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Abschiebung in NRWBehörden brechen Kirchenasyl

Mit Gewalt hat die Polizei versucht, ein kurdisches Paar aus einer Kirche nach Polen abzuschieben. Am Freitag gibt es eine Mahnwache.

Vor der Ausländerbehörde in Viersen- Dülken Foto: Tom Brandt

Köln taz | „So etwas habe ich noch nicht erlebt“, sagt Elke Langer. Sie ist Pfarrerin in der evangelischen Gemeinde Nettetal-Lobberich in Nordrhein-Westfalen. Am Morgen des 10. Juli klingelt ihr Telefon: Das Ordnungsamt der Stadt Viersen steht mit einem Durchsuchungsbeschluss vor dem Pfarrhaus und versucht, die Tür aufzubrechen. Sein Ziel ist das kurdische Ehepaar, das im Pfarrhaus seit Ende Mai im Kirchenasyl lebt. Es soll nach Polen abgeschoben werden.

„Die Behörden sind sehr grob vorgegangen“, erzählt Langer ein paar Tage später. Die Frau des Paars habe Blutergüsse erlitten, sie selbst habe einen Notarzt gerufen, der nicht durchgelassen worden sei. Die Stadt Viersen will zu den Einzelheiten der Räumung keine Stellung nehmen. Beim Versuch, das Paar in ein Flugzeug zu setzen, brach die Frau schließlich zusammen. Die Abschiebung scheiterte. Zurzeit sitzen die beiden in Darmstadt in Abschiebehaft.

„Das ist ein Präzedenzfall“, sagt Tom Brandt vom Ökumenischen Netzwerk Kirchenasyl. Seit 2014 ist kein Kirchenasyl mehr durch die Behörden geräumt worden. Zwar komme es immer wieder vor, dass ein Asylantrag aus dem Kirchenasyl heraus abgelehnt werde, sagt Brandt, in der Mehrheit der Fälle könnten sich die An­trag­stel­le­r:in­nen aber trotzdem weiter in Deutschland aufhalten, weil sie aus Ländern wie Syrien, Afghanistan oder dem Irak kommen. Dorthin wird in der Regel aktuell nicht abgeschoben.

„Das Kirchenasyl ist kein rechtsfreier Raum“, sagt auch Elke Langer. Falls jemand aus dem Kirchenasyl abgeschoben werden müsse, würden sich normalerweise Kirchengemeinde und Behörden zusammensetzen, um das weitere Vorgehen abzusprechen.

Amtsleiter in der Kritik

Die Stadt Viersen weist die Vorwürfe von sich. Die Vereinbarungen mit den Kirchen seien beachtet worden. Die Abschiebung sei „nach den gesetzlichen Vorgaben“ erfolgt, eine „Ausreisepflicht“ habe vorgelegen. Die Ausländerbehörde habe auf Weisung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) gehandelt.

Allerdings schreibt das Bamf nur vor, dass eine Abschiebung durchgeführt werden muss, wann und mit welchen Mitteln liegt jedoch im Ermessen der Behörden vor Ort. „Die Verwaltung muss sich dazu erklären“, fordern die Viersener Grünen. Sie sehen besonders die Rolle des Amtsleiters der Ausländerbehörde kritisch.

Für Tom Brandt vom Netzwerk Kirchenasyl ist klar, dass die Räumung des Kirchenasyls nicht legitim war. Das betroffene Ehepaar sind Kur­d:in­nen aus dem Nordirak, „Sie sind nicht nur wegen der allgemeinen Lage dort bedroht, ihre Familien billigen auch die Ehe nicht“, erzählt Tom Brandt. Der Mann sei von Zwangsverheiratung bedroht gewesen.

Über die Grenze zwischen Belarus und Polen sollen die beiden schließlich in die EU gekommen sein. Laut dem Dublin-Verfahren müssten sie dort auch den Asylantrag stellen. Ein erster Asylantrag wurde deshalb abgelehnt, das Paar im Dezember 2022 nach Polen abgeschoben. Es kehrte kurz darauf nach Deutschland zurück – aus Angst.

Abschiebung droht weiter

In Polen seien die beiden schon beim Grenzübertritt beschimpft und inhaftiert worden, berichtet Brand: „Sie sind traumatisiert.“ Pfarrerin Langer ergänzt, dass bei der Frau eine Suizidgefahr attestiert worden sei. Das Kirchenasyl in Nettetal sollte das Paar dann vor einer erneuten Abschiebung nach Polen beschützen.

Die Bedingungen für das Kirchenasyl seien nicht gegeben, erklärt ein Sprecher des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg gegenüber der taz. Es liege kein gültiger Folgeantrag auf Asyl vor und damit auch keine Grundlage für das Kir­chen­asyl. Zudem müssten die Vorwürfe gegenüber den polnischen Behörden in einem Härtefalldossier dargelegt werden. Dies sei nicht erfolgt.

