Erste Sitzung des Berliner Parlaments: Alter, was geht ab?!

Ausgerechnet CDU-Rechtsausleger Kurt Wansner eröffnet die konstituierende Sitzung des Abgeordnetenhauses. Er redet Berlin schlecht, zur Freude der AfD.

Menschen stehen im Plenarsaal des Abgeordnetenhauses

Jetzt mit neuer Legitimität ausgestattet: das Abgeordnetenhaus von Berlin Foto: taz

BERLIN taz | Vielleicht hat jede Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus so ihre Leichen im Keller, wie es im Munde des dort vertretenen Volkes so gerne heißt. Dumm nur, wenn diese Untoten nicht irgendwann zu später Stunde bei Debatten zu Nischenthemen auftauchen, sondern zur prestigträchtigen Saisoneröffnung. Dabei kann die CDU-Fraktion gar nicht direkt etwas dafür, dass ihr Kreuzberger Abgeordneter Kurt Wansner am Donnerstag der allererste Redner nach der Wiederholungswahl ist.

Wansner, politisch schon vielfach tot gesagt und auch 2023 mit knapp 15 Prozent Erststimmen nur mäßig erfolgreich, ist 1947 geboren, damit seit 2021 ältester Abgeordneter und somit als Alterspräsident beauftragt, die konstituierende Sitzung zu leiten, bis die Parlamentspräsidentin gewählt ist.

Wansners Regentschaft auf dem Präsidentinnenstuhl währt genau eine Stunde und 16 Minuten – und sogar seine CDU ist sichtbar erleichtert, als sie vorbei ist. Denn der Abgeordnete zeichnet ein düsteres Bild der Stadt, gespickt mit teils rassistischen konservativen Stereotypen: Berlin sei verdreckt und generell eine Hauptstadt des Frusts; seine Bür­ge­r*in­nen seien vor allem besorgt über die mangelnde innere Sicherheit, trauten sich nachts nicht mehr auf die Straße, die Alltagskriminalität sei „immer präsent“, eigentlich würde die Stadt sowieso von Clans krimineller Großfamilien beherrscht.

Beifall bekommt Wansner dafür fast ausschließlich, aber umfassend von der AfD. In der ersten Reihe der CDU-Fraktion mit dem wahrscheinlichen nächsten Regierenden Bürgermeister Kai Wegner regt sich kaum eine Hand – selbst als Wansner die Silvesterrandale anspricht, die die CDU zum Wahlkampfthema aufbauschte, was entscheidend zum Wahlsieg am 12. Februar beitrug.

Zum zweiten Mal eine Präsidentin

Die Opposition aus Grünen und Linken ist zuerst konsterniert angesichts des niveaulosen Auftritts, der selbst mit dem hohem Alter des Redners nicht zu rechtfertigen wäre. Dann verkünden viele Abgeordnete mit Gemurre im Saal, vor allem aber mit Tweets ihr Entsetzen. Von „sinnfreiem Geschwafel“ schreibt zum Beispiel der Linke Niklas Schrader. Und fügt mit Blick auf die absehbare schwarz-rote Koalition hinzu: „Zum Schämen. Viel Spaß, SPD.“ Tatsächlich dürften sich auch einige Sozialdemokraten gefragt haben, mit wem sie da gerade über eine Zusammenarbeit verhandeln.

Cornelia Seibeld steht am Pult des Abgeordnetenhauses

Neue Parlamentspräsidentin: Cornelia Seibeld (CDU) Foto: dpa

Dabei hätte diese erste Sitzung des Abgeordnetenhauses nach der Wiederholungswahl so etwas wie eine kleine emanzipatorische Sternstunde werden können. Denn zur Präsidentin wählen die 157 anwesenden Abgeordneten Cornelia Seibeld. Sie erhält in geheimer Wahl 117 Ja-Stimmen bei 29 Nein-Stimmen, 10 Enthaltungen und einer ungültigen Stimme. Die CDU-Politikerin ist damit erst die zweite Frau in diesem Amt.

In ihrer Rede nach ihrer Wahl bezieht sich Seibeld ausdrücklich auf eines ihrer politischen Vorbilder: ihre Vorgängerin Hanna-Renate Laurien (CDU), die von 1995 bis 1999 dieses Amt bekleidete. Jene sei „selbstbewusst, respekteinflößend und durchsetzungsstark gewesen“, sagt Seibeld. „Vieles, was sie erstreiten musste, ist heute selbstverständlich.“

Und sie kündigt an, für mehr Vereinbarkeit von Familie und Beruf in der Politik arbeiten zu wollen. „Mir ist es wichtig, Politik auch in den konkreten Abläufen familienfreundlicher zu gestalten“, sagt sie – auch, damit sich jenseits des Parlaments mehr Menschen „angesprochen fühlen, sich zu engagieren“. Zu Stell­ver­tre­te­r*in­nen von Seibeld wählen die Abgeordneten den bisherigen Parlamentspräsidenten Dennis Buchner (SPD) und Bahar Haghanipour (Grüne).

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