Anerkennung von Berufsabschlüssen: Können reicht nicht

Arbeitsmigration: Ausländische Berufsabschlüsse müssen mit hiesigen Berufs­ausbildungen verglichen werden. Das grenzt an Detektivarbeit.

Ein Kfz-Mechaniker unter einem Auto

Um als Kfz-Me­cha­tro­niker:in zu arbeiten, muss man sich hierzulande nicht nur mit Autos auskennen Foto: Ralph Lueger/imago

BERLIN taz | Dana Schneider kennt viele solcher Fälle: Ein Mann aus dem Libanon hat über einen Verwandten den Kontakt zu einer Baufirma in Brandenburg in Deutschland gefunden, die ihn gerne einstellen würde. Er hat einen beruflichen Bildungsgang im Herkunftsland hinter sich, hat als Fliesenleger, Fensterbauer und Maurer auf Baustellen gearbeitet. Er hätte gerne die Anerkennung als Fachkraft auf dem Bau. Aus seiner Anfrage geht hervor, dass er stolz ist auf seine Vielseitigkeit. Dabei ist die ein Problem.

„Ich muss dem Anfragenden mitteilen, dass es in Deutschland jeweils verschiedene Ausbildungen gibt für Fliesenleger, Glaser/Tischler und Maurer“, berichtet Schneider, die bei der Handwerkskammer in Potsdam in der Abteilung Berufsbildung für die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse zuständig ist. Es sei daher nur schwer möglich, dem Mann die sogenannte teilweise Gleichwertigkeit seiner Ausbildung mit einer hiesigen staatlich anerkannten Ausbildung zuzugestehen.

Dies wäre die Voraussetzung für eine Einreise, sofern er ein Arbeitsplatzangebot hat. Eine solche „teilweise Gleichwertigkeit“ bedeutet, der Mann müsste dann in einem hiesigen Referenzberuf, vielleicht dem des „Maurers“, bestimmte theoretische und praktische Kenntnisse nachträglich erwerben, um später dann die „volle Gleichwertigkeit“ zu erlangen und langfristig bleiben zu können.

Die Vergleichbarkeit und Anerkennung der „vollen“ oder „teilweisen Gleichwertigkeit“ von Berufsabschlüssen ist ein entscheidender Punkt bei der Zuwanderung aus Drittstaaten außerhalb der EU. „Die Anerkennung der Berufsabschlüsse ist die zentrale Hürde für die Einreise nach Deutschland“, bestätigt Herbert Brücker, Direktor des Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM). Um einen Antrag auf Anerkennung des Berufsabschlusses stellen zu können, müssen die Betreffenden den Abschluss einer mindestens einjährigen staatlich anerkannten Ausbildung im Herkunftsland vorlegen, erklärt Dana Schneider.

Betrieb half bei der Nachqualifizierung

In europäischen Ländern sei die Vergleichbarkeit dabei eher gewährleistet als in Drittstaaten. Schneider schildert das Beispiel eines Kfz-Mechatronikers aus Belarus, der eine dreijährige staatlich anerkannte Ausbildung in seinem Heimatland absolviert und dort 14 Jahre lang als Kfz-Fachmann gearbeitet hatte. Über Kontakte hatte er eine Arbeitsplatzzusage eines Kfz-Betriebes im Havelland bekommen.

Der Mann schickte Abschlusszeugnisse und Arbeitszeugnisse an die Handwerkskammer in Potsdam. Spezialisten, die sich mit den Lehrplänen an den Berufsschulen in Belarus auskennen und diese dann mit den Lehrplänen der deutschen Ausbildung für „Kfz-Mechatroniker im Bereich Lkw“ verglichen, erkannten auf eine teilweise Gleichwertigkeit des Abschlusses und benannten Defizite in mehreren Bereichen, darunter zum Beispiel die Diagnostik von Fehlern in der Fahrzeugelektronik und Kenntnisse über die rechtlichen Vorgaben beim TÜV.

Der Mann konnte herkommen, der Betrieb im Havelland, der ihn einstellte, hilft bei der Nachqualifizierung bis zur „vollen“ Gleichwertigkeit mit dem deutschen Referenzberuf.

Leichter ist es, wenn die Ausbildung nachvollziehbar ist

Probleme ergeben sich, wenn es in der deutschen Ausbildungsordnung keinen vergleichbaren Beruf, einen „Referenzberuf“, gibt. Ein Klassiker seien „Schweißer“, die eine Ausbildung und auch Berufserfahrung als Schweißer hätten, aber in Deutschland nicht mit einem bestimmten Beruf verglichen werden könnten, weil das Schweißen hierzulande Teil einer umfangreicheren Ausbildung im Metallbereich sei, berichtet Schneider.

Ist die Ausbildung im Herkunftsland nachvollziehbar, belegbar und vergleichbar, steigen die Chancen auf Anerkennung der vollen oder teilweisen Gleichwertigkeit und damit auch auf ein Visum zur Einreise. Ein Elek­trotechniker aus der Türkei stellte vom Heimatland aus einen Antrag bei der Handwerkskammer in Düsseldorf. Er hatte in der Türkei eine vierjährige staatliche schulische Ausbildung zum Elektrotechniker mit Abschlusszeugnis durchlaufen und mehrere Jahre Berufserfahrung hinter sich.

„Wir bekamen die Lehrpläne aus der Türkei digital zugemailt“, erzählt Mariangela Pierri, die bei der Handwerkskammer in Düsseldorf für die Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse zuständig ist. Eine „teilweise Gleichwertigkeit“ seines Berufsabschlusses mit dem Beruf des Elektronikers für Energie- und Gebäudetechnik wurde festgestellt. Die Prüfer erkannten einen Bedarf an Nachqualifikation etwa in den VDE-Richtlinien der Elektrotechnik und in bestimmten berufspraktischen Bereichen.