„Laut seinem Verständnis hat das Paar bei der Wiedereinreise einen Folgeantrag auf Asyl gestellt“, erwidert Tom Brandt. Ein Härtefalldossier werde erst dann erstellt, wenn das Bamf eine entsprechende Frist gesetzt habe. Das Netzwerk Kirchen­asyl will nun mit einem Eilverfahren die drohende Abschiebung verhindern.

Im Moment befinden sich die Eheleute in Abschiebehaft in Darmstadt, der Abschiebetermin ist für Dienstag angesetzt. „Es geht ihnen so weit gut“, sagt Pfarrerin Elke Langner, die sie am Wochenende besucht hat. Allerdings müsse die Frau des Paars Beruhigungsmittel nehmen, um sie vor einem erneuten Zusammenbruch zu schützen.

Für Freitagnachmittag ruft das Netzwerk Kirchenasyl zu einer Kundgebung vor dem Viersener Rathaus auf. „Es geht nicht nur um diese Abschiebung“, sagt Tom Brandt, „sondern um das ganze Dublin-System.“

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6 Kommentare

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  • Die Kirche steht nicht über dem Staat!

    Also kann Sie auch kein Asyl gewähren, dass der Staat abgelehnt hat!

    • @Thomas Zwarkat:

      Die Kirche kann zivilen Widerstand leisten. Nichts anderes nehmen ja auch andere Gruppen für sich in Anspruch.

      Und natürlich kann die Kirche Kirchenasyl gewähren - und der Staat kann schauen was er daraus macht und wie die Konsequenzen aussehen.

  • Hat die Kirche Sonderrechte?



    Hat sie nicht, also können die Behörden auch kein Kirchenasyl "brechen".

    • 6G
      675670 (Profil gelöscht)
      @Rudi Hamm:

      Na, da der Staat ja offenbar nicht mehr imstande ist, angemessen zu agieren, außer wenn es um die Belange von Porschefahrern und Investmentbankern geht, wäre es aber schon an der Zeit, nachzudenken, ob nicht bestimmte Organisationen Schutzrechte gegenüber Verfolgten ausüben dürfen sollten.

  • Überschrift: Kirchen brechen Kichenasyl.



    Ich möchte zitieren: „Kirchenasyl* im rechtlichen Sinn gibt es im modernen Rechtsstaat nicht, weil der sakrale Ort kein rechtsfreier Raum mehr ist. Da nur der Staat Flüchtlinge anerkennen und insbesondere Asyl gewähren kann, nimmt die Kirche ein solches Recht auch nicht in Anspruch. Um dem Missverständnis vorzubeugen, dass die Kirche beim „Kirchenasyl* ein eignes Asylrecht beansprucht, wird in dieser Publikation „Kirchenasy]* immer in



    Anführungszeichen gesetzt.



    Quelle: www.kirchenasyl.de...09_Kirchenasyl.pdf

    Den beschriebenen Fall möchte ich selbst nicht kommentieren, da ich die Information für zu dürftig halte.

    • @Kommentar 123:

      Der sakrale Ort war nie ein rechtsfreier Raum, da das frühere Kirchenasyl Teil der Rechtsordnung war - im 5. Jahrhundert findet es sich etwa im Codex Theodosianus recht klar ausdifferenziert hinsichtlich des Kreises der Asylberechtigten, des örtlichen und zeitlichen Geltungsbereiches und der Verfolgung der Verletzung des Kirchenasyls als Majestätsbeleidigung. Im 9. Jahrhundert findet sich das Kirchenasyl in der Capitulatio de partibus Saxoniae Karls des Großen, im 11. Jahrhundert wurde es durch Synoden- und Konzilsbeschlüsse weiter konkretisiert. Das Kirchenasyl war jedoch nie ein geistliches Recht, sondern ein weltliches Recht, das geistlichen Institutionen zustand. Im 14. Jahrhundert wurde das Kirchenasyl immer weiter eingeschränkt, der Ewige Landfriede von 1495 schließlich formulierte das Gewaltmonopol des Staates. Im 19. Jahrhundert hoben alle europäischen Staaten das Kirchenasyl formell auf, die römisch-katholische Kirche hielt an ihrem Anspruch, Kirchenasyl zu gewähren, noch 1917 im Codex Iuris Canonici, can. 1179 fest: “Ecclesia iure asyli gaudet ita ut rei, qui ad illam confugerint, inde non sint extrahendi, nisi neccessitas urgeat, sine assensu Ordinarii, vel saltem rectoris ecclesiae.” („Die Kirche (= Kirchengebäude) genießt Asylrecht, so daß Angeklagte, die bei ihr Zuflucht suchen, nicht ohne Zustimmung des Ordinarius oder wenigstens des Kirchenrektors aus ihr herausgezerrt werden dürfen, wenn es nicht die Notwendigkeit erfordert.“).