Abwahl von McCarthy im US-Kongress: Chaos im Kapitol
Eine Gruppe radikaler Republikaner hat mithilfe der Demokraten den Sprecher des US-Repräsentantenhaus abgewählt. Wer ihm folgen wird, ist noch unklar.
Im Gegensatz zu den 15 Wahldurchgängen, die McCarthy im Januar benötigte, um als Sprecher des Repräsentantenhauses bestätigt zu werden, reichte am Dienstag ein Wahldurchgang, um ihn des Amtes zu entheben. Mit 216 zu 210 Stimmen entzogen die Abgeordneten des Repräsentantenhauses dem 58 Jahre alten Kalifornier das Vertrauen. Alle 208 zur Wahl anwesenden Demokraten sowie acht Republikaner stimmten gegen McCarthy.
Mit einer Amtszeit von 269 Tagen war es die zweitkürzeste Amtszeit eines Sprechers in der Geschichte der USA. Zudem ist es das erste Mal überhaupt, dass ein Sprecher per Abstimmung seines Amtes entzogen wurde. Als Übergangssprecher wurde der 47-jährige republikanische Abgeordnete Patrick McHenry bestimmt. Er soll so lange die Geschäfte führen, bis ein neuer Sprecher gewählt ist.
„Ich habe für das gekämpft, woran ich glaube“, sagte ein sichtlich ernüchternder McCarthy nach der historischen Abwahl. Er fügte hinzu, dass er diesen Kampf weiter fortsetzen wolle, doch auf andere Art und Weise. McCarthy schloss zudem aus, erneut für das Sprecheramt zu kandidieren.
Schon lange auf dünnem Eis
Dass sich McCarthy auf dünnem Eis bewegte, war seit Längerem offensichtlich. Mitglieder des rechte Parteiflügels, angeführt von Trump-Unterstützer Matt Gaetz, machten bereits im Januar klar, dass sie von McCarthy eine äußerst konservative Politik erwarteten. Bereits damals drohten sie an, dass wenn dies nicht der Fall sein sollte, sie sich für eine Absetzung einsetzen würden.
Am Ende waren es zwar noch 91 republikanische Abgeordnete, die gegen den mit den Demokraten ausgehandelten 45-Tage-Haushalt stimmten, aber nur 8 aus dem harten Kern um Matt Gaetz, die Kevin McCarthy aus dem Amt drängten – gemeinsam mit allen Stimmen der Demokratischen Fraktion.
Die Demokraten konnten sich zwischen verschiedenen Optionen entscheiden: Sie hätten sich der Stimme enthalten oder auch versuchen können, mit McCarthy Deals abzuschließen im Austausch gegen ihre Unterstützung. Aber auch die Demokraten konnten keinerlei Vertrauen in Kevin McCarthy aufbauen – immerhin war er auch jener republikanische Sprecher, der gerade erst ein Amtsenthebungsverfahren gegen Joe Biden auf den Weg gebracht hatte, um sich aus der Schusslinie der Rechten in der eigenen Fraktion zu bringen.
Medienberichten zufolge war es die linke Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez, die als Erstes verkündete, sie werde gegen McCarthy stimmen. Am Ende zogen alle anderen mit und beobachten durchaus freudig die Selbstzerstörung der Republikanischen Partei.
„Wenn du ein Versprechen gibst, dann solltest du dies einhalten. Als eine finanzwirtschaftlich Konservative bin ich verärgert. Als Frau bin ich zutiefst frustriert“, sagte etwa die Abgeordnete Nancy Mace aus South Carolina im Anschluss.
Führungswechsel erschwert Haushaltsstreit
Mace ist wie viele Republikaner über die wachsenden Schulden der Bundesregierung besorgt, die sich mittlerweile auf mehr als 33 Billionen US-Dollar belaufen. Diese Frustration zeigte sich auch am vergangenen Samstag, als McCarthy unter Beihilfe von Demokraten einen Übergangshaushalt verabschiedete, um einen sogenannten Shutdown der Bundesregierung zu verhindern.
Der temporäre Haushaltsplan, der die Finanzierung der US-Regierung sowie wichtiger Sozialprogramme bis einschließlich 17. November garantiert, enthält keine der von den Republikanern geforderten Kürzungen. Im Gegenteil, der Übergangshaushalt stellte zusätzliche 16 Milliarden Dollar zur Katastrophenhilfe bereit. Nur mit einer Forderung konnten sich die konservativen Republikaner durchsetzen, nämlich keine zusätzliche Hilfsbewilligung für die Ukraine.
„Kevin McCarthy ist eine Kreatur des Sumpfes. Er hat Gelder von Interessengruppen gesammelt und diese Gelder im Wechsel für Gefälligkeiten weiterverteilt. Damit ist er an die Macht gekommen. Wir durchbrechen dieses Fieber jetzt“, sagte Gaetz, der den Antrag zur Abwahl von McCarthy gestellt hatte.
Bis zum kommenden Dienstag ist jetzt Zeit, um Kandidaten für das Amt des Sprechers zu präsentieren, dann soll möglichst gewählt werden.
Als mögliche Nachfolger werden derzeit verschiedene Namen aus der republikanischen Fraktionsführung gehandelt. Da ist allen voran Steve Scalise, Abgeordneter aus Louisiana und derzeitiger republikanischer Fraktionschef. Nach 15 Jahren im Repräsentantenhaus verfügt der 57-Jährige zweifellos über ausreichende politische Erfahrung. Die Frage ist jedoch, ob seine derzeit laufende Blutkrebsbehandlung einen vollen Einsatz zulässt. Scalise hätte zumindest die Unterstützung von Matt Gaetz, dem Antragsteller der McCarthy-Abwahl, obwohl Scalise selbst an McCarthy bis zum Schluss festhielt.
Michael McCaul, Vorsitzender des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten
Dann gibt es noch den „Majority Whip“ Tom Emmer aus Minnesota – und die schillernde Fraktionsgeschäftsführerin Elise Stefanik. Stefanik, zu Beginn der Amtszeit von Donald Trump noch strikte innerparteiliche Gegnerin, entwickelte sich im Laufe der Zeit zu einer von Trumps glühendsten Anhänger*innen. Im Mai 2021 ließ der damalige Minderheitsführer Kevin McCarthy eine fraktionsinterne Wahl abhalten, um die Trump-Kritikerin Liz Cheney aus der Fraktionsführung herauszubekommen. Stefanik wurde ihre Nachfolgerin.
Ob jemand von diesen dreien allerdings tatsächlich antritt, um das Erbe von Kevin McCarthy anzunehmen, blieb zunächst offen – genau wie die Wahlchancen und insofern auch die Frage, wie lange es wohl diesmal dauern wird, jemanden zu wählen.
Bis aber der Sprecherposten nicht wieder besetzt ist, ist die Arbeit des Repräsentantenhauses praktisch gelähmt. Das bedeutet zugleich, dass diese Zeit nicht dazu genutzt werden kann, um an einer Lösung des anhaltenden Finanzstreites und zur weiteren Unterstützung der Ukraine zu arbeiten.
„Es ist ein trauriger Tag für Amerika“, sagte der Vorsitzende des Haus-Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten, Michael McCaul.
US-Präsident Joe Biden hofft, dass schnell ein neuer Sprecher gefunden wird, da die „dringenden Herausforderungen, mit der unsere Nation konfrontiert ist, nicht warten können“, sagte die Pressesprecherin des Weißen Hauses Karine Jean-Pierre in einer Stellungnahme.
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