Petra Köpping (SPD) im Interview: „Das hat mit der AfD nichts zu tun“

Sachsens Sozialministerin Petra Köpping (SPD) über Kommunen am Limit, Unterbringung von Geflüchteten und ihre Strategie gegen die Rechtsradikalen.

Frau mit Kinderwagen

Aufnahmeeinrichtung für Ukrai­ne­r*in­nen in Leipzig: „Hören, dass Geflüchtete beschimpft werden“

taz: Frau Köpping, im Frühjahr haben viele Kommunen gewarnt, sie kämen bei der Unterbringung Geflüchteter an ihre Grenzen. Seither haben andere Themen die Tagesordnung bestimmt. Wie ist die Lage in Sachsen aktuell?

Petra Köpping: Wir haben in Sachsen derzeit über 100.000 Geflüchtete, etwa 56.000 davon aus der Ukraine. Das sind Zahlen, die schon deutlich über denen von 2015/16 liegen. Die Landräte und Oberbürgermeister verzeichnen durchaus noch immer Überlastung.

Petra Köpping

SPD, ist seit 2019 Sächsische Staatsministerin für Soziales und gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Ukrai­ne­r*in­nen müssen ja anders als andere Geflüchtete nicht erst mal in eine Unterkunft, sondern können auch privat unterkommen. Entspannt das die Lage?

Ja, von den Menschen aus der Ukraine sind nach wie vor sehr viele dezentral untergebracht, in eigenen Wohnungen oder bei Familien. Das entspannt die Lage durchaus. Aber gerade in den großen Städten wie Leipzig oder Dresden sind die Wohnungen ohnehin knapp. Und auch unsere Erstaufnahme verzeichnet immer noch Zugänge. Wir sind ja hier nahe der polnischen und der tschechischen Grenze. Das macht sich bemerkbar.

Wochen- und monatelang haben Bund, Länder und Kommunen über Geld für die Versorgung und Unterbringung von Geflüchteten gestritten. Mitte Mai gab es dann eine Einigung: unter anderem 1 Milliarde Euro zusätzlich vom Bund. Hilft das?

Es ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Die Kommunen wünschen sich eine auskömmliche Finanzierung. Die Unterbringung ist das eine. Aber zum Beispiel bekommen viele ukrainische Geflüchtete Bürgergeld. Das hat dann Auswirkungen auf Kitabeiträge und so weiter. Und diese Folgeausgaben, die bleiben bei den Landkreisen und Kommunen hängen.

Eine Untersuchung hat gezeigt, dass die Solidarität mit den Ukrai­ne­r*in­nen sehr hoch ist – höher als bei anderen Geflüchteten. Woran liegt das?

Generell kann ich für Sachsen sagen: Die Unterstützung für ukrainische Geflüchtete ist nach wie vor hoch. Allerdings hören wir leider auch von ukrainischen Geflüchteten, dass sie beschimpft oder angegangen werden. Da wird mal gefragt: Was fährst du denn für ein großes Auto? Oder es gibt zum Beispiel kein Verständnis dafür, dass manche kurzzeitig in die Ukraine zurückfahren, dort nach ihrer Wohnung oder ihrer Familie sehen. Die Ehemänner der meisten Frauen sind ja noch im Land. Da zeigt sich auch, dass Menschen, die hier ihr Leben lang in Frieden leben, wenig Ahnung davon haben, wie Krieg eigentlich läuft. Leider zeigt sich aber auch, dass sich viele der Ukraine näher fühlen als etwa Syrien. Es ist geografisch näher, kulturell näher, und wir haben hier ja ohnehin eine starke Verbindung zur ehemaligen Sowjetunion.

Halten Sie diese Unterscheidung für gerechtfertigt?

Nein, das muss ich klar sagen. Es darf keine Flüchtlinge erster und zweiter Klasse geben. Genauso wie eben überhaupt keine Bevölkerungsgruppe vernachlässigt werden darf. Sonst landen wir sofort in der Neidgesellschaft. Auch das haben wir ja schon gesehen: dass, wenn Geflüchtete kamen, sofort gefragt wurde: Und wer kümmert sich um die Obdachlosen? Alle, die Unterstützung brauchen, müssen sie gleichermaßen erfahren.

Wie fanden Sie vor diesem Hintergrund den Streit zwischen Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) und Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) um die Finanzierung der Kindergrundsicherung?

Den fand ich gar nicht gut, muss ich deutlich sagen. Ich sah da auch beide in der Verantwortung. Es ist doch klar, dass wir sowohl die Wirtschaft als auch Kinder in Armut unterstützen müssen. Das darf man nicht gegeneinander ausspielen, und da müssen sich die zuständigen Politiker vorab einigen, vielleicht beide ein paar Abstriche machen – aber diesen Streit doch nicht öffentlich austragen. Klar ist: Wenn ich mich heute nicht um die Kinder kümmere, habe ich morgen auch mehr wirtschaftliche Probleme. Ich finde gut, dass sich beide unter Vermittlung von Bundeskanzler Olaf Scholz geeinigt haben.

