Pflegenotstand: Welcome to Deutschland
Immer mehr Pflegekräfte aus Drittstaaten arbeiten in deutschen Krankenhäusern und Altenheimen. Wie erleben sie ihren Arbeitsalltag? Fünf Protokolle.
Alberto Gutierrez* (32) aus Mexiko
E igentlich wollte ich in die USA auswandern, aber dann habe ich zufällig bei Facebook gesehen, dass Deutschland dringend zusätzliches Pflegepersonal braucht. Ich war neugierig auf das Land und dachte, okay, dann kann ich das ja mal ausprobieren.
Ich habe daraufhin Kontakt zu einer Personalagentur in Mexiko aufgenommen, 2016 war das. Die hat mir verschiedene Arbeitgeber in Deutschland vorgestellt. Aus ihren Vorschlägen habe ich das Krankenhaus in Berlin herausgesucht, in dem ich noch heute arbeite. Die Agentur organisierte auch meinen Deutschkurs, den ich ein Jahr lang besucht habe, bevor ich Anfang November 2018 ins Flugzeug nach Berlin gestiegen bin.
Ich hatte mich total auf diesen Neuanfang gefreut, aber die Stadt begrüßte mich erst mal mit Dunkelheit und Kälte. Gerade diese Kälte war ein echter Schock für mich, denn ich komme aus einem Dorf, in dem das ganze Jahr Temperaturen über 30 Grad herrschen. Deshalb war dieser erste Winter auch besonders hart für mich, mein Körper war die Minusgrade einfach nicht gewöhnt.
Dieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
In meinem ersten Jahr in Deutschland hatte ich so krasses Heimweh, dass ich ganze zehn Kilo abgenommen habe. Zehn Kilo! Ich vermisste einfach alles, was ich in Mexiko zurückgelassen hatte: meine Familie, meine Freunde, das gute Essen, die Sonne … Und das, obwohl ich mich monatelang auf meine Auswanderung vorbereitet hatte.
Auf der Arbeit hat mich einiges überrascht. Einer der einprägsamsten Momente war, als meine neue Chefin mich anrief, um mit mir über meinen Urlaub zu sprechen. Ich konnte kaum glauben, dass ich noch vor Ende meines ersten Jahres das Recht hatte, mich für ein paar Tage auszuruhen. In Mexiko hat man nur sechs Tage Urlaub im Jahr, und den kann man erst nehmen, wenn man zwölf Monate lang gearbeitet hat.
Ein weiterer Unterschied bei der Arbeit ist die Beziehung zu den Vorgesetzten. In meinem Heimatland ist sie hierarchischer. Hier habe ich zwar eine Chefin, aber die hat mir schon am ersten Tag das Du angeboten und mich gebeten, sie nicht wie eine Vorgesetzte zu behandeln, da wir in erster Linie Kollege und Kollegin seien.
Nur wenig Anerkennung
Ich bin als Krankenpfleger auf der Beatmungsstation eingeteilt worden, weil ich dazu bereits Erfahrungen in Mexiko gesammelt hatte. Ich unterstütze hier nun vor allem die Anästhesisten im Operationssaal. Meine Aufgabe ist es, Patienten an Beatmungs- und Narkosegeräte anzuschließen oder sie zu intubieren. Deshalb musste ich während der Pandemie auch an vorderster Front bei der Versorgung von Patienten mit Covid-19 mithelfen. Das war eine echt heftige Zeit.
Doch wenn ich heute zurückblicke, bin ich der Überzeugung, dass es die beste Entscheidung war, nach Deutschland zu kommen. Das heißt nicht, dass hier alles perfekt ist, aber wenn ich die guten Erfahrungen gegen die schlechten abwäge, überwiegen die guten.
Nur einmal, das war noch ganz zu Beginn, hätte ich fast alles hingeschmissen. Das war, als ich aus Versehen am Computer einen Fehler bei der Einweisung eines Patienten gemacht hatte. Da schrie mich ein Kollege an: „Warum machst du so was? Frag doch erst mal nach!“ An diesem Tag verließ ich niedergeschmettert die Station. Und dann erst die vielen Missverständnisse wegen der Sprache. Wegen denen habe ich mich mehr als einmal in der Toilette eingeschlossen und mich gefragt, was ich hier eigentlich mache.
