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Kampf in Geflüchtetenlager im LibanonZwischen IS- und Arafat-Postern

Is­la­mis­t*in­nen und Anhänger der Fatah bekämpfen sich in einem Lager für palästinensische Geflüchtete. Die Perspektivlosigkeit befeuert die Eskalation.

Bewaffnete der Fatah bei Auseinandersetzungen im libanesischen Flüchtlingslager Ain al-Hilweh Foto: Mohammad Zaatari/ap

Beirut taz | Rauch zog am Montag über dem größten Lager palästinensischer Geflüchteter im Libanon auf, rund 2.000 Menschen waren bis Dienstagvormittag vor den Schüssen geflohen. In dem Camp im Süden des Landes, nahe der Küstenstadt Saida, bekämpfen sich Mitglieder der Palästinenserorganisation Fatah und Anhänger islamistischer Gruppen.

Bereits am Samstag brach der Konflikt aus, als bei einem versuchten Anschlag auf einen Extremisten dessen Begleiter getötet wurde. Islamistische Kämpfer erschossen daraufhin einen palästinensischen General der Fatah-Organisation des Palästinenser-Präsidenten Mahmud Abbas und drei weitere Personen. Bis Dienstagmittag starben mindestens elf Menschen.

Eine militärische Quelle der Fatah sagte gegenüber der libanesischen Zeitung L’Orient-Le Jour, die Partei koordiniere sich mit den palästinensischen Sicherheitskräften, um „mit aller Kraft gegen die Quellen der Schüsse vorzugehen“ und „die Schlinge um die extremistischen Gruppen enger zu ziehen“.

Eine am Sonntag vereinbarte Waffenruhe hielt aber nicht lange an. Ein Bewohner des Lagers sagte L'Orient-Le Jour, Familien mit Kindern hätten ihre Häuser am Sonntagnachmittag verlassen und Taschen mit ihren Habseligkeiten mitgenommen. Rund 800 Menschen suchten Schutz in einer nahe gelegenen Moschee, berichtete der Nachrichtensender Al Jazeera am Dienstag.

Der Name des Lagers ist Ain al-Hilweh, es ist das größte der zwölf Camps für palästinensische Geflüchtete im Libanon. Auf nur anderthalb Quadratkilometern leben laut den Vereinten Nationen mehr als 54.000 Menschen. 2012 nahm Ain al-Hilweh außerdem mindestens 11.000 Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen und syrische Staatsangehörige auf, die aus dem palästinensischen Viertel Jarmuk in Damaskus fliehen mussten, nachdem in Syrien im Vorjahr der Krieg begann.

Um Ain al-Hilweh: Eine Mauer und Kontrollpunkte der Armee

Teils unverputzte Häuser stehen in dem Lager gedrängt aneinander, durch die engen Gassen zieht sich ein Gewirr von Stromkabeln. Poster des ehemaligen Palästinenserführers Jassir Arafat hängen zwischen Flaggen der salafistischen Gruppe Asbat al-Ansar und denen der Terrororganisation „Islamischer Staat“ (IS).

Die herrschenden Kräfte im Lager sind die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) und prosyrische Gruppierungen, die ihre eigenen politischen Institutionen und Sicherheitskräfte betreiben. Gemeinsam wollen sie verhindern, dass Verbündete des IS sowie der islamistischen Terrorgruppe Al-Nusra-Front das Lager in einen Krieg ziehen.

Rauch über dem Flüchtlingslager Ain al-Hilweh am 31. Juli Foto: Aziz Taher/reuters

Das Gebiet ist von einer Mauer und Kontrollpunkten der libanesischen Armee umgeben. Doch das libanesische Militär darf die Siedlung nicht betreten – eine Lehre aus Kämpfen im Jahr 2007. Damals wurde das Lager Nahr al-Bared im Nordlibanon durch Kämpfe zwischen dem Militär und der Dschihadistengruppe Fatah al-Islam zerstört. Als Konsequenz gilt die Übereinkunft, dass Palästinensergruppen sich um die Sicherheit in ihren Lagern kümmern.

Seit Juli 2014 gibt es eine gemeinsame palästinensische Sicherheitstruppe in Ain al-Hilweh. Daran sind siebzehn bewaffnete Gruppierungen von Kommunisten bis Dschihadisten beteiligt. Trotzdem kommt es zwischen den Gruppierungen immer wieder zu Kämpfen. Vor zwei Monaten tötete ein Mitglied der Asbat al-Ansar ein Fatah-Mitglied. Im Jahr 2017 kämpften die palästinensischen Gruppierungen in den Lagern fast eine Woche lang gegen eine militante Gruppe, die mit dem IS verbunden ist.

Die extremistischen Netzwerke von Ain al-Hilweh sprechen gezielt wütende Jugendliche an

Keine libanesische Staatsbürgerschaft für Palästinenser

Die Menschen leben in Armut und auf engstem Raum – ein Nährboden für islamistische Extremisten. Die extremistischen Netzwerke von Ain al-Hilweh haben sich darauf spezialisiert, wütende Jugendliche anzusprechen. Diese Jugend hat wenig Vertrauen in die Behörden des Lagers und wenig Chancen, sich eine Zukunft im Libanon aufzubauen.

Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen können im Libanon weder die Staatsbürgerschaft beantragen noch Immobilien oder Land besitzen. Ihr Zugang zum Arbeitsmarkt ist beschränkt, sie dürfen nur in bestimmten Berufen im Niedriglohnsektor arbeiten. Hinzu kommt seit 2019 eine starke Wirtschaftskrise. Für Menschen im Libanon generell, aber besonders für benachteiligte Minderheiten wie Pa­läs­ti­nen­se­r*in­nen ist es kaum möglich, legale Arbeit zu finden, mit der sich das Leben finanzieren lässt.

Um die Situation zu deeskalieren, kam der palästinensische Botschafter im Libanon, Aschraf Dabbur, am Montagmorgen nach Saida. Er besuchte die Verletzen im Al-Hamschari-Krankenhaus und versuchte, verschiedene Kontakte mit den rivalisierenden Fraktionen zu knüpfen.

Angaben einer anonymen Quelle zufolge sollen die palästinensische und die libanesische Führung miteinander kommunizieren, um einen Waffenstillstand zu erreichen, so L’Orient-Le Jour. Die Quelle bestätigte der Zeitung, dass der Brigadegeneral der Fatah-Bewegung und der Generalsekretär der PLO-Fraktionen ihre Bemühungen um eine sofortige Beendigung der Kämpfe fortsetzen.

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2 Kommentare

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  • Ja schon: mehr soziale Rechte und Existenzgarantien, dann weniger Angeworbene bei den Kriegsfanatikern.



    Berichte über Ablehnung von Palästinenern gibt es auch aus Jordanien.



    Schlimm. Da diese konkurrierenden Nationenprojekte beide nicht zu 100 % im "heiligen Land" realisierbar sind, sollten alle Menschen in allen Nachbarstaaten richtige Bürgerrechte erhalten. Das forderten auch Protestierende im Irak auf Bannern "Citizen Rights Now!"

  • Ein außenpolitischer Artikel, der ganz einfach die Akteure und ihre Machtinteressen beschreibt, dazu noch die Rechtlosigkeit der Palästinenser im Libanon benennt, wo sie zum Teil seit Generationen, seit der Flucht, leben. Das alles ist realistisch. Und keine einzige Entschuldung in dem Sinne, eigentlich sei ja jemand anders (der Westen, die USA, Israel etc.) Schuld. Respekt. Echter Journalismus ist bei diesem Thema so superselten.