Ein Jahr Krieg in der Ukraine: „Wir sind alle Ukrainer“

Am Freitagabend demonstrierten tausende Menschen in Berlin für Solidarität mit der Ukraine. Präsident Wolodomir Selenski sendete eine Videobotschaft.

Demonstratin für die Ukraine am Freitagabend in Berlin am Brandenburger Tor

Ein Jahr Krieg: Solidarität mit der Ukraine am Brandenburger Tor Foto: Fabrizio Bensch/reuters

BERLIN taz | „Ich bin eine von Zehntausenden, die auf der Straße lagen, nachdem die Bomben einschlugen. Ich bin eine von Zehntausenden, die während der russischen Besatzung Wasser in Kanister füllen wollten – und dabei von russischen Okkupanten angeschossen wurden.“ Kateryna Syknomlynova hat wässrige Augen und den Schock im Gesicht. Um sie herum ist es nicht still auf dem Platz des 18. März vor dem Brandenburger Tor. Dennoch schafft sie es, die Aufmerksamkeit auf sich zu vereinen.

Gegen Ende der Solidaritätsdemonstration am Freitagabend in Berlin steht die ehemals in Mariupol lebende Ukrainerin auf der Bühne und erzählt von den Ereignissen, nachdem Russland die Stadt besetzt hatte. Von den über 10.000 Teil­neh­me­r:in­nen haben die Demo zu diesem Zeitpunkt schon viele verlassen. Bekannte Namen gehörten zu den Redner:innen: Der Grünen-EU-Politiker Reinhard Bütikhofer, die noch amtierende Regierende Bürgermeisterin Berlins Franziska Giffey, der ukrainische Präsident Wolodomir Selenski.

Und dennoch sind es die Worte der geflüchteten Kateryna Syknomlynova, die am lautesten nachhallen. „Ich bin eigentlich ein friedlicher Mensch. Dennoch müssen mehr Waffen geliefert werden, um den Krieg so schnell wie möglich zu beenden.“

Am Freitag gedachte die Welt des ersten Jahrestags des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine. Der Protest, der zur Solidarität mit der Ukraine aufrief, startete zunächst vor dem – nach Kriegsausbruch symbolträchtig umbenannten – Café Kyiw (ehemals Café Moskau), zog dann weiter zur russischen Botschaft und endete am Platz des 18. März vor dem Brandenburger Tor.

„Dies ist ein Tag der Trauer“

Mit „Slava Ukraini“ waren die Teil­neh­me­r:in­nen begrüßt worden und es schallte ein aberlautes „Heroyam Slava“ zurück. Ruhm der Ukraine – den Helden Ruhm. Auch im weiteren Verlauf des Abends wurde der Satz so häufig und energisch wie kein zweiter wiederholt. An diesem grauen Tag erschien die Menge in gelb-blau, unzählige Ukraine-Flaggen wurden geschwenkt, auch EU- und Nato-Fahnen mischten sich unter. Die Menschen waren voller Emotionen; ambivalent zwischen Freude über die Menge an Teil­neh­me­r:in­nen und Solidarität einerseits und Wut auf die Kriegstreiber andererseits.

„Dies ist ein Tag der Trauer über die zehntausend Toten und Vertriebenen. Ein Tag des Zorns gegen Putin, der einen Krieg losgetreten hat, wie es ihn seit dem Zweiten Weltkrieg nicht gegeben hat. Und es ist ein Tag der Hoffnung, dass dies das letzte Jahr des Krieges ist, der mit einem Sieg der Ukraine endet“, fasste es Ralf Füchs als einer der ersten Red­ne­r:in­nen am Nachmittag unter großem Applaus zusammen. Er ist Mitbegründer des Zentrums Liberale Moderne, das Anfang Februar zur Soli-Demo aufgerufen hatte – noch bevor Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer zu ihrer „Friedensdemo“ aufriefen, die am Samstag stattfinden soll.