Wenn mich heute jemand fragt, was man verbessern könnte, dann würde ich sagen: die Willkommenskultur. Denn obwohl sie in der Theorie existiert, habe ich am eigenen Leib erfahren, dass es in der Praxis oft an Empathie und Zugewandtheit gegenüber uns Neuen fehlt.
Nichtsdestotrotz bin ich geblieben und lebe jetzt schon seit fünf Jahren hier. Mein Job macht mir total viel Spaß, ich habe kein Bedürfnis zurückzugehen. Mir gefällt es, dass nicht nur die Patienten, sondern auch die Angehörigen meine Arbeit anerkennen und dankbar dafür sind.
Ich würde mir dennoch wünschen, dass alle, wirklich alle Menschen berücksichtigen, was wir Migranten für die Gesellschaft leisten. Denn ich bin ein vollwertiges Mitglied dieser Gesellschaft, das Steuern zahlt und wichtige Arbeit in einem Bereich leistet, in dem nur wenige Deutsche arbeiten wollen. Protokoll: Yetlaneci Alcaraz
Das neue
erleichtert die Zuwanderung von Pflegekräften – aber nur bedingt. Denn die Pflege ist ein bundesrechtlich reglementierter Beruf. Man braucht daher als Pflegefachkraft in Deutschland zwingend eine Anerkennung und eine entsprechende Berufszulassung.Um als Fachkraft aus Drittstaaten nach Deutschland zu kommen, müssen Pflegefachkräfte einen Abschluss aus dem Herkunftsland mitbringen, der hier in Deutschland als gleichwertig anerkannt wird, also einer hiesigen dreijährigen Ausbildung zur Pflegefachkraft entspricht. Diese Anerkennung erfolgt aber erst, nachdem hier bis zu 18-monatige Anpassungslehrgänge und Sprachkurse bis zum B2-Niveau absolviert wurden.
Über das Anwerbe-Programm „Triple Win“ sind seit 2013 rund 4.700 Pflegefachkräfte aus Nicht-EU-Ländern nach Deutschland gekommen, vor allem aus Bosnien und Herzegowina, Tunesien und den Philippinen. Weitere Kooperationen wurden mit Mexiko, Brasilien und El Salvador geschlossen (siehe Protokolle). Es gibt einen Verhaltenskodex innerhalb der Weltgesundheitsorganisation WHO, wonach Staaten kein Personal abwerben sollen in Ländern, in denen selbst ein Mangel an Fachkräften im Gesundheitsbereich besteht. Bei den staatlich anerkannten Programmen und renommierten Agenturen wird dieser Kodex berücksichtigt.
Berufe in qualifizierten Pflegehilfstätigkeiten, etwa Altenpfleger:innen und Pflegeassistent:innen, werden auf Länderebene geregelt. Für sie ist in Deutschland eine Ausbildung von ein bis zwei Jahren erforderlich. Laut der neuen
zum Fachkräfteeinwanderungsgesetz sollen Pflegekräfte aus dem Ausland herkommen und sofort als Pflegehilfskräfte arbeiten dürfen, sofern das jeweilige Bundesland seine oder ihre Ausbildung im Ausland als gleichwertig zu einer hiesigen sogenannten qualifizierten Pflegehilfskraft anerkennt. Sie können dann die Weiterbildung zur – sehr viel besser bezahlten – Pflegefachkraft dranhängen.Asylbewerber:innen mit einer Aufenthaltsgestattung oder Duldung können in Sonderprojekten zu Pflegehilfskräften ausgebildet werden. Nach dem neuen Gesetz dürfen Asylbewerber:innen im Verfahren unter Umständen auch hier arbeiten, dabei müssen aber Qualifikation und Sprachkenntnisse ausreichen. (Barbara Dribbusch)
Juliana Silva* (31) aus Brasilien
Ich wollte nie im Ausland leben. Ich war gerade am Ende meines Studiums und bereitete mich auf eine Spezialisierung in der Geburtshilfe vor, als ich von dem Anwerbeprogramm für Krankenschwestern und -pfleger aus Deutschland hörte. Ich wusste nichts vom Fachkräftemangel im Gesundheitsbereich. In meiner Naivität hörte sich das nach einer unschlagbaren Chance an. Ich hatte keine Kinder, war jung und lebte bei meiner Mutter. Die Spezialisierung konnte warten.