Handwerkliche Ausbildung unreglementiert

Schwieriger wird die Vergleichbarkeit von handwerklichen Abschlüssen und Berufswegen aus Ländern, in denen es nur wenige staatlich anerkannte Ausbildungsgänge gibt. Das Bundeswirtschaftsministerium betreibt das BQ-Portal, auf dem sich Handwerkskammern über das Bildungswesen in vielen Ländern und dortige einzelne Berufsprofile informieren können.

Über Afghanistan zum Beispiel heißt es, viele Handwerksbetriebe bildeten „auf traditionelle Weise“ aus: „Diese Ausbildung ist vollkommen unreglementiert, das heißt, es existieren keine Zugangsvoraussetzungen, keine Regelungen zur Dauer der Ausbildung und auch keine Vorgaben zu den Lehrinhalten.“ Es wird „on the job“, nicht selten bei Verwandten, gelernt.

Wer also etwa in Afghanistan beim Onkel in der Tischlerwerkstatt jahrelang gelernt und gearbeitet und sich dann selbstständig gemacht hat, kann ein sehr geschickter Handwerker sein – aber er kann in Deutschland nicht mit einer Anerkennung einer „teilweisen Gleichwertigkeit“ seiner Ausbildung rechnen. „Das scheitert dann schon daran, dass es keine Lehrpläne für die Ausbildung gibt“, sagt Pierri.

Mitunter detektivisches Vorgehen

Ein Problem entsteht auch, wenn etwa eine kürzere Ausbildung lediglich bei irgendeiner privaten Schule im Ausland absolviert wurde, ohne staatliche Anerkennung. Aus Albanien kämen zum Beispiel Anfragen von Arbeitssuchenden, die in der Heimat einen viermonatigen Kurs zum „Elektroinstallateur“ absolviert hatten, bei einem teuren privaten Institut, das damit geworben hatte, das Zertifikat würde „überall in der EU“ anerkannt, schildert Pierri. Aber hier in Deutschland ist damit keine „teilweise Gleichwertigkeit“ möglich.

Mitunter müssen Handwerkskammern fast detektivisch vorgehen und eigene Recherchen anschieben, um den Ar­beits­mi­gran­t:in­nen zu helfen. Pierri erzählt von einem Mann aus Sri Lanka, der hier lebt und in seinem Heimatland eine dreijährige Ausbildung zum Elektrotechniker absolviert hatte. Er beantragte die Anerkennung der Gleichwertigkeit oder zumindest teilweisen Gleichwertigkeit seiner Ausbildung bei der Handwerkskammer.

Er hatte ein Abschlusszeugnis, verfügte aber nicht über irgendwelche Lehrpläne seiner Schule. Derzeit versuche ein singhalesischer katholischer Priester in Krefeld ehrenamtlich per Telefon über die Behörden in Sri Lanka an Lehrpläne aus der Schule zu kommen, schildert Pierri.

Reform des Gesetzes steht an

Wer Berufserfahrung aus dem Heimatland hat, in Deutschland lebt und hier als selbstständiger Handwerker arbeiten möchte, muss sich ohne Meisterbrief eine Nische suchen. So arbeiten in den „Änderungsschneidereien“ versierte Handwerker:innen, die sich ohne eine hier staatlich anerkannte Ausbildung nicht „Schneider:innen“ nennen dürfen. Mit Ausnahmegenehmigungen mancher regionaler Handwerkskammern eröffnen Herrenfriseure die sogenannten Barber Shops nur für Männer – eine im Friseurhandwerk umstrittene Grauzone.

Weil die Anerkennungsverfahren kompliziert sind, sieht die geplante Reform des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes eine neue Regelung vor: Mehrjährig berufserfahrene Fachkräfte aus dem Ausland sollen künftig bereits dann zuwandern können, wenn sie eine im Heimatland staatlich anerkannte mindestens zweijährige Ausbildung durchlaufen haben und ihnen ein angemessen vergütetes Jobangebot von einem Arbeitgeber in Deutschland vorliegt.

„Das kann eine Erleichterung der Zuwanderung für bestimmte Zielgruppen darstellen“, sagt Claudia Moravek, Arbeitsbereichsleiterin beim Bundesinstitut für Berufsbildung. Damit ergebe sich jedoch für Arbeitgeber die Herausforderung, die Fähigkeiten einer Fachkraft eigenständig und „auch ohne das geregelte Anerkennungsverfahren adäquat einzuschätzen“, so Moravek.

400.000 Zugewanderte werden benötigt

Für diesen Weg der Zuwanderung soll allerdings die Bedingung gelten, dass die Arbeitgeber entweder tariflich gebunden sind oder ein Gehalt zahlen, das mindestens 45 Prozent der Beitragsbemessungsgrenze in der Deutschen Rentenversicherung beträgt, derzeit rund 3.200 Euro brutto im Monat. „Diese Gehaltsschwelle ist zu hoch“ sagt Migrationsexperte Brücker. Bei kleineren Betrieben sei auch nicht unbedingt eine Tarifbindung gegeben. „Es müsste reichen, dass der Betrieb dem Beschäftigten ein Entgelt in Höhe eines Tariflohnes zahlt“, meint Brücker.

Bislang beschränke sich die gesteuerte Zuwanderung zu Erwerbszwecken aus Drittstaaten höchstens auf etwa 60.000 Personen pro Jahr, hatte das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung kürzlich mitgeteilt. 400.000 zugewanderte Arbeitskräfte werden künftig nach Ansicht des Instituts alljährlich zusätzlich benötigt, um den Personalmangel in Deutschland auszugleichen.

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