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Zivilgesellschaft nach den Wahlen„Ein Ergebnis, das bitter ist“

In Hessen und Bayern feiern rechte Parteien Erfolge. Zivilgesellschaftliche Gruppen fürchten, dass ihr Raum nun noch enger wird.

Gegendemonstrierende zeigen Flagge am Samstag in Wiesbaden Foto: Helmut Fricke/dpa

Berlin taz | Die Zivilgesellschaft in Bayern und Hessen zeigt sich über die Wahlgewinne der AfD bei den Landtagswahlen entsetzt. Die ersten Prognosen am Wahlabend ließen vermuten, dass die rechte Partei in beiden Bundesländern ihre Ergebnisse der letzten Landtagswahlen 2018 ausbauen konnte. In Hessen ist die Partei den Hochrechnungen zufolge zweitstärkste, in Bayern drittstärkste Kraft geworden.

Timmo Scherenberg, Geschäftsführer des Hessischen Flüchtlingsrats, hatte schon im Frühjahr befürchtet, dass die Migrationspolitik der Bundesregierung das bestimmende Thema im Wahlkampf werden würde: „Dass es – insbesondere durch die Kampagne der Bundes-CDU – so schlimm werden würde, hatte ich nicht gedacht. Wir sehen jetzt das Ergebnis, das natürlich enorm bitter ist.“ Bei vielen Menschen hätten Aussagen über Geflüchtete, die oft nicht an die Realität gebunden gewesen seien, verfangen: „Der Diskurs wurde massiv nach rechts verschoben und jetzt stehen wir vor dem Scherbenhaufen.“

Die Verantwortung dafür sieht er bei der Union: „Die hessische CDU um Boris Rhein hat sich ja sogar vorsichtig distanziert, aber der hessische Wahlkampf hatte einen bundespolitischen Drive. Es ging kaum um hessische Themen.“ Das Ergebnis sei, dass die AfD immer salonfähiger werde: „Die Inhalte dieser Partei dringen in die politische Mitte ein.“ Er hoffe, dass sich die aufgeheizte Lage nach der Wahl beruhigt und dass die Vernunft wieder einziehe. Dennoch rechnet Scherenberg in den nächsten Monaten und Jahren nicht mit fortschrittlicher Politik in Hessen. Er sorgt sich um eine künftige adäquate Versorgung von Geflüchteten, Initiativen wie dem Hessischen Flüchtlingsrat könnte das Leben deutlich schwerer gemacht werden.

In Bayern konnte die AfD ebenfalls deutlich besser abschneiden als bei der letzten Wahl. Matthias Weinzierl von der Münchener Initiative Offen Bleiben, die sich für eine solidarische Gesellschaft einsetzt, hatte schon vor der Wahl ein hohes Ergebnis für die AfD befürchtet. Am Wahlabend war er dennoch schockiert: „Wir leben in einem Bundesland, wo eine faschistische Partei zweitstärkste Kraft werden könnte, wo das rechtskonservative Lager über 60 Prozent der Stimmen bekommen hat. Das werden harte Jahre.“

Hoffen auf den endgültigen Wachrüttler

Weinzierl besorgt vor allem der Politikstil, der eine negative Richtung angenommen habe und ihn an die frühen neunziger Jahre erinnere. Das werde ganz konkrete Konsequenzen haben: „Alles, was die Lebenssituation geflüchteter Menschen betrifft, wird sich massiv verschlechtern. Ich kann auch in den Kommunen keinen Willen mehr feststellen, eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe gemeinsam zu stemmen.“

Auch Stephan Doll, Vorsitzender der Allianz gegen Rechtsextremismus in der Metropolregion Nürnberg, äußerte sich am Wahlabend „entsetzt“ über das Abschneiden der AfD. Er sieht genau wie Weinzierl eine deutliche Verschlechterung des politischen Stils im Wahlkampf: „Man hat im bayerischen Wahlkampf zuweilen den Eindruck bekommen, hier wird über die Flüchtlingspolitik für die EU und die ganze Welt entschieden.“

Auch Bashing gegen einzelne Parteien, das teilweise mit Falschinformationen, beispielsweise über vermeintliche Fleischverbote, unterfüttert worden sei, gibt Doll zu denken: „Ich hoffe sehr, dass dieses Ergebnis jetzt endgültig alle Demokratinnen und Demokraten wachrüttelt.“ Doll fordert einen Runden Tisch gegen Rechtsextremismus, ein Demokratiefördergesetz für Bayern und dass die neue Staatsregierung den Kampf gegen den Rechtsextremismus nicht weiter der Zivilgesellschaft überlasse. Auch die Abgrenzung der demokratischen Parteien gegenüber den Rechten muss für Doll entschiedener ausfallen. Es gehe nicht, dass Politiker wie Friedrich Merz oder Hubert Aiwanger die Brandmauer immer weiter einreißen.

Das starke Ergebnis der Freien Wähler gibt beiden Vertretern der bayerischen Zivilgesellschaft zu denken. „Wir sprechen hier nicht nur über die sogenannte Flugblatt-Affäre, sondern auch über die Kundgebung in Erding, wo Aiwanger mit AfD-Sprech aufgetreten ist“, warnt Doll. Weinzierl ordnet die Zugewinne der Freien Wähler ebenso dem Rechtsruck zu: „Es zeigt, was mittlerweile alles geht und was dann auch noch von den Wählerinnen und Wählern belohnt wird. Auch das macht mich sprachlos.“

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13 Kommentare

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  • Wer genau ist den die hier zitierte "Zivilgesellschaft" bzw. die "Zivilgesellschaftliche Gruppen" denn bitte genau?

