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Urteil im Trans-Mordfall in MünsterOffensichtlicher (Selbst-)Hass

Jan Feddersen
Kommentar von Jan Feddersen

Das Gericht wollte in dem tödlichen Angriff auf Malte C. keine Queerfeindlichkeit erkennen. Es ist ein Fehler, diese Motivlage auszublenden.

Das Grab des verstorbenen Malte C Foto: Bernd Thissen/dpa

D as Urteil lautete erwartungsgemäß: 5 Jahre Jugendstrafe samt Unterbringung in einer therapeutisch orientierten Entziehungsanstalt verhängte das Landgericht Münster gegen den Mann, der vor gut einem halben Jahr den trans Mann Malte C. beim CSD in Münster so aggressiv geschlagen hatte, dass dieser zu Boden fiel und dabei tödliche Verletzungen erlitt. Der Täter, so formulierte das Gericht eindrücklich, müsse von seiner Drogen- und Alkoholsucht abgebracht werden, um nach der Freiheitsstrafe überhaupt als ein gewaltfrei zurechnungsfähiger Mensch leben zu können.

Das ist problematisch, weil der aus Tschetschenien geflüchtete Mann nach allem, was die gutachterliche Expertise enthüllt, ein schwuler Mann ist. Aus Gründen des in seiner Geburtsheimat mörderisch grassierenden Hasses auf vor allem männliche Homosexuelle legte er sich einen emotionalen Panzer zu, bereit zu jedweder Aggression im Moment von Gefahr.

Beim CSD in Münster, dem er vom Rande aus und unter Drogen stehend zuschaute, erkannte er das, was ihm zu leben in seiner Heimat nicht möglich ist und womit er sich in tödliche Schwierigkeit brächte. Malte C.’s „Vergehen“ war, dass er, zumal als trans Mann, eine lebenszugewandte Queerness ausstrahlte, die offensichtlich furiosen Selbsthass beim Täter auslöste.

Die am Gericht Beteiligten, Richterschaft, Staatsanwaltschaft und Verteidigung, wollten in der Tat keine Queerfeindlichkeit erkennen – und das ist ein juristischer Fehler sondergleichen: Hass auf Queers ist eine Motivlage, die des Öfteren von verkappten, aber sich selbst nicht anerkennenden Homosexuellen ausgeht.

Eine Verurteilung nach Jugendstrafrecht hat immer therapeutische Mühen zur Folge. Wichtig wäre jetzt, dem Verurteilten eine positive Selbstanerkennung als schwuler Mann zu ermöglichen. Und ihm als Asylbewerber nach Strafverbüßung eine Zukunft in Deutschland zu ermöglichen. Müsste er zurück nach Tschetschenien, käme das für ihn einem Todesurteil gleich.

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Jan Feddersen
Redakteur für besondere Aufgaben
Einst: Postbote, Möbelverkäufer, Versicherungskartensortierer, Verlagskaufmann in spe, Zeitungsausträger, Autor und Säzzer verschiedener linker Medien, etwa "Arbeiterkampf" und "Moderne Zeiten", Volo bei der taz in Hamburg - seit 1996 in Berlin bei der taz, zunächst in der Meinungsredaktion, dann im Inlandsressort, schließlich Entwicklung und Aufbau des Wochenendmagazin taz mag von 1997 bis 2009. Seither Kurator des taz lab, des taz-Kongresses in Berlin,und des taz Talks, sonst mit Hingabe Autor und Interview besonders für die taz am Wochenende. Interessen: Vergangenheitspolitik seit 1945, Popularkulturen aller Arten, besonders des Eurovision Song Contest, politische Analyse zu LGBTI*-Fragen sowie zu Fragen der Mittelschichtskritik. RB Leipzig-Fan, aktuell auch noch Bayer-Leverkusen-affin. Und er ist seit 2011 mit dem in Hamburg lebenden Historiker Rainer Nicolaysen in einer Eingetragenen Lebenspartnerschaft, seit 2018 mit ihm verheiratet. Lebensmotto: Da geht noch was!
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8 Kommentare

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  • Zunächst sollte man zu dem Urteil vielleicht einmal festhalten, dass die Verantwortung von Alice Schwarzer und anderen Feministinnen in dem Fall vielleicht doch nicht so groß war, wie ihnen teilweise unterstellt würde. Das wäre anständig. Was das Asylrecht anbetrifft, wird man abwarten müssen, wie es dann in fünf Jahren ist. Grundsäzlich ist der junge Mann russischer Staatsbürger und wäre als solcher nicht gezwungen, sich ausgerechnet in Tschetschenien nieder zu lassen.

    • @HugoHabicht:

      Da gibt es für nichts festzuhalten. Die Frage bleibt, woher ein Täter sich die Legitimation nimmt, einen anderen mit "Du bist kein richtiger Mann" zu beschimpfen, bevor er ihn totprügelt. Strukturelle Abwertung, Ausgrenzung und Ungleichbehandlung einer Gruppe äußern sich eben nicht nur in allgemeinen politischen Positionen, staatlichen Gesetzen oder gesellschaftlichen Normen, sondern immer auch in den Handlungen von Individuen ggü. Mitgliedern der Gruppe. Und so tragen alle, die öffentlich "Das sind keine richtigen Männer / Frauen" propagieren, ihr Scherflein dazu bei, dass die Strukturen so sind, wie sind, und dass Ängsten, Ressentiments oder Aversionen ggü. trans der Boden bereitet wird.

