Friedenspreis für Salman Rushdie: Hirngespinst aus der Opiumpfeife
Salman Rushdie wurde der Friedenspreis des deutschen Buchhandels verliehen. In seiner Rede verteidigte er die Meinungsfreiheit in alle Richtungen.
An all diejenigen, die sich wünschen, einmal in der Frankfurter Paulskirche live dabei zu sein: vergessen Sie’s. Ist wie beim Fußball, Stadionatmosphäre hin oder her, man sieht so gut wie nichts, von der Fernsehübertragung hat man wirklich mehr. Hinzu kommt, dass von den Presseplätzen aus die Redner am Pult hinter Palmwedeln im üppigen Blumengesteck nur zu erahnen sind. Doch das nur am Rande.
Wichtiger bei solchen Veranstaltungen als die Reden selbst sind die Reaktionen der Anwesenden. Oft gibt es viel zu klatschen, wenn sich alle einig sind. Und Salman Rushdie fordert in seiner Dankesrede alle unmissverständlich auf, die Meinungsfreiheit erbittert zu verteidigen. Er wendet sich dabei ausdrücklich an die Verleger und Verlegerinnen als den „wichtigsten Wächtern der Meinungsfreiheit“.
Ein erhebender Moment seiner Rede, zumal an einem Ort, an dem einst die Zensur abgeschafft wurde, wie der Frankfurter Oberbürgermeister Mike Josef in seiner Begrüßung anmerkt. Rushdie fügt hinzu, dass das eben auch gelte, wenn das Gesagte uns beleidige. Für diesen Nachsatz gibt es deutlich weniger Applaus als zuvor, was die harten Diskussionen während der Messe rund um die Äußerungen von Slavoj Žižek bei der Eröffnung und die verschobene Preisverleihung an die palästinensische Autorin Adania Shibli spiegelt.
Die Zeremonie in der Paulskirche sieht auch ZDF-Einspieler vor, die dem Preisträger in der ersten Reihe die Messerattacke auf ihn im August des vergangenen Jahres abermals vor Augen führen, was man unsensibel finden kann. Rushdie hat den Anschlag schließlich nur knapp überlebt und ist seitdem auf einem Auge blind. Sein Konterfei mit dem einem abgedunkelten Brillenglas wurde zum Signet dieser 75. Frankfurter Buchmesse. Neben dem halbblinden Preisträger prangen auf Werbeträgern die Worte „Erzählerische Weitsicht“. Unfreiwilliger Humor von der Sorte, die Rushdie gefallen könnte. Dass er den Schalk im Nacken hat, wissen alle, die ihn und/oder sein Werk kennen.
Friedlich dem Namen nach
Der Name Salman, von dem in der Paulskirche alle hören, dass man ihn auf dem zweiten „a“ betont, wurzele im Substantiv salamat, was Friede heiße. Sein Name bedeute also „friedlich“, erzählt Salman Rushdie bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels. Tatsächlich sei er ein sehr stiller, braver, fleißiger Junge gewesen, friedlich dem Namen nach, friedlich von Natur aus, fügt er hinzu.
Er sagt nicht, dass dieser Preis für ihn 34 Jahre zu spät kommt, und im Jahr 1989, als Chomeini ihn mittels einer Fatwa zum Tode verurteilte, ein mutiges Statement gewesen wäre. Selbstverständlich sagt er das nicht, er ist ein höflicher Mensch, und womöglich kommt der Preis für Rushdie rechtzeitig. Denn er, 1947 in Bombay geboren, ist alt geworden, wirkt angeschlagen und nicht vollständig wiederhergestellt.
Am Abend zuvor absolviert er seinen einzigen öffentlichen Auftritt bei einer Literaturgala im Congress Center der Messe. Ein Pflichttermin, so scheint’s. Rushdie antwortet zwar pointiert, aber auch ein wenig pflichtschuldig. Den jubelnden Applaus des Publikums wedelt er nach kurzer Zeit routiniert weg. Ganz ähnlich macht er das in der Paulskirche am nächsten Tag. Der bekannteste Schriftsteller der Welt braucht keinen Beifall mehr, wiewohl er sich am Ende seiner Rede sehr ernsthaft und herzlich für die ihm nach dem Angriff im vergangenen Jahr zuteilgewordene Solidarität bedankt. Auch das hätte man ihm schon 34 Jahre vorher gewünscht.