Die Unterlagen, die ich für die Auswanderung benötigte, waren sehr spezifisch. So musste ich mir zum Beispiel eine detaillierte Aufschlüsselung aller praktischen Studienfächer beim Immatrikulationsamt meiner Universität besorgen und sie übersetzen lassen. Die Übersetzungen mussten anschließend beglaubigt werden, was nur bei spezialisierten Notaren außerhalb der Stadt möglich war. Für die Anerkennung der Dokumente war wiederum das Krankenhaus in Hessen zuständig, für das ich künftig arbeiten sollte.
Ich kam im Oktober 2016 in Deutschland an. Der Anfang war schrecklich. Wir waren 13 Krankenschwestern und die ersten Brasilianerinnen, die das Unternehmen jemals eingestellt hatte. Eine Art Testgruppe. Wir erlebten eine Reihe von Enttäuschungen. Angefangen mit dem Deutschkurs in Brasilien, der weder die Fachterminologie noch nützliches Vokabular für den Pflegealltag enthielt. Wir haben auch keine wirkliche Einweisung im Krankenhaus selbst erhalten. Wir haben einfach angefangen zu arbeiten.
Ich dachte, dass wir angesichts des Personalmangels gut aufgenommen werden. Doch das Gegenteil war der Fall. Unsere Kolleginnen und Kollegen waren nicht auf unsere Ankunft vorbereitet. Informationen über unseren beruflichen Hintergrund und unsere Deutschkenntnisse wurden nicht richtig vermittelt. Die sowieso schon überforderten MitarbeiterInnen mussten uns nun also zusätzlich noch beibringen, wie alles funktioniert. Kein Wunder, dass sie da ungeduldig wurden. Trotzdem fand ich es menschlich enttäuschend, dass sie mit den Augen rollten, wenn wir etwas nicht kapierten, und dass sie uns auf Schritt und Tritt testeten und kontrollierten.
Es gab auch kein Interesse daran, uns besser kennenzulernen. Stattdessen bezeichneten sie mich oft als „die Brasilianerin aus der Gynäkologie“.
Die übergriffige Oberschwester
Bei einer Operation versuchte eine Kollegin, mich in Verlegenheit zu bringen: „Hey, kannst du mir erklären, was das für ein Verfahren ist?“ Natürlich konnte ich das. Nur anfangs nicht auf Deutsch. Selbst unter uns durften wir kein Portugiesisch sprechen. Einmal, vor dem Gebäude, in dem wir wohnten, unterbrach die Oberschwester unser Gespräch, um uns zu sagen, dass wir Deutsch sprechen müssten. Wir waren nicht mal im Krankenhaus.
Eine Situation hat mich besonders irritiert. Am Ende eines technischen Kurses wurde der Vertrag einer deutschen Auszubildenden nicht verlängert. Ich bereitete gerade chirurgische Instrumente vor, als ich eine Kollegin sagen hörte: „Ich verstehe das nicht. Die holen lieber Ausländer, als uns Deutsche einzustellen.“ Als sie merkte, dass ich mit im Raum war, sagte sie, sie habe nichts gegen mich. Aber wie sollte ich es anders verstehen, wenn ich auch Ausländerin bin?
Ich bekam Angst, zur Arbeit zu gehen. Ich fragte mich: „Wie wird es heute sein? Wie werden sie mich behandeln?“ Ich habe oft daran gedacht zu kündigen. Ich blieb nur wegen der zweijährigen Verpflichtung, die ich eingegangen war, und den 5.000 Euro, die ich im Falle eines Ausstiegs hätte zahlen müssen. Und es war nicht nur für uns Brasilianerinnen schwierig. Von der Gruppe der Spanierinnen, die unserer vorausgegangen war, ist niemand mehr da. Sie sind alle zurück in ihre Heimat gegangen.
