Energiewende in Schleswig-Holstein: Gericht kippt Kieler Windkraftpläne

Unsicherheit beim Windkraft-Ausbau in Schleswig-Holstein: Verwaltungsrichter erklären Regionalplan wegen Verwaltungspanne für ungültig.

Windräder hinter Nebelstreifen

Nebulöse Aussichten nach dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts: Windräder in Schleswig-Holstein Foto: Frank Molter/dpa

HAMBURG taz | Es ist ein schwerer Schlag für den Windkraftausbau in Schleswig-Holstein: Das Oberverwaltungsgericht Schleswig hat die Regionalplanung für den nördlichen Teil des Bundeslandes mit Blick auf die Windenergie für unwirksam erklärt. Grund dafür ist, dass darin zwei Landschaftsschutzgebiete vorkommen, die für Windräder tabu wären. Diese Schutzgebiete sind aber gar nicht gültig.

Schleswig-Holstein war lange Zeit führend unter den Bundesländern, was den Ausbau der Windenergie anging. Dem wurde 2015 ein schwerer Dämpfer versetzt, als das Oberverwaltungsgericht die damaligen Regionalpläne kippte. Um einen Wildwuchs zu verhindern, verhängte das Land daraufhin ein Moratorium für Neubauten. Jahrelang wurden neue Anlagen nur in Ausnahmefällen genehmigt. Die Zahl der Neubauten brach dramatisch ein und zieht erst langsam wieder an.

Die neuen Regionalpläne gelten seit Ende 2020. Sie bestimmen 344 Gebiete, auf denen Windenergie Vorrang hat. Es geht um eine Fläche von rund 32.000 Hektar – rund zwei Prozent der Landesfläche. Die Pläne sind jedoch vielfach vor Gericht angefochten worden.

Das aktuelle Urteil gibt der Normenkontrollklage einer Projektgesellschaft statt, der verwehrt worden war, im nördlichen Kreis Schleswig-Flensburg ein Windrad zu errichten, und die deshalb den Regionalplan insgesamt angriff. Dieser legt Vorranggebiete für Windenergieanlagen fest. Zugleich müssen aber die Grundsätze der Raumordnung beachtet werden, wonach Landschaftsschutzgebiete freigehalten werden müssen.

Landkreis ging nicht gegen Urteil vor

Der geltende Regionalplan berücksichtigte die Landschaftsschutzgebiete „Wiedingharder- und Gotteskoog“ und „Ostenfeld-Schwabstedter Geest mit vorgelagerter Marsch“ im Kreis Nordfriesland. Die entsprechenden Schutzgebietsverordnungen des Kreises waren jedoch bereits im Mai 2020 gerichtlich gekippt worden und der Kreis ist nicht gegen diese Urteile vorgegangen.

„Der Ausschluss dieser beiden Gebiete von der Windkraftplanung hätte demnach nur nach einer ergänzenden Abwägung erfolgen können“, erklärte das Gericht. Die habe das Land aber nicht getroffen.

Der festgestellte Fehler betreffe den gesamten Planungsraum I – bestehend aus den Gebieten der kreisfreien Stadt Flensburg, der Kreise Nordfriesland und Schleswig-Flensburg, schreibt das Gericht. Denn dadurch habe sich das Verhältnis der Flächen, auf denen Windräder errichtet werden dürfen oder eben nicht, insgesamt verändert.

Deshalb könne nicht mit ausreichender Sicherheit angenommen werden, „dass der Plan mit den übrigen Festsetzungen genauso beschlossen worden wäre“, teilte das Gericht mit.

Innenministerin will Begründung abwarten

Die Projektgesellschaft hat mit dem Urteil nur eine erste Hürde überwunden, weil sie den Regionalplan für den Raum I insgesamt angegriffen hat. In einem zeitgleich verhandelten Verfahren ist eine Bürgerwindpark-Gesellschaft deutlich weiter gekommen: Sie hatte vom Landesamt für Umwelt einen positiven Vorbescheid für eine geplante Windkraftanlage konkret im Gebiet „Wiedingharder- und Gotteskoog“ beantragt. „Mit der Unwirksamkeit des Regionalplans für den Planungsraum I stehen diesem Vorhaben keine Ziele der Raumordnung mehr entgegen“, urteilte das Gericht.

Das Gericht ließ eine Revision des Urteils nicht zu. Schleswig-Holsteins Innenministerin kündigte an, sie werde die schriftliche Urteilsbegründung „abwarten und anschließend prüfen, ob wir gegen die heutige Entscheidung Rechtsmittel einlegen können und werden“. Gegen die Nichtzulassung der Revision käme eine Beschwerde infrage.

„Bis die Rechtskräftigkeit festgestellt wird, bleibt der Plan vorerst in Kraft und Windprojekte können weiter in den ausgewiesenen Flächen genehmigt werden“, sagt Marcus Hrach, Geschäftsführer des Landesverbandes Erneuerbare Energien (LEE). Kippe der Plan vollends, gebe es keine Sonderregelung für Windenergie und sie gelte als ganz normales „privilegiertes Vorhaben im Außenbereich“. Das heißt: Windkraftanlagen könnten gebaut werden, „wenn öffentliche Belange nicht entgegenstehen und die ausreichende Erschließung gesichert ist“.

Trotzdem müsse die schwarz-grüne Landesregierung jetzt „schnellstens mit einer neuen Flächenplanung für die Windenergie beginnen“, fordert Hrach. Diese müsse rechtssicher sein und tatsächlich bebaubare Flächen für Windenergieanlagen ausweisen.

SPD fordert zügige Reaktion

Oppositionsführer Thomas Losse-Müller von der SPD sieht das ähnlich. Um mehr Rechtssicherheit zu schaffen, müsse die Landesregierung „binnen der nächsten drei Monate eine neue Windkraftplanung machen“. Unbedingt zu vermeiden sei Wildwuchs, denn der erzeuge Akzeptanzprobleme. Die jetzige Windkraftplanung sei an vielen Punkten nicht konkret genug, sodass die Verwaltung von Fall zu Fall entscheiden müsse. „Eine Abwägung ist aber immer ein Risiko“, warnt Losse-Müller.

Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) versichert, die neue Planung für die gesamte Landesfläche werde bereits vorbereitet und solle im Laufe der aktuellen Legislaturperiode abgeschlossen werden. Sie soll zusätzliche Flächen für Windräder ausweisen. Der Koalitionsvertrag halte ohnehin fest, „dass dabei alle Kriterien mit Ausnahme der Abstände zur Wohnbebauung auf den Prüfstand gestellt werden“.

Dringend ist das, weil auch gegen die Windkraftplanungen in anderen Landesteilen Klagen und Normenkontrollanträge laufen. Am 6. Juni 2023 wird sich das OVG mit einer Klage der Gemeinde Krummbek (Kreis Plön) im Planungsraum II befassen. Diese moniert, dass ein Windkraft-Vorranggebiet zu nah an ihr Gemeindegebiet heranreiche und ihre eigene Planungshoheit verletze.

Und eine private Klägerin wendet sich dagegen, dass ihre im Kreis Rendsburg-Eckernförde gelegenen Grundstücke nicht für Windkraft vorgesehen sind, obwohl sie in der Nähe einer Potenzialfläche liegen. Danach hat das Gericht noch über 43 Normenkontrollanträge und zwei Klagen für den Planungsraum III, das südliche Schleswig-Holstein, zu entscheiden.

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