Literarische Traditionen
In seiner Rede benennt Rushdie für ihn wichtige literarische Traditionen, wie die Fabeln des Panchatantra, und träumt von einem fabelhaften Friedenspreis: „Mir gefällt übrigens der Gedanke, dass der Friede selbst der Preis ist, dass die Jury Magisches kann, gar Fantastisches – eine Jury weiser Wohltäter, so unendlich mächtig, dass sie einmal im Jahr und keinesfalls öfter einen einzigen Menschen und keinesfalls mehr mit Frieden für ein ganzes Jahr belohnen darf.“
Zuvor hat er zugegeben, dass ihm Frieden angesichts der Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten wie „ein dem Rauch der Opiumpfeife entsprungenes Hirngespinst“ vorkomme. Er habe nicht geglaubt, dass er Zeiten wie diese einmal erleben müsse, sagt er später und bezieht das auf die Meinungsfreiheit, die Freiheit des Wortes.
Dabei lässt er sich vor keinen Karren spannen, prangert Cancel Culture auf allen Seiten an und kritisiert auch Menschen, die sich für eine „neue Art von Bien-pensant-Zensur“ aussprächen. Eine Zensur, die sich den Anschein des Tugendhaften gebe. Seiner Meinung nach gerät die Freiheit von links wie rechts unter Druck, von den Jungen wie den Alten. Das habe es so bislang noch nicht gegeben und werde durch neue Kommunikationsformen wie das Internet noch komplizierter, da gut gemachte Webpages mitsamt ihren böswilligen Lügen gleich neben der Wahrheit stünden, weshalb es vielen Menschen schwerfalle, das eine vom anderen zu unterscheiden.
Zuvor lobt sein Freund und Laudator Daniel Kehlmann ihn über den Klee und spricht dabei schöner Weise auch von Rushdies grandioser Rundumgebildetheit, die sich nicht um bildungsbürgerliche Grenzen schert. Rushdie kennt sich mit allem aus, sei es Geschichte oder Klatsch, Politik oder Tischtennis, und darüber hinaus noch mit den Stones und U2, Netflix, Star Wars und Barbie. Er weiß einfach, was läuft.
Vor 34 Jahren nicht besprochen
Kehlmann ist es auch, der in seiner vergnüglichen Laudatio darauf hinweist, dass Rushdie nach dem Mordaufruf vor 34 Jahren auch hierzulande nicht so wohlgelitten war, wie es jetzt alle gern hätten. Er erinnert etwa ans „Literarische Quartett“, das damals darauf verzichtete, „Die satanischen Verse“ zu besprechen, weil man mutmaßte, es handele sich doch eher um eine politische als um eine literarische Angelegenheit. Kehlmann versichert, der Feststellung von Ian McEwan sei in ihrer Schärfe nichts hinzuzufügen. Der sprach damals davon, dass das offizielle England ganz anders reagiert hätte, wenn die Fatwa zum Beispiel gegen Dame Iris Murdoch ausgerufen worden wäre.
An anderer Stelle nennt Kehlmann den Geehrten eine „veritable Rushdie-Romanfigur“, und ein bisschen sieht dieser inzwischen wirklich so aus. Für seinen Laudator ist er „unbestritten einer der großen Erzähler der Literaturgeschichte und der vielleicht wichtigste Verteidiger der Freiheit von Kunst und Rede in unserer Zeit“. Vor allem aber sei er ein weiser, neugieriger, heiterer und gütiger Mensch und somit der würdigste Träger, den es für diese Auszeichnung, die ja als Friedenspreis ausdrücklich nicht nur künstlerische, sondern auch humanistische Größe auszeichne, überhaupt hätte geben können.
Rushdie bekommt den Friedenspreis aus den Händen der Vorsteherin des Deutschen Buchhandels, Karin Schmidt-Friderichs, „für seine Unbeugsamkeit, seine Lebensbejahung und dafür, dass er mit seiner Erzählfreude die Welt bereichert“, wie es im Urkundentext heißt. Dass er sich seinen Kampf für die Freiheit des Wortes nicht selbst ausgesucht hat, macht Rushdie in seiner Dankesrede deutlich. Das Schicksal in Form islamistischer Fundamentalisten hat ihm diese Rolle aufgedrängt. Er selbst hätte sich beileibe ein friedlicheres Leben gewünscht. Und wir ihm auch.
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