Bei mir haben die Dinge unverhofft eine andere Wendung genommen. Kurz vor Ablauf der zwei Jahre lernte ich meinen Freund kennen. Am Ende blieb ich der Liebe wegen und weil ich hier meinen Sohn mit mehr Ruhe und Sicherheit großziehen kann.
Letztes Jahr habe ich ein Instagram-Profil mit Inhalten über die Pflege und Tipps für BrasilianerInnen, die in Deutschland arbeiten möchten, erstellt. Ich möchte anderen dabei helfen, bessere Erfahrungen zu machen als ich. Mein Freund hatte dann die Idee, eine Anwerbeagentur zu eröffnen, ähnlich wie die, die mich hierher gebracht hat.
Wir haben bereits die ersten Schritte unternommen. Wir haben zwei Websites eingerichtet: eine für Krankenhäuser und die andere für brasilianische Fachkräfte. Wir haben viele Bewerbungen erhalten. Unser Hauptaugenmerk liegt nun darauf, den Kontakt zu den Krankenhäusern herzustellen. Da gibt es noch viel zu tun. Aber wir haben Zeit. Protokoll: Fernanda Thome
Ousmane Sarr* (31) aus Senegal
Ich hatte mich in der Schule bewusst für Deutsch als Fremdsprache entschieden. Die Sprache gefiel mir und ich wusste, sie ist eine Tür zu meiner Zukunft. Mit Deutsch kann man Lehrer werden oder am Goethe-Institut arbeiten – oder versuchen, nach Deutschland zu gehen. Mein Vater sagte: Lernen lohnt sich immer. Nach dem Abitur habe ich in Dakar Germanistik studiert.
Ungefähr ab 2018 haben wir viele Anzeigen in den sozialen Medien gesehen, für einen Bundesfreiwilligendienst in Deutschland, für FSJ und für Ausbildungen. Ein Freund aus unserem Jahrgang ging als Erster an eine Rehaklinik in Niedersachsen, als Bufdi. Wir blieben die ganze Zeit in Kontakt. Er sagte: Es ist machbar. 2019 bin ich auch gegangen, an dieselbe Klinik. Ich wusste, man hilft Leuten, die sich von einer Krankheit erholen, das fand ich interessant. Erst mal das Jahr, dann weitersehen, dachte ich.
Beim Essen gespart
Die Klinik hatte eine Wohnung für uns gemietet, gegessen haben wir oft bei der Arbeit. So konnte ich von dem dünnen Lohn sogar schon etwas nach Hause schicken. Wenn man nach Europa geht und arbeitet, will man gerne die Familie unterstützen, das ist normal für uns.
Unsere Aufgabe als Bufdis war es, Patienten zu ihren Anwendungen zu bringen oder zum Essen und ihnen zum Beispiel mit Stützstrümpfen zu helfen. Man merkt schnell, dass der Beruf wichtig und schön ist. Zu einigen Patienten von damals habe ich immer noch Kontakt.
Ich komme aus einem kleinen Ort an der Küste von Senegal. Wir haben das Meer und den Fluss mit den schönen Mangroven. Ehrlich, wenn man nach Deutschland kommt, hat man erst mal einen Kulturschock. Die Arbeit war nicht das Problem. Aber die Speisen, das Wetter, wie die Menschen leben.
Wenn ich in meinem Dorf morgens aus dem Haus gehe, begrüße ich in Ruhe alle, die ich treffe. Wenn du hier morgens jemanden siehst, guckt er nur nach vorne – man sieht, der ist im Kopf schon bei seiner Arbeit. Natürlich kann man hier auch Hallo sagen, aber es ist anders. Normal, alle haben ihre eigene Kultur. Wir waren darauf vorbereitet, weil wir im Studium viel über Deutschland gelernt hatten. Trotzdem war es hart am Anfang.
Unser Glück war, dass wir früh eine Dame kennengelernt haben, die uns geholfen hat. Sie hat auch in der Rehaklinik gearbeitet. Bis heute ist sie unsere große Stütze. Wir waren drei Bufdis aus dem Senegal am Anfang, ein Jahr später drei neue, dann wieder neue, und für uns alle ist sie unsere deutsche Mama. Sie hat uns immer geholfen, in allen Situationen. Ohne Menschen wie sie wäre es sehr, sehr schwer. Behörden, Bewerbungen, Rundfunkgebühr, Arztbesuche, Bahnfahrten: Das alleine zu verstehen ist unmöglich.
