Debatte über tödliche Polizeigewalt: „Ich kriege keine Luft!“

Regelmäßig ersticken Menschen, weil sie von der Polizei bäuchlings auf dem Boden liegend fixiert werden. KOP fordert ein Verbot dieser Praxis.

Polizisten drücken einen Demonstranten zu Boden.

Bei der Fixierung gehen Po­li­zis­t*in­nen oft sehr gewaltsam vor – teils mit tödlichen Folgen Foto: Michael Kappeler/dpa

BERLIN taz | In der Nacht auf den 4. November 2019 gerät der Schwarze Zefanias M. im U-Bahnhof Hermannstraße in eine zunächst verbale Auseinandersetzung mit Sicherheitskräften. Die Polizei wird gerufen – und behandelt M. sofort wie einen Beschuldigten. Die Situation eskaliert, M. wird geschlagen und bäuchlings auf dem Boden fixiert. „Ich kriege keine Luft!“, habe er gerufen, doch die Polizisten hätten minutenlang nicht von ihm abgelassen. Mehrfach sei er ohnmächtig geworden.

„Ich war nah am Erstickungstod“, sagte der 30-jährige Musiker nun, mehr als drei Jahre später, vor über 70 Leuten, die am Dienstagabend in das Nachbarschaftszentrum Urban zur Veranstaltung „let us breathe“ gekommen sind. Sie diskutierten dort mit der „Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt“ (KOP) über eine umstrittene Polizeipraxis, bei der Menschen ersticken können, weil sie auf dem Bauch liegend fixiert werden. Oft noch mit einem Knie auf dem Kopf oder im Nacken.

Zusätzliche Aktualität erlangte die Diskussion durch den Tod des 45-jährigen Bulgaren Vitali N., der nur eine Woche zuvor bei einem Polizeieinsatz in Königs Wusterhausen ohnmächtig geworden und am Tag darauf im Klinikum Neukölln verstorben war. Bei der Veranstaltung spielte dieser Todesfall allerdings keine Rolle.

Bei der KOP kennt man bislang nur Medienberichte über den Einsatz und den Tod von Vitali N., sie wollen weitere Ergebnisse abwarten und Kontakt zu den Angehörigen aufnehmen, heißt es am Dienstag. Noch sind die Untersuchungen im Fall Vitali N. nicht abgeschlossen, doch es gibt Hinweise darauf, dass die Fixierung durch die Polizei auch bei ihm zum „lagebedingten Erstickungstod“ geführt haben könnte.

People of Color besonders oft betroffen

Spätestens seitdem 2020 der schwarze US-Amerikaner George Floyd von einem Polizisten bei seiner Festnahme mit dem Knie im Nacken erstickt worden war, ist auch hierzulande bekannt, dass diese umstrittene Polizeipraxis tödlich sein kann. Dass eine Fixierung in Bauchlage also lebensgefährlich ist und zum Tod führen kann, ist seit vielen Jahren auch innerhalb der Polizeibehörden bekannt.

„Der lagebedingte Erstickungstod ist die Folge von Atemnot und Herzstillstand“, stellen die Polizeiwissenschaftler Wolfgang Mallach und Thomas Feltes in einem Beitrag für das „Handbuch polizeiliches Einsatztraining“ fest. „Dies gilt insbesondere dann, wenn als Zwangsmaßnahme Handschellen hinter dem Rücken in Kombination mit der Platzierung der Person in einer Bauchlage angewendet werden. Auch das Auflegen eines Knies oder Gewichts auf die zu fixierende Person und insbesondere jede Art von Druck auf den Hals kann problematisch sein.“ Faktoren wie ein psychischer Ausnahmezustand, Drogen- oder Alkoholkonsum kommen erschwerend hinzu, gefährlich wird es auch, wenn der Fixierte in Panik verfällt oder fettleibig ist.

Dennoch sei dies auch in Deutschland gängige Polizeipraxis, sagt Rechtsanwalt Armin Grimm, der Strafverteidiger von Zefanias M., die Rechtslage hierzu sei unklar: „Es gibt keine Verordnung, die das untersagt“, sagt Grimm. Es sei zwar nicht offiziell Teil der Ausbildung, werde aber scheinbar im Rahmen der Gefahrenabwehr angewendet. Und so kommen auch in Deutschland immer wieder Menschen dadurch ums Leben; besonders oft sind People of Colour, Mi­gran­t*in­nen und Menschen mit psychischen Erkrankungen betroffen.

Nicht Bestandteil der Ausbildung, aber der Praxis

Zwar antwortete die Berliner Landesregierung im Oktober 2022 auf eine schriftliche Anfrage von Abgeordneten der Linkspartei, eine Fixierung von Verdächtigen auf dem Boden mithilfe des Knies auf Brust, Rücken oder Nacken sei „nicht Bestandteil der polizeilichen Ausbildung“. Doch die KOP hat da andere Beobachtungen gemacht.

„Die machen das regelmäßig“, sagt KOP-Mitbegründer Biplab Basu. Das hätten zuletzt etwa Zeu­g*in­nen bei einem Polizeieinsatz im August 2022 im Wrangelkiez beobachtet, und das hat auch Zefanias M. nach eigenen Aussagen erleiden müssen. Diese Art der Fixierung wende die Polizei im Dienstalltag also offensichtlich an.

Was kann man tun, wenn man Be­trof­fe­ne*r oder Zeu­g*in eines solchen Einsatzes wird? Alles genau aufschreiben, empfiehlt Basu: was passiert wo, wie viele Be­am­t*in­nen sind beteiligt, welche Dienstnummer haben sie. Zum Arzt gehen, Gedächtnisprotokoll erstellen, mit anderen Zeu­g*in­nen sprechen. Sich an eine Hilfsorganisation wie KOP wenden.

Wenn möglich filmen

„Wir müssen klarmachen, dass diejenigen, die Polizei, Staatsanwaltschaft und Medien als Täter darstellen, nicht automatisch die Täter sind“, sagt Basu. Er regt an, politisch auf ein Verbot der polizeilichen Fixierung in Bauchlage hinzuarbeiten. Wer solche Einsätze beobachte, solle sich verbal einmischen und wenn möglich filmen.

Zefanias M. hat Anzeige gegen die Polizei erstattet. Doch zunächst wird er selbst wegen Beleidigung und Widerstands zu einer Geldstrafe verurteilt. Doch hätten Überwachungskameras nicht die 50 Minuten dauernde Auseinandersetzung im U-Bahnhof aufgezeichnet, wäre das Urteil gegen ihn wohl höher ausgefallen. Allerdings fehlen bei drei Kameras jeweils etwa 15 Minuten, die für die Polizisten belastendes Material beinhalten könnten. Warum, ist nicht klar.

M. ist gegen sein Urteil in Berufung gegangen. Auf die Verhandlung gegen die Polizisten wegen Körperverletzung im Amt wartet er noch immer. Er sagt, mögliche Beweisvideos sollten an eine unabhängige Beschwerdestelle gehen. Damit nicht wieder Sequenzen fehlen.

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