  • Ich halte das Urteil für ausgewogen - und im Hinblick auf die Möglichkeiten, eine erzieherische Wirkung auf den Täter zu entfalten, sogar für beinahe weise. Die Frage ist, was denn die Erwartung wäre an eine Einstufung als queerfeindliche Tat. Strafverschärfung? Steht rechtlich auf ziemlich dünnem Eis, und die Anschlussfrage wäre, was das bringt. Malte macht es nicht wieder lebendig, leider. Politisches Statement zugunsten des Minderheitenschutzes also? Sind Gerichte denn dafür zuständig?



    Ich stimme mit dem Autor darin überein, dass es Unfug ist anzunehmen, ein sich selbst als schwul sowie (zumindest bewusst) nicht als queerfeindlich wahrnehmender Täter könne keine queerfeindliche, d.h. gegen die Gruppenzugehörigkeit des Opfers und generell gegen die ganze Gruppe gerichtete Tat begehen. Aber es gibt nunmal kein objektives, allein in der äußerlichen Handlung begründetes Kriterium für gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, sondern nur die Motivlage sowie gesellschaftliche Werte und Normen.



    Der Täter sagt über sich, er sei schwul und nicht queerfeindlich eingestellt. Er hat Menschen auf dem CSD als mit Ausdrückend beleidigt, die man gemeinhin als queerfeindlich einstuft, und einen queeren Menschen totgeschlagen. Das ist ein Widerspruch. Ein am Prozess beteiligte Psychiaterin hat sich diesem Widerspruch genähert, indem sie *als Möglichkeit* eine vom Täter unbewusst unterdrückte Identität als Handlungsmotiv in den Raum stellte (wohlwissend vermutlich, dass das spekulativ bleiben muss).



    Meine Meinung ist, dass es nicht Aufgabe des Gerichts und der Sachverständigen ist, diesen Widerspruch zu lösen. Es ist Aufgabe des Täters, zusammen mit jenen Personen, die ihn in Zukunft dabei unterstützen. Diese Chance hat er jetzt. Malte aber hat er alle Chancen genommen.

  • Und wieder einmal dreht sich alles nur um den Täter. Das Opfer bekommt fast keine Aufmerksamkeit.

  • "Hass auf Queers ist eine Motivlage, die des Öfteren von verkappten, aber sich selbst nicht anerkennenden Homosexuellen ausgeht."

    Ach. Und deshalb muss es in diesem Falle auch so sein? Gibts dazu noch andere belastbare Hinweise, außer der Homosexualität und die Herkunft des Mannes? Ist mir ehrlich gesagt ein bisserl zuviel Küchenpsychologie, um daraus einen "juristischen Fehler sondersgleichen" ableiten zu können.

    • @Deep South:

      Wenn ein verkappter Schwuler auf dem CSD randaliert, so Sachen wie "scheiß Lesben" und "Transschweine" gröhlt und dann einen trans Mann toprügelt, der durch das Tragen einer entsprechenden Flagge und durch die dank freiem Oberkörper deutlich sichtbaren Mastektomie-Narben zweifelsfrei als trans zu erkennen war und dem er vorher abgesprochen hat, ein "richtiger Mann" zu sein, dann muss man schon extreme Gehirnakrobatik anwenden, um irgendwas anderes als eine queerfeindliche Motivlage anzunehmen.

      Übrigens könnte man die in diesem Fall auch bei einem offen schwul lebenden Täter nicht ausschließen, Lesbophobie und Transfeindlichkeit kommen leider beide auch unter Schwulen vor. Richter, staatsanwaltschaft und Gutachterin gehen im Ausschluss eines queerfeindlichen Motivs nach einer unglaublich naiven Einstellung der Sorte "der ist schwul, na dann wird es wohl nicht queerfeindlich gewesen sein" vor.

      Natürlich ist das ein gravierender Fehler, auch wenn es da eher an gesellschaftspolitischem als an juristischem Sachverstand gemangelt haben wird.

      • @Elon Musk kommt nicht ins Berghain:

        "Wenn ein verkappter Schwuler auf dem CSD randaliert, so Sachen wie "scheiß Lesben" und "Transschweine" gröhlt"

        Hat er denn das? Kann ich nirgendwo so klar finden.

        "deutlich sichtbaren Mastektomie-Narben zweifelsfrei als trans zu erkennen"

        Das Wort "Mastektomie-Narben" hab ich grade eben das erste Mal gelesen. Und ich wüßte auch nicht, wie so etwas aussieht. Dass jemand unter Drogen und Alkoholeinfluss auf so einr Veranstaltung das eindeutig wahrnimmt, ist reine Spekulation.

        "Übrigens könnte man die in diesem Fall auch bei einem offen schwul lebenden Täter nicht ausschließen, Lesbophobie und Transfeindlichkeit kommen leider beide auch unter Schwulen vor."

        Nicht ausschließen bedeutet aber nicht, dass es bewiesen ist. Und darum geht es schließlich.

        Da alle vor Gericht beteiligten Parteien inklusive der Anklage die Motivlage nicht so eindeutig bewerten, müsste ich schon mehr Fakten haben um andee Tatmotive auszuschließen.

        Es geht mir nicht darum, dieses mögliche Motiv zu leugnen oder gar kleinzureden. Es geht mir darum, dass man ein Gerichtsurteil nicht als grundlegend fehlerhaft bezeichnen kann, ohne dafür klare Beweise dazu vorzulegen.

        • @Deep South:

          Naja, mit "Küchenpsychologie" haben Sie's selbst herausgefordert. Differenziert ist anders