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Verhältnis zu RusslandArmenien geht auf Distanz

Kommentar von Barbara Oertel

Armenien fühlt sich von Russland im Konflikt mit Aserbaidschan im Stich gelassen. Die Absetzbewegungen werden stärker – was den Kreml erzürnt.

Wladimir Putin (rechts) und der armenische Ministerpräsident Nikol Paschinjan im November Foto: Sputink/ap

D rohen und erpressen gehört zum Instrumentarium russischer Außenpolitik. Gerade hat Moskau die Stationierung taktischer Atomwaffen in Belarus avisiert, jetzt ist mal wieder Armenien dran. Sollte sich Jerewan „erdreisten“, das Römische Statut zu ratifizieren, und sich damit der Rechtsprechung des Haager Interna­tio­nalen Strafgerichtshofes (ICC) unterstellen, werde das ernsthafte Konsequenzen haben, ist aus dem russischen Außenministerium zu vernehmen.

Die martialische Rhetorik kommt nicht von ungefähr: Nach der Ausstellung des Haftbefehls gegen Russlands Präsidenten Wladimir Putin wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen in der Ukraine müsste Armenien den Kremlchef, so er sich in der Südkaukasusrepublik blicken ließe, festsetzen.

Das Szenario ist so abwegig nicht. Das bilaterale Verhältnis war schon besser. Grund ist der bewaffnete Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien um die Region Bergkarabach, der auch die territoriale Integrität Armeniens bedroht. Und dessen selbst ernannte Schutzmacht Russland? Bleibt weitgehend passiv, da bekanntermaßen andernorts beschäftigt.

So fühlt sich Jerewan, auch ob der militärischen Überlegenheit Aserbaidschans, zu Recht im Stich gelassen. Anzeichen für die wachsende Unzufriedenheit sind auch Forderungen nach einem Austritt aus dem von Moskau geführten Militärbündnis „Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit“ (OVKS), die schon seit Monaten laut werden. Sollte das Parlament in Jerewan die Ratifizierung des Statuts auf den Weg bringen, wäre das ein weiteres Zeichen für Absetzbewegungen der Regierung Nikol Paschinjans von Moskau.

Die aktuelle Armenien-Causa zeigt jedoch erneut etwas anderes: Dass Russland auf internationale Rechtsinstitute pfeift und in seinem Hinterhof weiter frei agieren will – zu welchem Preis auch immer. Friedensverhandlungen mit der Ukraine? Die Hoffnung, der Kreml werde sich an Vereinbarungen halten? Von wegen! Wie viel Anschauungsmaterial braucht es noch?

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Ressortleiterin Ausland
Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.
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8 Kommentare

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  • Armenien hilft niemand. Auch die Revolution, die Pashinjan an die Macht gebracht hat, hat Armenien nicht rausgehauen. Auch eine Parallele mit der Ukraine und deren Orangener Revolution, 2005. Man hat in Europa artig Beifall geklatscht und hinterher das Land in der Steppe wieder vergessen. Armenien ist noch unbedeutender und noch ungünstiger gelegen, Links und rechts die Erbfeinde und im Land der Hegemon Russland, der einen nicht mehr zuverlässig beschützt, aber immer noch besser ist als gar kein Schutz vor Aserbaidschan und der Türkei. Und Russland wird Armenien ohnehin nicht so einfach aus seiner Vasallenrolle entlassen... u wenn es dem Kreml beliebt abstrafen, Pashinjan wegputschen, zeigen wer der Boss ist. Auch wenn es gerade in der Ukraine für die Russen nicht optimal läuft, für Armenien reicht es allemal. Und die Europäer und die Amerikaner können wirklich wenig bis gar nichts machen. In der Situation möchte man nicht stecken. Bei den Russen sich allzu weit aus dem Fenster zu lehnen ist keine gute Idee und in Armeniens aktueller Situation völlig abwegig. Da müsste sich erst mal in der Türkei u Aserbaidschan was grundlegend verändern.

  • Der Kommentar lässt ausser acht, dass die Herrscher in Moskau schon seit lägerem Aremenien nicht mehr auf der Liste haben. Es galt und gilt die Beziehungen zu Aserbeidschan zu verbessern. Schon allein, weil sich der türkische Autokrat Erdoghan immer mehr in der Region einmischt. Armenien spielt derzeit keine Rolle für Putin, es sei denn als Standort für ein paar tausend Soldaten. Siener Politik geht es um die Sicherung großrussischer Interessen im Kaukasus. In Jerewan steht die Regierung schon länger mit dem Rücken zur Wand. Der Traum der Einverlebung Berg Karabachs - völkerrechtlich zu Aserbeidschan gehörend, ist geplatzt. Der militärische 'Beschützer' in Moskau hat - derzeit zumindest - daran kein Interesse mehr. Die Politiker in Armenien müssen sich fragen lassen, ob sie nicht seit langem entfernt jeder Realität agiert haben. Man hatte Berg Karabach faktisch annektiert und dort lebende Aseris vertrieben. Jetzt schlägt der Autokrat in Baku mit seinen Öl-Milliarden zurück, mit türkischen Drohnen. Armenien ist dagegen wirtschaftlich und sozial ein Armenhaus. Und vom Westen hat Jerewan so gut wie keine Unterstützung zu erwarten - wir erinnern uns: Bundesdeutsche Politiker liessen sich jahrelang mit Aserischem Ölgeld schmieren.

  • Der einzige Grund warum Armenien pro-russische eingestellt war, war Karabagh, wenn Armenien das verliert können sie sich auch nach Westen hin ausrichten, die Wirtschaftskraft von Türkei und EU ist soviel größer. Russlands Problem keine Soft-Power nur Hard Power und wenn die Hard-Power weg ist geht der Einfluss flöten.

  • Dass Russland […] frei agieren will – zu welchem Preis auch immer. Friedensverhandlungen mit der Ukraine? Die Hoffnung, der Kreml werde sich an Vereinbarungen halten? Von wegen! Wie viel Anschauungsmaterial braucht es noch?

    Immer wieder und immer wieder noch mehr. Die Schreihälse, die dem Westen die Schuld oder Mitschuld geben, werden nicht weniger. Sie werden mehr, je länger dieser Krieg wird, je kriegsmüder das Land, je länger die Propaganda und das Täter-Opfer-Umkehr-Narrativ Russlands. Die lauten Stimmen übertönen die dann immer mehr schweigende Mehrheit und es ist diese verdammte journalistische Pflicht, den Pluralismus von Tag zu Tag sichtbar zu machen. Immer wieder. Darum ist die vierte Gewalt heute für die Verteidigung unserer Demokratie wichtiger denn je.

  • Mit welchen Truppen sollte Russland denn auch Armenien verteidigen? Den toten? Den schlecht ausgebildeten Rekruten aus dem Fernen Osten? Den Kriegsverbrechern von Wagner?

  • Sehr richtig. Putin ist kein Staatsmann, sondern ein mieser, Petersburger Hinterhof-Mafioso. Primitiv und brutal. Ohne Loyalität, ohne Skrupel. Er muss besiegt werden. Es gibt keine sinnvolle Alternative.

  • Als Armenien das letzte Mal von Russland abgerückt ist würde es von Aserbaidschan überrollt und die jetzige Situation ist erst entstanden. Wer außer Russland, der durch aserbaidschanisches Geld und Gas/Öl nicht käuflich ist, soll denn deren Sicherheit garantieren?

    • @FancyBeard:

      Auch wenn es zunächst absurd erscheinen mag, vielleicht sollten die Armenier es einmal in Istanbul versuchen? Mehr als Nein sagen kann Erdogan doch nicht, und er möchte sich ja als ganz großer Staatenlenker verkaufen.