Aber nicht alle Begegnungen sind gut. Menschen haben Vorurteile. Ich werde von Leuten angesprochen, die denken, ich verkaufe Drogen. Einer hat mich mit dem Fahrrad verfolgt deswegen, bis zu mir nach Hause. Das ist sehr verletzend. Ich habe noch nie geraucht oder Alkohol getrunken, ich habe damit nichts zu tun. Alle meine ausländischen Kollegen erleben das hier.
Viele Leute denken auch, dass wir kein Deutsch können. Oder dass wir hier sind, weil wir in Afrika nichts zu essen haben. Oder dass wir als Flüchtlinge gekommen sind. Alles Dinge, die nicht wahr sind. Ich habe ein Visum beantragt, es bekommen und bin mit dem Flugzeug eingereist. Anders wäre ich nicht nach Europa gegangen.
Meine Stärke ist: Ich denke immer positiv. Ich habe Ziele. Ich weiß, wer ich bin, ich kenne meinen Wert. Aber: Ich akzeptiere nicht, wenn jemand meine Würde verletzt oder mich respektlos behandelt. Dann sage ich Stopp.
Ich bin jetzt seit vier Jahren in Deutschland. Nach dem Bufdi wusste ich, die Ausbildung zum Pflegefachmann ist das Richtige für mich. Bei uns im Senegal gibt es keine Altenheime, alte Menschen leben mit ihren Familien. Bevor ich hier war, konnte ich mir überhaupt nicht vorstellen, was das ist. Jetzt weiß ich es genau.
Ich habe schon verschiedene Angebote für die Zeit nach dem Examen nächstes Jahr – Kinderpsychiatrie, Rehaklinik, Altenheim. Alle Bereiche machen mir Spaß, also mal sehen. Auch die Idee mit der ambulanten Pflege finde ich sehr gut. Nicht jeder will in ein Heim, und man kann die Wünsche der Menschen nicht ignorieren. Man hilft ihnen zu Hause und macht etwas Wichtiges für die Gesellschaft. Aber dafür brauche ich erst einen Führerschein.
Ich bin gut angekommen in Deutschland. Aber ich werde immer wieder zurück in die Heimat fahren, so oft es geht. Meine Frau und meine beiden Söhne sind dort. Gerade warte ich auf einen Termin bei der deutschen Botschaft in Dakar, für ein Visum, damit sie mich besuchen können. Es wäre schön, wenn wir richtig zusammenleben könnten, aber das ist nicht so einfach. Ich muss erst noch weiterkommen. Als Nächstes fliege ich aber zu ihnen, ich habe Urlaub. Es ist die dritte Heimreise seit 2019. Zu Hause ist zu Hause. Protokoll: Anne Diekhoff
Marcela Costa (32) aus Brasilien
Viele meiner Kolleginnen und Kollegen, die mit mir 2018 ihren Abschluss gemacht haben, sind sofort nach Deutschland gegangen. Das hatten wir als mögliche Perspektive immer mitgedacht. Ich entschied mich jedoch für eine Spezialisierung auf psychische Gesundheit in Brasilien.
Ich war bereits in dem Bereich tätig, als ich von einem Einstellungsprogramm für Pflegekräfte in einem Krankenhaus in Berlin hörte. Die Stadt, der ja ein positiver Ruf vorauseilt, interessierte mich. Und im Vergleich zu dem, was ich damals an Geld bekam, war das Gehalt besser. Außerdem war ich neugierig, wie die Arbeitsbedingungen in einem so entwickelten Land wie Deutschland sind. Ich bewarb mich.
Wir waren eine Gruppe von 24 Krankenschwestern. Der Vorbereitungsprozess, der noch in Brasilien stattfand, dauerte ein Jahr. Wir besuchten einen Intensivkurs in Deutsch, während sich das Krankenhaus in Berlin um die Bürokratie kümmerte. Alle zwei Wochen hatten wir Online-Nachbesprechungen mit den Vorgesetzten des Krankenhauses. Alles verlief reibungslos. Die Vorstellung, dann bald auch in Deutschland zu arbeiten, reifte allmählich in mir heran. Ich freute mich darauf.
