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Straßensperrung für Marketing-MesseAn­woh­ne­r*in­nen not amused

Hamburg sperrt für die Messe „Online-Marketing-Rockstars“ für vier Tage eine Hauptverkehrsstraße. Nun gibt es Ärger mit Politiker- und Anwohner*innen.

Unwohlsein mit der Hamburger Messe „Online Marketing Rockstars“: 2019 eher ein Witz, 2023 eher ernst Foto: dpa | Georg Wendt

Hamburg taz | Wenn Anfang Mai Tausende Werbeleute, In­flu­en­ce­r*in­nen und Start-up-Visionär*innen durch das Hamburger Karolinenviertel flanieren, treffen sich die sogenannten „Online-Marketing-Rockstars“ (OMR) zum Festival in der Stadt. In seiner elften Ausgabe kommt das Festival mit einer Neuerung daher: Rund um das Marketing­event soll die durch das Messegelände führende Karolinenstraße für vier Tage gesperrt und damit Teil der Veranstaltungsfläche werden.

Nach Aussage der Fes­ti­val­or­ga­ni­sa­to­r*in­nen sei die Straßensperrung notwendig, um die OMR sicher zu realisieren. „Die Besucherströme sollen auf dem Messegelände entzerrt werden, indem der Skywalk, der die Messebereiche A und B in der ersten Etage miteinander verbindet, entlastet wird“, heißt es von der OMR. Dabei berufen sich die Organisa­to­r­*in­nen auf ein Gutachten, das festgestellt habe, die Glasröhre oberhalb der Karolinenstraße reiche allein nicht aus, um die erwarteten 70.000 Messegäste wie noch im Vorjahr zu überführen.

Von der geplanten Vollsperrung der viel befahrenen Karolinenstraße, die auch Fuß­gän­ge­r*in­nen betreffen soll, erfuhren Anwohnende des Karolinenviertels und der Bezirk Hamburg-Mitte allerdings erst, als die Polizei die Sperrung bereits genehmigt hatte. Dieses Vorgehen entsetzt Theresa Jakob, Fraktionsvorsitzende der Linken in der Bezirksversammlung Hamburg-Mitte: „Wenn die OMR die Sondernutzung der Flächen für Foodtrucks nicht beim Bezirk hätte beantragen müssen, hätten wir bis heute nicht von der Straßensperrung und den damit verbundenen Einschränkungen erfahren.“ Wäre der Bezirk frühzeitig mit eingebunden worden, hätten Alternativlösungen diskutiert werden können, statt die Karolinenstraße zeitweilig zu „privatisieren“, so Theresa Jakob weiter.

Auch der Quartiersbeirat Karoviertel, dem Jakob ebenfalls angehört, ist empört über die Pläne der OMR. Er verweist auf Alternativen zur Straßensperrung: Es gibt einen Tunnel, über den Teil­neh­me­r*in­nen des Marketing-Festivals von der einen in die andere Messehalle gelangen könnten. Zudem könne zusätzlich zum Skywalk eine provisorische Brücke errichtet werden, wie sie etwa beim Marathon eingesetzt werde.

Freier Eintritt für Anwohnende

Laut OMR sind verschiedene Möglichkeiten in Zusammenarbeit mit der Stadt Hamburg bewertet worden, um Einschränkungen für Nachbarschaft und Verkehr gering zu halten. Für Fuß­gän­ge­r*in­nen will die OMR einen Shuttle-Service einrichten. Zudem sollen Anwohnende nach Aussagen der Messe-Organisator*innen die Möglichkeit erhalten, das Marketingfestival kostenfrei zu besuchen.

Für alle anderen, die sich zu Fuß zwischen Karolinenviertel und Univiertel bewegen möchten, aber nicht im Gebiet wohnen, wird der Zugang in den vier Tagen der Vollsperrung teuer: Die Tickets für das selbsternannte Klassentreffen der deutschen Start-up-Szene kosten in diesem Jahr 399 Euro. Wer noch exklusivere Informationen über aufkommende Trends und als zukünftig relevant gehandelte Player in der Marketingwelt erhalten möchte, muss 799 Euro zahlen. Für alle, die sich das nicht leisten können oder wollen, verdreifacht sich die Wegezeit zu Fuß, wie der Quartiersbeirat skizziert.

Der Quartiersbeirat Karoviertel warnt, die geplante Straßensperrung und die damit einhergehende temporäre Privatisierung des öffentlichen Raumes rund um die OMR dürfe nicht zum Präzedenzfall für zukünftige Ver­an­stal­tungen werden.

Aus Sicht der Stadt Hamburg ist das OMR-Festival ein echter Gewinn. Während Teile der ansässigen Medienbranche straucheln, bringt die Digitalmesse die Hansestadt ins Scheinwerferlicht der nationalen wie internationalen Werbe- und Kreativwirtschaft. Selbst Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher, der nicht für Gefühlsausbrüche bekannt ist, inszeniert sich als Fan der Messe. Bei seinem Messebesuch im vergangenen Jahr zeigte sich der SPD-Politiker so begeistert, dass er prompt ein OMR-Erinnerungsfoto mit zwei seiner Brüder auf seinen Social-Media-Kanälen postete.

Gespräche erst, wenn alles vorbei ist

Auch die OMR-Veranstalter*innen bekennen sich zu Hamburg: „OMR versteht sich als Hamburger Unternehmen und fühlt sich den Ham­bur­ge­r*in­nen eng verbunden“, teilt das Presseteam mit. Startete das Marketing-Festival im Jahr 2011 noch mit etwa 200 Be­su­che­r*in­nen in den Räumen der nahe gelegenen Bucerius Law School, wuchs der Andrang von Jahr zu Jahr, sodass die OMR stetig in größere Räumlichkeiten umziehen musste.

Nicht nur in Sachen Größe hat das Digitalfestival die Königsklasse erreicht. Im vergangenen Jahr hatte OMR-Mitgründer Philipp Westermeyer die Hollywoodgrößen Quentin Tarantino und Ashton Kutcher auf der Talkbühne begrüßt. In diesem Jahr werden neben etwa 200 weiteren Spreche­r*in­nen die Ex-Tennisspielerin Serena Williams und die Fitness-Influencerin Pamela Reif erwartet.

Anfang Juni, wenn die Digitalmesse einen Monat her sein wird, wollen sich die OMR-Ver­an­stal­te­r*in­nen mit dem Quartiersbeirat Karoviertel erneut zusammensetzen, um rückwirkend über Gelingen und Güte des Veranstaltungskonzeptes zu diskutieren. Der OMR seien die Beziehungen zur Nachbarschaft eben wichtig. Zumindest sobald ihr Klassentreffen vorbei ist.

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4 Kommentare

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  • Klimakleberwegenerpressunganzeigenunddanndiestraßenselbersperrn.

  • Ein Grund mehr für hamburg werbefrei

  • Sieht nach einem eindeutigen Marketingversagen aus.

    • @Tetra Mint:

      Neiiiinn das war einfach eine Komunikationspanne.



      "Natürlich hätten man im Vorfeld mit den Betroffenen sprechen müssen und das tut uns auch alles sehr leid. Wir werden es beim nächsten mal gewiss besser machen"

      Oh Gott, mein Taschentuch ist mit Krokodilstränen schon ganz vollgeheult ...

      Und die Geschädigten bekommen Karten für Umme.



      Und sicherlich den Festivalkrach ebenso - auch für Umme.