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Änderung des Geschlechtseintrags„Papierkram“ mit großer Bedeutung

Jurist_innen und Verbände wurden am Dienstag im Familienausschuss zum Selbstbestimmungsgesetz angehört. Es stößt auf Vorbehalte und Zustimmung.

Bundesjustizminister Buschmann und Familienministerin Paus bei einer PK zum Selbstbestimmungsgesetz im August 2023 Foto: Florian Gärtner/photothek/imago

Berlin taz | Die bundespolitische Debatte um das Selbstbestimmungsgesetz bleibt aufgeladen. Am Dienstagmorgen wurden Jurist_innen, der Bundesverband Trans* und andere Expert_innen zum ersten Mal im Familienausschuss angehört. Die meisten Sachverständigen begrüßten das Vorhaben der Bundesregierung, sprachen sich jedoch mehrheitlich für einen Diskriminierungsabbau im aktuellen Gesetzesentwurf aus. Andere lehnten das Gesetz komplett ab.

Kalle Hümpfner vom Bundesverband Trans* (BVT*) sagte in seinem Statement: „Das Selbstbestimmungsgesetz ist eine historische Chance, diese darf aber nicht verspielt werden. Es geht um demokratische Grundprinzipien wie den Minderheitenschutz, die Menschenwürde und das Recht auf die Entfaltung der Persönlichkeit.“ Hümpfner fordert im Namen des BVT* „ein Selbstbestimmungsgesetz, das seinen Namen wirklich verdient“.

Die Europarechtlerin Anna Katharina Mangold kritisiert, dass das Gesetz nicht für alle gelte: „Dem Entwurf fehlt die Einsicht, dass das Recht auf geschlechtliche Selbstbestimmung ein Menschenrecht ist.“ So sei es nicht nachvollziehbar, dass es sich auf deutsche Staatsangehörige beschränke. „Queere Asylsuchende sind eine besonders vulnerable Gruppe, die Einschränkung sollte wieder gestrichen werden“, mahnte die Juristin.

Ähnlich äußert sich Nele Allenberg vom Deutschen Institut für Menschenrechte. Derzeit ist vorgesehen, dass nach einer Änderung von Namen und Geschlechtseintrag personenbezogene Daten an zehn Sicherheitsbehörden weitergegeben werden. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Person bereits straffällig war oder nicht. Diese Maßnahme ist auf das SPD-geführte Bundesministerium für Inneres und Heimat (BMI) zurückzuführen, viele Jurist_innen sehen darin das Recht auf informelle Selbstbestimmung eingeschränkt. So auch Mangold und Allenberg.

Allenberg hält einen Missbrauch, der hier unterstellt wird, ohnehin für nicht sehr wahrscheinlich: „Inwiefern ist es realistisch, einer Abschiebung zu entgehen und dafür den nicht ganz unaufwändigen Weg zu gehen, das Geschlecht und den Namen zu ändern? Eheschließung wäre ein vielleicht etwas unauffälligeres Verfahren.“

Ab November 2024 soll das Gesetz gelten

Bei der Anhörung stellten CDU und AfD immer wieder das Kindeswohl in den Mittelpunkt. „Ängste und Horrorszenarien haben sich in keinem europäischen Land bestätigt. The kids are alright“, sagte Richard Köhler vom Verein Transgender Europe. Köhler verwies darauf, dass es in Europa elf Gesetze gibt, die mit dem Selbstbestimmungsgesetz zu vergleichen sind: „Befürchtungen aus öffentlichen Debatten, ähnlich den hiesigen, sind nicht eingetreten.“ Niemand werde gefährdet. „Geschlechtliche Selbstbestimmung hilft einigen Menschen sehr, während es für die Mehrheit der Menschen schlicht irrelevant ist.“

Ein weiterer Aspekt der Anhörung betraf den sogenannten Hausrechtsparagrafen. Demnach sollen Betreiber_innen von Frauensaunen selbst entscheiden können, wer Zutritt bekommt, um die Besuchenden vor Gewalt zu schützen. Henrike Oswald vom Deutschen Frauenrat sagte dazu: „Durch ein Selbstbestimmungsgesetz sind Frauenschutzräume nicht in Gefahr. Aus unserer Sicht und aus Sicht eines Großteils einer feministischen Zivilgesellschaft ist diese Formulierung unnötig und nicht in unserem Sinne.“

Till Randolf Amelung, freier Autor und trans Mann, sprach sich gegen das geplante Selbstbestimmungsgesetz aus, da es Missbrauchsmöglichkeiten gebe: „Missbrauch kann nicht ausgeschlossen werden“, sagte er in der Anhörung als Begründung dafür. In einer Beratung könne ein möglicher Missbrauch entdeckt werden.

Kalle Hümpfner vom Bundesverband Trans* lehnt eine Begutachtung für den Nachweis zur Transidentität wie die meisten Betroffenen ab: „Wenn mein Erscheinungsbild meiner geschlechtlichen Identität nicht entspricht, muss ich mich zusätzlich erklären und setze mich einem erhöhten Diskriminierungsrisiko aus.“ Als Reaktion erfahre man Unverständnis bis Abwertung oder auch Anfeindung und Gewalt. „Das macht eine verletzliche Gruppe noch verletzlicher.“ Letztendlich ginge es um „Papierkram“, aber dieser Papierkram habe eine große Bedeutung für die Betroffenen.

Der Gesetzentwurf zum Selbstbestimmungsgesetz sieht vor, dass trans, inter und nichtbinäre Personen ihren Geschlechtseintrag sowie Vornamen künftig beim Standesamt ändern können. Es soll das größtenteils verfassungswidrige Transsexuellengesetz ablösen und nach derzeitigem Stand ab dem 1. November 2024 gelten. Das Bundesjustizministerium von Marco Buschmann (FDP) und das Bundesfamilienministerium von Lisa Paus (Grüne) hatten monatelang um Kompromisse beim Selbstbestimmungsgesetz gerungen.

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1 Kommentar

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  • Wenn es doch nur um den Papierkram ginge.



    Die begleitenden Vorschriften sind arg detailliert.



    Deadnaming/Misgendern könnten unter der Beleidigung als Rechtsprechung gefasst werden und brauchen keine Regelung.



    Bei Minderjährigen sollte die Zustimmung der Eltern bis zu Volljährigkeit zählen oder eine Beratung Pflicht sein.



    Weniger ist mehr, Fokus auf den Papierkram statt Micromanagement.