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EU-LieferkettengesetzDieser Standard wird Schule machen

Hannes Koch
Kommentar von Hannes Koch

EU-Firmen müssen künftig mehr Arbeitssicherheit, Bezahlung und Umweltschutz in den Fertigungsländern garantieren. Warum das kein Standortnachteil ist.

Ein syrischer Teenager vor Garnrollen in einer türkischen Textilfabrik Foto: Valerio Muscella/Redux/laif

D ie meisten Unternehmen arbeiten nachhaltig und bewahren den Planeten vor Unbill. Jedenfalls versprechen sie das. Die Wirklichkeit sieht oft ganz anders aus: Viele Firmen versuchen kaum, ihre ökonomische Praxis und die mehrheitlich akzeptierten moralischen Vorstellungen miteinander zu versöhnen. Daran könnte das europäische Lieferkettengesetz, welches das EU-Parlament am Donnerstag beschloss, etwas ändern: Firmen aus EU-Ländern sind künftig verpflichtet, in ihren weltweiten Zulieferfabriken höhere soziale und ökologische Standards umzusetzen.

Ethisch ist es richtig, Arbeitssicherheit, Bezahlung und Umweltschutz auch in armen Staaten zu verbessern. Nur gemeinsame Anstrengungen können verhindern, dass sich eine Katastrophe wie beim Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza mit über 1.100 Toten wiederholt – das hat der sogenannte Bangladesch Accord bewiesen, ein Vertrag zwischen internationalen Konzernen und Gewerkschaften. Das EU-Lieferkettengesetz kann nun dazu beitragen, solche Fortschritte in viele weitere Länder auszudehnen. Hoffnung macht etwa, dass die hiesigen Auftraggeber künftig auch die Bezahlung der Beschäftigten in den Fertigungsländern berücksichtigen müssen. Existenzsichernde Löhne werden – endlich – zum Ziel erklärt.

Auch wirtschaftspolitisch setzt die EU mit dem neuen Gesetz einen Standard, dem sich Firmen weltweit anschließen werden. Als größter Wirtschaftsblock der Erde neben den USA und China ist sie dazu in der Lage. Ausländische Betriebe, die in Europa arbeiten, müssen das Gesetz ebenfalls anwenden. Zudem machen EU-Gesetze international Schule, wie sich zum Beispiel an der Datenschutzgrundverordnung beobachten lässt. Schließlich wollen viele global tätige Konzerne nicht darauf verzichten, mit der EU Geschäfte zu betreiben.

Unternehmen aus Europa werden also wohl weniger Kostennachteile gegenüber der Konkurrenz erleiden, als mancher Wirtschaftsverband jetzt befürchtet. Eher haben sie Vorteile, weil sie einen neuen Standard als erste beherrschen lernen. Wer will, kann all das nun als Wirtschaftsimperialismus in ethischem Gewand denunzieren. Die Ar­bei­te­r*in­nen an den Nähmaschinen jedoch werden die Fortschritte zu schätzen wissen.

Wobei man sich immer mehr wünschen kann: Das Gesetz würde zwar Schadenersatzklagen gegen europäische Unternehmen erleichtern, dennoch existieren hohe Hürden. Abzuwarten bleibt auch, wie das Gesetz die anstehende Verhandlung mit den EU-Mitgliedstaaten übersteht. Immerhin: Die Auswüchse der Billigglobalisierung dürfte es etwas zurückdrängen.

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Hannes Koch
Freier Autor
Geboren 1961, ist selbstständiger Wirtschaftskorrespondent in Berlin. Er schreibt über nationale und internationale Wirtschafts- und Finanzpolitik. 2020 veröffentlichte er zusammen mit KollegInnen das illustrierte Lexikon „101 x Wirtschaft. Alles was wichtig ist“. 2007 erschien sein Buch „Soziale Kapitalisten“, das sich mit der gesellschaftlichen Verantwortung von Unternehmen beschäftigt. Bis 2007 arbeitete Hannes Koch unter anderem als Parlamentskorrespondent bei der taz.
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8 Kommentare

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  • @DIMA

    So what?

    Auch die Atomidustrie bekommt einen Standortnachteil, wenn's Sicherheitsstandards gibt.

    Im Übrigen haben "wir", als die Überkonsumenten noch doppelte Verantwortung (daher auch die Gültigkeit der Regelung für ausländische Unternehmen, die einen Mindestumsatz in der EU machen).

    Passt scho.

  • "... als mancher Wirtschaftsverband jetzt befürchtet. ..."



    Würde eher sagen "... jetzt postuliert. ... "

    Und mich würde interessieren ob das Gesetz auch für den Export von "Wertstoffen" [insbesondere den Erzeugnissen der Plastikmüllsammlung] gilt.

  • @DIMA

    Na klar.

    - Geld rechtfertigt Menschenrechtsverletzungen.

    - Geld rechtfertigt Sklaven- und Zwangsarbeit

    - Geld rechtfertigt die Zerstörung der Gesundheit von Menschen, und die derer Lebensgrundlagen.

    Wenn die Flüchtlinge kommen, dann schiessen wir drauf (genauer: wir lassen darauf schiessen).

    Offensichtlich haben wir unterschiedliche Vorstellungen.

    @RUDI HAMM

    Richtig: es wird viel whitewashing geben. Deshalb ist es so wichtig, dass die Verantwortung für die ganze Kette gibt, und dass es einklagbare Rechte sind (die zwei Punkte, gegen die die Konservativen mit ihren schmutzigen Lobbies im Gepäck mit Zähnen und Klauen kämpfen).

    Mit Gesetz wird's ein Kampf. Ohne -- praktisch unmöglich.

    • @tomás zerolo:

      Ich habe nichts gerechtfertigt, sondern auf die Fehlerhaftigkeit des Versuchs der Relativierung hingewiesen. Der Standortnachteil ist halt gegeben.

  • Und warum ist es nun kein Standortnachteil? Im Artikel wird von weniger Kostennachteilen gesprochen, was wiederum kein Vorteil ist. Bin verwirrt …

  • "Firmen aus EU-Ländern sind künftig verpflichtet, in ihren weltweiten Zulieferfabriken höhere soziale und ökologische Standards umzusetzen."

    Bevor es soweit ist, muss das Gesetz erst mal durch den Rat. Mal schauen, was die Mitglieder damit machen werden.

    Und selbstverständlich bedeutet das Gesetz auch einen Standortnachteil. Firmen aus der Türkei und aus China liefern doch heute bereits direkt via entsprechender deutschsprachiger Internetshops. H&M & Co. schauen dann in die Röhre. Das lässt sich nicht schön reden.

    • @DiMa:

      Aber sind diese wenn sie in der EU verkaufen wollen nicht auch diesen Standards verpflichtet. Klar wird das schwierig diese durchzusetzen, deswegen kann es uns doch nicht egal sein wenn wir durch unseren Konsum z.b. Sklavenarbeit unterstützen. Ich als Konsument kann das allerdings nicht überprüfen, indirekt würde das Gesetz Arbeitnehmerrechte weltweit stärken wovon letztendlich auch deutsche Arbeitnehmer profitieren, da tendenziell durch Verbot von solchen Praktiken auch die Arbeitskosten in anderen Ländern steigen. Oder lehnen sie das ab und wollen einen freien Markt ohne Arbeitnehmerrechte?

  • Führt dieses Gesetz wirklich zu besseren Arbeitsbedingungen in armen Ländern?



    Schön und gerecht wäre es ja allemal. Doch fürchte es führt ich, dass es eher zu Lug und Trug und gefälschten Zertifikaten führen wird. Oder soll ein kleiner Mittelständer nach Afrika fliegen um nachzuschauen, ob das auf dem Zertifikat auch stimmt? Na dann brauchen wir noch ein paar tausend Flieger mehr.