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Back to Beton

Heute stellen CDU und SPD ihren Koalitionsvertrag vor. Wohnungen auf dem Tempelhofer Feld, neue Anreize für Investor*innen, Religionsunterricht: Erste Details zeigen, dass die schwarz-rote Reise Richtung Vergangenheit geht

Von Bert Schulz

Gute drei Wochen haben Berlins CDU und SPD über ihre Zusammenarbeit verhandelt, an diesem Montagvormittag wird der Koalitionsvertrag vorgestellt. Der dafür gewählte Ort – das erst vor wenigen Wochen eröffnete Rahel Hirsch Center für Translationale Medizin auf dem Gelände der Charité in Mitte – soll dabei wohl programmatisch im übertragenen Sinne wirken, geht es dort doch um die Überführung von neuen Forschungserkenntnissen aus dem Labor in die Anwendung in der Klinik. Einfacher (und allgemein verständlicher) aber wäre eine Autobahnauffahrt gewesen: Schwarz-Rot will – nach allem, was bisher über den Koalitionsvertrag bekannt ist – zum einen für Geschwindigkeit stehen, zum anderen für Beton.

Zumindest auf der ersten Seite trägt der Vertrag die Handschrift von Franziska Giffey (SPD): „Das Beste für Berlin“ soll das Werk überschrieben sein, drunter macht man’s nicht bei der vermeintlichen „großen Koalition“ – die über gerade mal acht Stimmen Mehrheit im Abgeordnetenhaus verfügt. Das Motto erinnert auch sehr an die fünf „B“s, mit denen Giffey 2021 im Wahlkampf durch die Stadt tourte.

Auch bei Arbeit und Soziales, bei der Gebührenfreiheit der Bildung, bei der (No-)Umsetzung des Enteignen-Volksentscheids, im Klimaschutz und beim Kampf gegen Rassismus und für Vielfalt schimmert die SPD klar durch. Und doch wird sich der Kurs dieser Regierung deutlich von dem der vorherigen unterscheiden.

So macht Schwarz-Rot den Kampf um eine Randbebauung des Tempelhofer Feldes wieder auf – der rein symbolischen ist und sich gegen die starke linke und grüne Klientel in den Vierteln drum herum wendet. Platz für bis zu 200.000 Wohnungen gibt es ausgewiesenermaßen bereits woanders. Und doch will die künftige Koalition einen „internationalen städtebaulichen Wettbewerb“ für eine Bebauung des Feldes auf den Weg bringen, dessen Ergebnis den Ber­li­ne­r*in­nen noch mal zur Abstimmung vorgelegt werden soll. Wie genau? Das ist offen.

Den schleppenden Wohnungsbau möchte Schwarz-Rot mit einem „schneller Bauen-Gesetz“ ankurbeln, wie CDU-Chef Kai Wegner am Freitag ankündigte. Auch hier scheint die Giffeysche Wortgebung Vorbild zu sein – wie etwa bei ihrem „Gutes Kita-Gesetz“ als Bundesfamilienministerin. Denn die vielleicht künftige Bausenatorin Giffey will die Ziele erreichen, an denen Amtsinhaber Andreas Geisel (auch SPD) gescheitert ist: 20.000 neue Wohnungen pro Jahr; damit das klappt, werden Auflagen etwa für Klimaschutz reduziert und Genehmigungen schneller verteilt. Es klingt wie ein Lockangebot für private Investoren.

Ohne die würde sicher auch nichts gehen, wenn es tatsächlich zu einer erneuten Bewerbung um Olympische Spiele kommt; ausgerechnet das Jahr 2036 mit seiner impliziten Verbindung zu den Nazi-Spielen 1936 steht zur Debatte. Dabei war die längst abgeräumt. Und auch eine andere überholte Debatte beginnt von Neuem: Schwarz-Rot will ein Wahlpflichtfach Religion einführen und damit mit einer langen Berliner Tradition brechen.

Diskussionen zwischen CDU und SPD habe es während der vergangenen drei Wochen, wie es von beiden Seiten heißt, nur konstruktive gegeben. Man sei „sach- und lösungsorientiert“ vorgegangen. Die bisherige Regierende und ihr möglicher Nachfolger Wegner haben sich also gut eingerichtet auf den Vordersitzen ihres Koalitionsmobils. Noch zeigen muss sich, ob der Fahrer das Fahrzeug auch lenkt – oder ob in Wirklichkeit die Beifahrerin den Weg vorgibt.

Zuerst müssen Giffey und Wegner noch eine Mautstelle passieren: Die SPD-Basis darf über den Vertrag in den nächsten drei Wochen abstimmen. Sagt sie nein – was eine Überraschung wäre, aber nicht völlig unmöglich –, wird Schwarz-Rot nie die Auffahrt auf die Autobahn erreichen.

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