Parteigründerin Sahra Wagenknecht: Im Medienhimmel ist es einsam

Der Aufstieg Sahra Wagenknechts zur Medien-Galionsfigur begann dank eines konservativen Journalisten. Sichtbarkeit allein wird ihrer Partei nicht helfen.

Wagenknecht im Interview auf einem Smartphone zu sehen

Wo die Kameras sind, ist auch Sahra Wagenknecht – oder ist es andersherum? Foto: Florian Gaertner/photothek/imago

Sahra Wagenknecht ist ein Medienstar. Die Chefin des frisch gegründeten Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW) wurde in den letzten drei Jahren gleich in zwei großen Dokumentationen porträtiert. 2013, 2016 und 2017 war sie auf Platz eins der am häufigsten eingeladenen Gäste in den großen deutschen Talkshows. Wagenknechts Youtube-Kanal hat über 660.000 Abonnements, ihre Bücher sind Bestseller.

Die vielen Zahlen zeigen: Wagenknecht spielt ganz oben mit. Doch wie hat es eine ostdeutsche linke Politikerin in die Poleposition des deutschen Medienbetriebs geschafft? Einige Mitglieder aus den Reihen ihrer alten Partei Die Linke glauben an die Verschwörung, dass die etablierten Medien sie aufgrund von Spaltungsambitionen gegenüber der Linken besonders hofieren würden. Ihren medialen Erfolg verdankt sie aber etwas ganz anderem: Ihre disziplinierte Selbstinszenierung als Reinkarnation von Rosa Luxemburg, ihre Schlagfertigkeit in ökonomischen Fragen, aber auch der Kontakt zu den richtigen Leuten zur richtigen Zeit verhalfen ihr in den letzten Jahren zu einer außergewöhnlichen medialen Präsenz.

Besonders aufschlussreich dafür ist eine Szene aus dem Mai 2012; damals war Sahra Wagenknecht stellvertretende Parteivorsitzende der Linken, doch der Grund für ihren Auftritt in der Kulturbrauerei in Berlin war ein anderer. Kurz zuvor hatte sie ihr Buch „Freiheit statt Kapitalismus“ veröffentlicht. Und damit saß sie nun auf einem Podium zwischen dem FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher und dem CSU-Mann ­Peter Gauweiler. Keine ganz angenehme Gesellschaft für eine sozialistische Politikerin, möchte man meinen, doch tatsächlich geschah an diesem Abend etwas Unerwartetes.

Der mittlerweile verstorbene Schirrmacher, damals als Feuilletonchef der FAZ einer der wohl mächtigsten Meinungsmacher der Medienbranche, sagte in seiner unverkennbaren Art, dass er „baff“ sei angesichts der Qualität des Buches.

Wagenknecht als Gastautorin in der „FAZ“

Mit den Klassikern wie Walter ­Eucken, Alfred Müller-Armack und Ludwig Erhard im Gepäck gelang es Wagenknecht damals, eine Kapitalismuskritik zu formulieren, die auch bürgerliche Kreise partiell überzeugen konnte. Wagenknecht etablierte eine Erzählung vom verlorenen Sozialstaatskapitalismus, der durch die Finanzmärkte aufgefressen wurde. Ein Ansatz, der nach der Finanzkrise 2008 durchaus anschlussfähig war.

Mit ganz ähnlichen Positionen tritt Wagenknecht auch heute mit ihrem Bündnis an – und dürfte damit tatsächlich sowohl klassische Sozialdemokraten als auch eher konservative Wählerinnen und Wähler erreichen, die sich wegen sozialer Ungleichheit und mangelnden „Zusammenhalts“ im Land Sorgen machen. Das Launchvideo der Partei auf Youtube ist auf ebendiese Wählerinnen zugeschnitten.

Nicht zuletzt Frank Schirrmacher dürfte für Wagenknechts medialen Aufstieg eine große Rolle gespielt haben. Wie man etwa der Schirrmacher-Biografie von Michael Angele entnehmen kann, war der FAZ-Herausgeber ein machtvoller Netzwerker, dessen Urteile in der Branche Gewicht hatten. Und Schirrmacher schätzte Wagenknecht. Sie war als Gastautorin schon vor ihrem Auftritt im FAZ-Feuilleton vertreten. Dort veröffentlichte sie etwa im November 2011 einen Text über die Finanzkrise, worin sie „Schluss mit Mephistos Umverteilung“ forderte.

Wagenknecht, die durch ihr geisteswissenschaftliches Studium (sie schrieb bei dem marxistischen Philosophen Hans Heinz Holz ihre Magisterarbeit) nicht nur mit Hegel und Marx, sondern auch mit Goethe sehr vertraut ist, verband in diesem Text ihre intime Kenntnis des „Faust II“ mit einer Kritik der damaligen EZB-Politik. Wagenknecht verfasste weitere Texte für die FAZ, im Oktober 2013 rezensierte sie etwa Rüdiger Safranskis Goethe-Biografie. Schirrmacher dürfte diese Art des Schreibens sehr imponiert haben (sogar auf seinem Grabstein prangt ein Goethe-Zitat). Es ist diese Verbindung zwischen dem konservativen und dem linken Bildungsbürgertum, die dazu beigetragen haben dürfte, Wagenknecht mediale Anerkennung zu sichern und aus der ehemaligen ­Stalin-Sympathisantin eine für den Medienbetrieb satisfaktionsfähige Politikerin zu machen.