Als die Zeit kam, war ich euphorisch. Ich wollte auf Partys gehen, neue Leute kennen lernen, Berlin erkunden. In Brasilien hatte ich bereits in drei Städten gelebt. Ich war es gewohnt, bei Null anzufangen. Ich hatte einen ersten Monat voller Entdeckungen. Im Krankenhaus wurde ich auf einer neurologischen Station eingeteilt. Ich hatte keine klinische Erfahrung und war froh über die Möglichkeit, etwas Neues zu lernen.
Kein Job für immer
Es dauerte jedoch nicht lange, bis sich die Sprachbarriere, insbesondere am Arbeitsplatz, als schwieriger erwies, als ich es mir vorgestellt hatte. Ich begann, Situationen zu erleben, in denen Patienten sagten: „Ich will jemanden, der richtig Deutsch spricht.“ Ich hatte schreckliche Angst, ans Telefon zu gehen. Ich konnte mich nicht richtig ausdrücken und hatte das Gefühl, dass deutsche Kolleginnen und Kollegen und Patient:innen deshalb meine Kompetenz nicht anerkannten. Ich fühlte mich zunehmend unsicher und nicht gewürdigt.
Auch die Arbeitspraxis stellte für mich eine Herausforderung dar. Anders als ich es gewohnt war, herrschen in deutschen Krankenhäusern unregelmäßige Arbeitszeiten. Von uns wird erwartet, dass wir abwechselnd Tag- und Nachtschichten machen, manchmal bis zu sieben Schichten in einer Woche. Das ist sehr anstrengend. In Brasilien konnte ich regelmäßig auf die Unterstützung von Pflegehelfern zählen. Hier gibt es zu viel Arbeit für zu wenige Fachkräfte. Wir kümmern uns oft ganzheitlich um die Patient:innen und übernehmen zusätzliche Aufgaben wie Baden und die Essensausgabe.
Die Sprachbarriere, die Arbeitsüberlastung und mein Heimweh haben sich auf meine psychische Gesundheit ausgewirkt. Seit zehn Monaten durchlebe ich nun schon emotionale Höhen und Tiefen.Trotz allem fühle ich mich von meinem Team unterstützt. Die meisten meiner Kolleginnen und Kollegen sind Ausländer, sie haben den gleichen Prozess durchlaufen. Sie sind es, die mir bei der Vorbereitung der Medikamente helfen, wenn ich mir unsicher bin, ob ich bestimmte Bezeichnungen korrekt verstehe. Wenn sie sehen, dass ich mit der Zahl der mir anvertrauten Patienten nicht zurechtkomme, unterstützen sie mich.
Vor einigen Wochen war ich psychisch krank und musste ein paar Tage der Arbeit fernbleiben. Auch damals fühlte ich mich von meinem Vorgesetzten verstanden und umsorgt.
In zwei Monaten läuft mein Vertrag mit dem Krankenhaus aus. Und obwohl ich unbedingt nach Brasilien zurückkehren möchte, habe ich noch keine Entscheidung über meine Zukunft getroffen. Ich fühle mich an einem Scheideweg. Durch die Erfahrung, die ich in Deutschland gemacht habe, ist mir klar geworden, dass die desolate Lage im Gesundheitsbereich ein globales Problem ist. Die Krankenpflege, ein traditionell von Frauen ausgeübter Beruf, ist gesellschaftlich immer noch unterbewertet.
Ich dachte, ich würde hier bessere Bedingungen vorfinden. Leider sieht die Realität anders aus.
Nach dem Streik der Pflegekräfte in Berlin zu Beginn des Jahres konnten wir eine Lohnerhöhung durchsetzen. Trotzdem finde ich, dass es sich nicht lohnt. Die Arbeit ist zu schwer. Wie andere Kolleg:innen habe ich überlegt, den Beruf zu wechseln. Vielleicht Design. Etwas Kreativeres, weniger Anspruchsvolles, wo ich mehr Flexibilität und Anerkennung bekomme. Protokoll: Fernanda Thome
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund