Peter Unfried Die eine Frage
: Wie kann Robert Habeck neues Vertrauen aufbauen?

Foto: Marco Limberg/Xpress

Ich weiß noch, wie ich im Herbst 2010 mit einem Freund und taz-Kollegen zum ersten Interview mit Winfried Kretschmann nach Stuttgart fuhr. Plötzlich schien im ewigen CDU-Land Baden-Württemberg die Chance auf Wechsel da, wir sprachen 60 Minuten, gingen raus, und dann sagte mein Kollege total erschüttert: „Also mit dem wird das nie im Leben was.“

Tja, dieser Kollege hatte einfach Ahnung. Er ging dann konsequenterweise zum Spiegel.

Diese Woche ist Kretschmann 75 geworden. Er ist im 13. Jahr Ministerpräsident. Beim letzten seiner drei Wahlsiege holten die Grünen 32,6 Prozent und 58 von 70 Direktmandaten. Will sagen: Der Traum einer sozialökologischen Mehrheitspartei muss in der Woche von Patrick Graichens Demission keineswegs aufgegeben werden, er ist längst und weiterhin Realität.

Vizekanzler Robert Habeck hatte sich als Parteivorsitzender genau angeschaut, wie Kretschmann das Momentum des Frühjahrs 2011 genutzt hatte, um die Grünen von der Milieu-, Besserwisser- und Klimapartei zur Gesellschafts-, Verantwortungs- und Wirtschaftspartei auszubauen.

Habecks Bundesgrüne wuchsen, solange ihre Zukunftspolitik Theorie war, und kämpfen nun mit Widerstand und um Zustimmung, da der Wirtschafts- und Klimaminister Ernst gemacht hat – wie es der Koalitionsvertrag vorsieht und das Bundesverfassungsgericht verlangt.

Die Kretschmann-Grünen wuchsen durch Regieren, das heißt, die Zustimmung nahm durch ihre reale Politik zu. Jetzt wird die klima­problembewusste Kretschmann-Kritikerin sagen: Ja, klar, weil er viel zu wenig viel zu langsam gemacht hat. Das aber sagt sie genauso über Habeck. Dessen wachsende Zahl an Kritikern finden dagegen, dass er zu viel zu schnell wolle.

Angesichts der physikalischen Realität – und übrigens auch angesichts der geopolitischen und globalwirtschaftlichen – wäre es für eine überwältigende Mehrheit von Vorteil, wenn die Transformation der bundesdeutschen 20.-Jahrhundert-Politik schneller gehen würde. Kann man auch entspannt in jeden Zeigefinger-Leitartikel schreiben. Bringt null Komma null.

Peter Unfried ist Chefreporter der taz.

Die Frage ist doch angesichts der realen Ängste und der strategisch geschürten Aufregung: Wie und was macht die (europäische) Gesellschaft mit, was die Koalitionspartner, was braucht die Wirtschaft, wie stärkt man Thinktanks, die umsetzbare Konzepte entwickeln, und Leute, die machen wollen und können?

Die Bundesrepublik Deutschland war – aus guten Gründen – eine Maß- und Mitte-Gesellschaft, dafür steht Angela Merkel, dafür steht Olaf Scholz, dafür steht auch Winfried Kretschmann, der im Gegensatz zu den beiden anderen aber den großen sozialökologischen Wechsel – mentalitätsverträglich – vorbereitet hat. Aber nun sagt er, „müssen wir uns überlegen, ob wir nicht ins Risiko gehen“. Genau das hat sein Parteifreund Habeck bei Amtsübernahme angekündigt: Fehler riskieren, um es dann besser zu machen, damit etwas vorangeht.

Hat man auch in der Pandemie gesehen: Der Fehler ist ein notwendiger Teil eines Trial-and-Error-Prozesses nach vorn. Aber wenn das Kultur werden soll, dann muss Robert Habeck vielleicht jetzt in einem öffentlichen Gespräch offen zwischenbilanzieren, das Erreichte und die bisherigen Fehler, und so neues Vertrauen aufbauen für eine Zukunftspolitik, die neben der notwendigen Sicherheit auch das notwendige Risiko beinhaltet. Und wenn Kretschmanns Tempo erst einmal das Maximale sein sollte, was eine Mehrheit mitmacht, dann besser so, als gar nicht.

Fehler sind ein not­wendiger Teil eines Prozesses nach vorn

Ich finde, die Brötchentaste kann jedenfalls nicht das letzte Wort der Deutschen gewesen sein.