Geplante Justizreform: Die Regierung spaltet Israel
Während in der Knesset über die Justizreform abgestimmt wird, gehen Hunderttausende dagegen auf die Straße. Kritik kommt inzwischen auch von rechts.
Zuvor hatten Kritiker*innen die Zugänge zu den Privathäusern von einigen Knessetabgeordneten und zentrale Straßen blockiert, um zu verhindern, dass die Abgeordneten in das Parlament gelangen können. Auch innerhalb des Parlamentsgebäudes kam es zu Tumulten. Teile der Opposition hüllten sich während des Plenums aus Protest in Israelfahnen, einige von ihnen wurden des Saals verwiesen.
Scheinbar unbeeindruckt davon stimmten spät in der Nacht 63 Abgeordnete in erster Lesung für den Gesetzentwurf, der das Oberste Gericht entmachten und der Regierung faktisch die Möglichkeit geben würde, über die Ernennung der Richter des Obersten Gerichts zu entscheiden. 47 Abgeordnete stimmten dagegen. Einige boykottierten die Abstimmung.
Die Gesetzesvorhaben werden nun im Justizausschuss für die zweite und finale dritte Lesung vorbereitet. Justizminister Yariv Levin kündigte an, das Gesetzespaket bis Ende März verabschiedet haben zu wollen.
Israels Präsident fordert Regierung zum Dialog auf
„Eine große Nacht und ein großer Tag“, feierte Ministerpräsident Benjamin Netanjahu die Abstimmung. Aus der Opposition kam harsche Kritik. „Die Geschichte wird Sie für diese Nacht verurteilen“, twitterte Yesh-Atid-Oppositionsführer Yair Lapid, „für den Schaden an der Demokratie, der Wirtschaft und der Sicherheit, dafür, dass Sie das israelische Volk in Stücke reißen und es Ihnen einfach egal ist.“
Ram Ben Barak, ebenfalls Yesh Atid, verglich die Vorhaben mit dem Nationalsozialismus: Die Nazis seien in Deutschland ebenfalls auf demokratische Weise an die Macht gekommen, sagte er in der Knesset.
Israels Präsident Yitzhak Herzog hatte zuvor die Regierung dazu aufgerufen, die Justizreform auf Eis zu legen und in einen Dialog mit der Opposition zu treten. Dabei hatte er auch einen Kompromissvorschlag vorgestellt. Die Opposition hatte allerdings die Bedingung aufgestellt, die Gesetzgebung dafür auf Eis zu legen.
In der Knesset ist das Votum klar, doch außerhalb seiner Regierungskoalition erntet Netanjahu zunehmend auch von rechter Seite Kritik an der Justizreform.
Kritik auch aus den USA
Auf den Demonstrationen gegen die Justizreform protestieren auch Rechte, Religiöse und Siedler*innen. Und selbst aus den Reihen des Likud kommt mitunter heftige Kritik, etwa vom ehemaligen Justizminister Dan Meridor. Die umstrittene geplante Justizreform würde das Rechtssystem des Landes zerstören und die Bürger gegenüber den Maßnahmen der Regierung schutzlos stellen.
Einer von Netanjahus engsten Verbündeten, der ehemalige Chef des israelischen Geheimdienstes, Yossi Cohen, der gar als potenzieller Nachfolger für Netanjahu gilt, forderte ihn dazu auf, in Verhandlungen mit der Opposition zu treten.
Auch aus Washington kam die bislang schärfste Kritik mit der Aufforderung „in die Bremsen zu steigen“ und einen Konsens zu erreichen.
Bundesjustizminister Buschmann: Indirekte Kritik
In dieser aufgeheizten Stimmung ist derweil der deutsche Justizminister Marco Buschmann in Israel gelandet – eigentlich, um die Rosenburg-Ausstellung an der Universität Tel Aviv zu eröffnen, mit der die nationalsozialistische Vorgeschichte des Bundesministeriums dokumentiert wird.
Der FDP-Politiker ist um seine Rolle nicht zu beneiden. Es ist der erste Besuch eines deutschen Ministers in Israel seit der Vereidigung der neuen israelischen rechtsextrem-religiösen Regierungskoalition. Bei der Eröffnung der Ausstellung fand Buschmann kritische Worte, ohne direkt zu werden: „Aus der Geschichte zu lernen bedeutet, zu erkennen, dass man breite Mehrheiten suchen sollte, wenn man die Spielregeln des demokratischen Wettbewerbs und das Zusammenspiel der Verfassungsorgane verändern möchte.“
Er ergänzte, dass in Deutschland Änderungen des Grundgesetzes nur mit einer Stimmenmehrheit von zwei Dritteln in Bundesrat und Bundestag möglich seien.
Auf Buschmanns Terminkalender steht für Dienstag ein Gespräch mit seinem israelischen Amtskollegen Yariv Levin. Außerdem will er sich mit Generalstaatsanwältin Gali Baharav-Mia sowie der Präsidentin des Obersten Gerichts, Esther Chajut, treffen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?