Die geheime Zauberkraft

Seitdem ist kein Jahr vergangen, in dem Wagenknecht nicht regelmäßig zu Gast in den Politiktalkshows der Öffentlich-Rechtlichen war. Sie trat als scharfe Kritikerin des Abbaus des Sozialstaats auf, war aber immer wieder als Kommentatorin im Zuge der sogenannten Eurokrisen gefragt. Sie erarbeitete sich als linke Kritikerin mit ökonomischer Fachkompetenz eine mediale Position, wo sie kaum Konkurrenten oder Konkurrentinnen aus der Politik hatte.

Bald erlangte sie eine geheime Zauberkraft, die auch der CDU-Politiker Jens Spahn oder die Publizistin Marina Weisband besitzen: die sogenannte ­Gesichtsbekanntheit. Wem diese von Talkshowredakteuren zugeschrieben wird, der oder die kann sich der Einladungen zu Maischberger, Anne Will und Co sicher sein. Denn wer einmal gesichtsbekannt ist, der treibt, so die Theo­rie in der Medienbranche, die Quote hoch. Die müden Zuschauer auf dem Sofa bleiben hängen, weil da jemand ist, den sie schon kennen.

Wagenknecht hat es in der Talkshowbeliebtheit tatsächlich so weit gebracht wie kaum jemand sonst. Zwar saß sie schon seit 2009 im Bundestag, doch ihr medialer Aufstieg begann zu Beginn der zehner Jahre. Die Medien­maschine Sahra Wagenknecht arbeitete damals reibungslos und effizient. Und weil mediale Meinungsmärkte The-winner-takes-it-all-Märkte sind, was man etwa bei dem Soziologen ­Andreas Reckwitz nachlesen kann, hörte der Erfolg nicht auf. Wer einmal genug mediales Kapital akkumuliert hat, dem fließt beständig mehr davon zu: Auf die Talkshowbekanntheit folgt der Bestseller, auf den Bestseller die nächsten Einladungen, Gastbeiträge, Interviews und wieder Talkshowauftritte und so weiter. Man darf sich nur nicht verbrennen.

Trotzdem konnte auch Wagenknecht ihre außergewöhnliche Talkshow­bilanz nicht dauerhaft auf diesem Niveau halten, und als Maßnahmenkritikerin während der Coronapandemie war sie medial weniger präsent denn als linke Ökonomiekritikerin. Tatsächlich scheint Wagenknecht nun auch mit ihrem Bündnis Sahra Wagenknecht wieder mehr auf Ungleichheit und Sozialpolitik zu setzen – bei gleichzeitiger Härte in der Migrationspolitik.

Es blieb wenig übrig

Ob das allerdings so bleibt, wird sich noch zeigen. Immerhin schuf Wagenknecht als Initiatorin des „Aufstands für den Frieden“ im Februar dieses Jahres auch ein kleines Medienereignis. Zusammen mit der Emma-Herausgeberin Alice Schwarzer sammelte sie eine breite Querfront ein und wollte für einen Stopp von Waffenlieferungen an die Ukraine sowie für die Aufnahme von Friedensverhandlungen mit Russland demonstrieren. Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht waren damit in den großen Zeitungen präsent, Nachrichtensendungen berichteten über ihren Vorstoß, und Wagenknecht saß auch gleich wieder in drei großen Shows: „Maischberger“, „Markus Lanz“ und „Hart aber fair“.

Die Demonstration selbst, ein Jahr nach Kriegsbeginn, war ein skurriles Ereignis. Unter den Demonstrantinnen und Demonstranten am Brandenburger Tor waren viele stramm Rechte und Verschwörungsgläubige, aber auch einige Menschen, die tatsächlich besorgt über eine nukleare Eskalation des Kriegs in der Ukraine waren.

Von der Demonstration blieb realpolitisch wie organisatorisch wenig übrig, und im Kleinen zeigt sich hier die große Herausforderung, vor der auch das Bündnis Sahra Wagenknecht nun steht. Denn Medienstars, die Politik machen wollen, können zwar unter Umständen kurzfristig große Wählerschaften mobilisieren. Es braucht für gelingende Parteiarbeit aber auch eine fleißige Basis, die lokal verwurzelt ist, an Haustüren klopft und mit den Leuten vor Ort im Gespräch ist. Genau hier liegt Wagenknechts große Schwäche.

Wenn Wagenknechts Funktionäre es nicht schaffen, engagierte Menschen „von unten“ zu mobilisieren, die die Basisarbeit bewerkstelligen, in Betrieben präsent sind und lokale Bündnisse schmieden, dann wird sie vor allem in einem Politikmodus agieren, den der belgische Historiker ­Anton ­Jäger „­Hyperpolitik“ nennt. Damit ist eine Form der Politisierung gemeint, die, über Medienereignisse vermittelt, zu einer kurzfristigen Politisierung einer recht großen Zahl von Menschen führt, wie das auch beim „Aufstand für den Frieden“ der Fall war; deren reale politische Wirkung letztlich aber sehr begrenzt bleibt. Genau dieses Schicksal könnte auch Wagenknechts neue Partei einholen.

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