Die Asyldebatte war zuletzt sehr restriktiv, es ging etwa um mehr Abschiebungen. Gleichzeitig kommen die meisten Geflüchteten aus der Ukraine und aus Ländern wie Syrien oder Afghanistan, wohin nicht abgeschoben wird. Wie zielführend ist das also?

Wenn bei einem Menschen klar ist, dass er hier bleiben kann, dann müssen wir ihn schnell integrieren und sehen, dass er Zugang zu Schule oder Arbeit bekommt. Genauso wichtig ist aber, dass die, die nicht bleiben können, Deutschland möglichst zügig wieder verlassen. Das ist wichtig sowohl mit Blick auf die Belastung der Kommunen als auch für die Akzeptanz in der Bevölkerung. Ich habe zum Beispiel einen Bericht aus der Stadt Plauen, wonach 40 Prozent eben nicht bleiben können. Das ist schon eine Größenordnung, mit der man umgehen muss.

Bundesweit lag bei inhaltlichen Entscheidungen über Asylanträge die Schutzquote zuletzt bei deutlich über 70 Prozent. Und rund 40 Prozent der negativen Entscheidungen, die vor Gericht landeten, wurden korrigiert. Der allergrößte Teil der Menschen hat doch Recht auf Schutz.

Es wird sehr viel mit unterschiedlichen Zahlen jongliert. Ziemlich oft werden, fürchte ich, diejenigen, die eine Duldung bekommen, bei den Abzuschiebenden mit eingerechnet …

… Geduldete zählen formal als ausreisepflichtig, dürfen aber erst einmal in Deutschland bleiben, weil aus verschiedenen Gründen eine Abschiebung nicht möglich ist.

Genau. Wenn man sie mitzählt, dann kommt man auf sehr hohe Zahlen von Abzuschiebenden. Das ist unsauber. Aus meiner Sicht müssen auch Geduldete hier so schnell wie möglich ankommen und in Arbeit kommen können und dann auch möglichst eine Anerkennung bekommen, wenn sie sich bemühen, arbeiten, sich integrieren.

Die Ampel ist in ihrem Diskurs über Flucht und Asyl zuletzt deutlich nach rechts gerückt. Ist das aus Ihrer Sicht ein Versuch, den hohen Umfragewerten der AfD zu begegnen?

Dem würde ich widersprechen. Ich sehe es als Reaktion auf die vielen Einwände und Hinweise, die Bürgermeister und Landräte geäußert haben. Diejenigen also, die vor Ort Integration umsetzen wollen. Die meisten bringen ja gewichtige Gründe dafür vor, dass sie am Limit sind. Die Schulen und Kitas sind voll, die Unterkünfte sind es auch. Das hat mit der AfD nichts zu tun.

In den ostdeutschen Bundesländern sind die Zustimmungswerte für die AfD besonders hoch. Unter anderem in Sachsen wird nächstes Jahr gewählt. Wie muss die Politik der Beliebtheit der Rechtsextremen begegnen?

Wir müssen genau hingucken und mit den Menschen reden. Streit in der Ampel hilft nicht, sondern schadet. Den Menschen fehlt, dass die Politik Orientierung gibt und Lösungen sucht. Und dass sie ihre Vorhaben zu Ende denkt. Es muss klar sein, wer letztlich die Lasten trägt, und das muss abgesprochen werden. Dass das etwa beim Heizungsgesetz wirklich nicht gut gelaufen ist, brauche ich Ihnen nicht sagen. Es gibt eine große Unzufriedenheit mit der Bundesregierung, und das führt dazu, dass die Menschen die Orientierung verlieren.

Nehmen sie die Wäh­le­r*in­nen da nicht zu sehr aus der Verantwortung? Weil sie sauer auf die Regierung sind, landen sie bei der AfD? Die Menschen wissen doch, wofür diese Partei steht.

Durch unglückliche Kommunikation gehen die Zustimmungswerte für die AfD erheblich nach oben. Das ist kein ostdeutsches Phänomen, sondern überall in der Bundesrepublik zu beobachten. In Koalitionen muss man Abstriche machen, das versteht jeder. Aber man muss sich im stillen Kämmerlein streiten. Und wenn man dann ins Kabinett geht, dann brauchen die Bürger ein klares Signal: Man hat sich verständigt. Aber ich gebe Ihnen recht: Der Großteil der Menschen weiß sehr wohl, was er da wählt.

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