An eben diese beiden sendete wenig später der Grünen-Ko-Vorsitzende Omid Nouripour einen Gruß. „Wer Frieden will, der fährt nicht nur nach Moskau, sondern auch nach Kyjiw.“ Er zählte die Kriegsverbrechen in Charkiw und Mariupol auf und resümierte, was viele als schnelle Friedensoption ansehen würden, basiere auf einem Zerrbild: „Das ist kein Frieden, das ist Putinismus.“

Friede sei nur möglich, wenn Russland sich zurückziehe. Eine Unterstützung der Ukraine sei auch eine Verantwortung aus dem Zweiten Weltkrieg, in dem die Wehrmacht auch in der Ukraine Gräueltaten verübte. Nouripour rief dazu auf, dass nie mehr „dreckige Deals“ mit Russland und leidtragenden Dritten in der Mitte abgeschlossen werden dürften. Und dazu, dass Verhandlungen nur mit dem ukrainischen Präsidenten am Tisch möglich seien.

Friedensverhandlungen, ja. Aber wie?

Ein Jahr nach Kriegsbeginn waren Friedensverhandlungen auch unter den Teil­neh­me­r:in­nen ein zentrales Thema. Die protestierende Gabriele sagte, sie sei sich zunächst nicht sicher gewesen, ob sie bei dieser Demo mitlaufen solle oder am Folgetag bei Wagenknecht und Schwarzers Gegenveranstaltung. Sie findet es schade, dass sich Menschen aufteilen, die eigentlich das gleiche Ziel verfolgen: „Wir alle wollen Verhandlungen, nicht nur diejenigen, die hier sind.“ Auch sie tue sich mit Waffenlieferungen schwer. Dennoch drückt sie ihr Entsetzen über den russischen Einmarsch aus: „Wofür haben wir denn Grenzen?“ Für sie ist klar, dass Solidarität nötig ist: „Wir sind alle Ukrainer.“

Auch viele Ukrai­ne­r:in­nen waren unter den Demonstrierenden. Unter ihnen Natalya, die vor einem Jahr aus Charkiw nach Berlin geflohen ist. Sie wählte ihre Worte bedacht; umso mehr Wucht entfalteten sie beim sprechen. Die Frage, wie dieser Krieg ausgehe sei nicht nur für die Ukraine, sondern für ganz Europa „catastrophically important.“ An all diejenigen, die eine Niederlage der Ukraine für einen vorübergehenden Frieden in Kauf nehmen wollten, sendete sie eine Warnung: In diesem Fall stehe Russland sehr bald auch an ihrer Haustür. Die Welt habe den Fehler gemacht, Russland zu unterschätzen, nun lebe man mit den Konsequenzen und müsse daraus lernen. Man sehe doch, was Russland auch in Georgien und Tschetschenien getan habe.

Mit dieser Sorge war sie auf der Demo nicht allein. Viele fürchteten die Expansionsgier Putins und alle waren sich nach wie vor einig: Die Ukraine verteidigt nicht nur ihre Souveränität, sondern auch Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit Europas und der Welt. Daher müssten mehr Waffen geliefert werden. Präsident Selenski stellte in seiner am Brandenburger Tor übertragenen Rede in Aussicht, er sei sich sicher, dass die Ukraine den Krieg dieses Jahr gewinnen werde.

Botschafter Oleksii Makeiev ergänzte, Deutschland habe zwar lange gezögert, aber liefere nun endlich. Und wenn man den Krieg gewinne, werde es ein gemeinsamer Sieg sein. Obwohl einige Vor­red­ne­r:in­nen das zögerliche Handeln der Bundesregierung und die fehlende Hilfsbereitschaft kritisierten, folgten auf Makeievs versöhnlichen Worte aus dem Publikum „Danke, danke, danke“-Rufe.

Gespaltene Bewegung

Vor genau einem Jahr, am 24. Februar 2022, überfiel die russische Armee die Ukraine im Osten des Landes und versuchte die Hauptstadt Kyjiw einzunehmen. Mittlerweile findet der Krieg seit Monaten mit wenigen Geländegewinnen vor allem im Osten und Süden des Landes statt. Ein Ende der Kampfhandlungen ist bisher kaum in Sicht.

Sowohl innerhalb von Deutschland als auch auf der ganzen Welt gibt es derzeit Diskussionen zwischen Befürwortern von Friedensverhandlungen zwischen beiden Kriegsparteien und solchen, die diese ablehnen, solange Russland das ukrainische Territorium nicht verlässt. Auch die vielen verschiedenen Proteste in Berlin an diesem Wochenende sind Ausdruck der Zerstrittenheit in dieser Debatte.

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