ist in der Sache nichts passiert.
Linken-Abgeordnete Renner fordert deshalb, Organisationsverbote gegen die rechtsextremen Grauen Wölfe wieder ins Zentrum zu rücken. „Dies gerade auch hinsichtlich der Gefahr, dass auf Bedrohungen tätliche Angriffe durch Anhänger der Grauen Wölfe folgen können. Der weiterhin nicht aufgeklärte Angriff auf den türkischen Journalisten Erk Acarer in Berlin sollte Mahnung sein – zumal dieser Konsequenz genau solcher Drohungen gewesen sein könnte.“
Das Bundesinnenministerium könne sich zu möglichen Vereinsverboten „generell nicht äußern“, antwortete eine Sprecherin auf Anfrage der taz. Es bestehe die Gefahr, dass von einem Verbot potenziell betroffene Organisationen „ihr Verhalten danach ausrichten und dadurch die Wirksamkeit operativer behördlicher Maßnahmen“ beeinträchtigen.
Für die Empfänger der Morddrohungen heißt das: Ihre Sicherheit in Deutschland ist nach wie vor nicht garantiert.
Dieser Artikel ist mit der Unterstützung von Journalismfund Europe entstanden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Wirbel um KI von Apple
BBC kritisiert „Apple Intelligence“
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Umgang mit nervigen Bannern
Bundesrat billigt neue Regeln für Cookies