    In Bayern haben über 70% der Wähler Parteien aus dem rechten Spektrum gewählt. Gehören Wähler dieser Parteien nicht zur Zivilgesellschaft?



    Falls doch, dann kann eben diese ja auch nicht als vermeintliche Einheit entsetzt sein...

  • Zivilgesellschaft, begriffsneutral benutzt, umfasst alle Teile der Gesellschaft. Aales andere ist Framing, Kaperung von Begriffen.

  • Die Stimmung in der Flüchtlingspolitik ist gekippt, weil der Bund die Lasten einseitig auf die Gemeinden abgewälzt hat.

  • Die Sprache der Zahlen besagt, dass die AfD in vier oder acht Jahren zwingend regieren müsste ... Aber allerdings wenn nichts passiert und genau danach sieht es aus, was des einem Leid kann des anderen Freude sein. Die CDU/CSU hat für die erste Etappe mit ihrer Kampagne die Regierung zurückgeschlagen. Das Bild einer überforderten Gesellschaft, einer Welle von Fremden, die sich ergießt, die nicht zu stoppen sind, die keiner aufhalten kann, das hat verfangen und das ist unglaublich, weil es nicht stimmt. Deutschland hat 2022 mit einem Krieg und 1 Mio. Flüchtlinge gut wegstecken können. Teilweise ist Deutschland international ein wesentlicher Pfeiler für Stabilität und internationales Recht gewesen. Dass es jetzt gelingt, Deutschland als hilflosen, offenen Staat abzubilden, der heimgesucht wird, ist geradezu verwunderlich, weil das gar nicht so ist. Ich komme aber nicht umhin, dass die Regierung auf ihre herkömmliche Propaganda nicht verzichten kann und die verfängt nicht (mehr). Da müssten demokratische Parteien viel genauer und besser arbeiten.

  • Deutsche Faschisten müssen nicht mehr zähneknirschend CxU wählen. Jetzt wählt man offen rechtsextrem.

    • 3G
      31841 (Profil gelöscht)
      @Nordischbynature:

      So isses. Es wählten aber auch welche zuvor - wenn auch deutlich weniger - SPD und FDP.

      • @31841 (Profil gelöscht):

        Hier in Oberfranken wanderten viele von der SPD zur AfD - das liegt aber halt an der Ampel Politik auf Bundesebene. Die Menschen hier wählten SPD für zb niedrigere Mieten und müssen jetzt zusehen wie alles teurer wird

  • Ich finde es falsch, den Fokus ständig nur auf Kampagnen von Medien oder CDU zu legen und dort die Verantwortung für eine vermeintliche Diskusverschiebung sehen. Als ob ohne CDU, AfD und Freie Wähler die Bevölkerung plötzlich für eine liberale Flüchtlingspolitik und offene Grenzen stimmen würde.

    Die Menschen können das Thema Migration von sich aus als wichtig erachten, etwa weil sie die damit verbundene Probleme in Schulen, Wohnungsmarkt oder der (gefühlten) Sicherheit persönlich im Alltag wahrnehmen.

    • 3G
      31841 (Profil gelöscht)
      @gyakusou:

      Und die rechten und rechtsextremen Parteien werden diese Problem zur Zufriedenheit dieser Bürger lösen....

      • @31841 (Profil gelöscht):

        Natürlich werden die Rechten keine Lösung bringen, aber die Anliegen vieler Bürger einfach immer wegzudiskutieren bzw. wegzuargumentieren hilft halt auch nicht. Und jeden in die Rechte Ecke schieben erst recht nicht…

    • @gyakusou:

      Wer das Thema Migration von sich aus als wichtig erachtet, der kann eigentlich nur ein humanistisches Weltbild befürworten und und muss sich eingestehen, dass Vielfalt und Toleranz dei einzige Möglichkeit ist, eine zukunftsfähige Gesellschaft zu etablieren. Wer weiterhin auf Egoismus, Ausbeutung, Ausgrenzung und Neolibearlismus(welcher eigentlich die drei genannten Punkte verkörpert) setzt, der/die kann nicht wirklich die Probleme unserer Zeit verstanden haben.



      Kausale Ketten werden scheinbar überhaupt nicht mehr betrachtet. Am Beispiel Blidung verdeutlicht, nicht die Menschen mit Migrationshintergrund machen die Bildung hierzulande schlecht, nei , diese Menschen kommen in ein kaputtgespartes System und werden instrumentalisiert um die Mängel zu rechtfertigen. Dass Intelektuelle sich rechten und /oder faschistischen Ideologien anhängen, ist für mich nicht nachvollziebar, bzw. lässt mich an dem tatsächlcihen Intelekt dieser Menschen zweifeln.



      love is the answer!

      • @nolongerquiet:

        Toller Kommentar.



        Leider gehen sie davon aus, dass dieses Verständnis, Wissen, Weitblick und Reflexionsvermögen in der Deutschen Gesellschaft in einer großen Breite vorhanden ist.



        Dem ist leider nicht so!

        Auch dem von Ihnen skizzierten humanistischem Weltbild hinsichtlich dem ehrenwerten Ziel "zukunftsfähige Gesellschaft" unterliegt die Annahme, dass die Menschheit im Rahmen der globalisierten Welt schon dafür bereit ist und das der Weg dahin ohne Umwege, Einschnitte oder Zwischenstufen möglich ist.



        Das erachte ich, ob aller Sympathien für diese Utopie, für naiv hoch 12.

      • @nolongerquiet:

        Ein unglaublich guter und wichtiger Kommentar, danke. Zeigt auch sehr gut, dass die Rechten deutlich besser Stimmung machen können