Vor dem EU-Sondergipfel Migration: Mehr Grenzschutz und Abschiebungen
Rechter Akzent durch EU-Ratspräsidentschaft: EU-Länder, Libyen und Tunesien arbeiten enger zusammen, um Fluchtmöglichkeiten zu reduzieren.
Um solche Themen wird es gehen, wenn sich am Donnerstag die EU-Staats- und Regierungschefs zum Sondergipfel in Brüssel treffen. Neben dem Krieg in der Ukraine und der Inflation steht die Migration auf der Tagesordnung. Vor Kurzem veröffentlichte Frontex, die EU-Grenzschutzagentur, die Ankunftszahlen für 2022. Circa 330.000 irreguläre Grenzübertritte wurden an den EU-Außengrenzen festgestellt, der höchste Wert seit 2016, 64 Prozent mehr als der coronabedingt niedrige Vorjahreswert. Hinzu kommen rund 4,8 Millionen registrierte Flüchtlinge aus der Ukraine.
Es ist der erste EU-Gipfel, seit Anfang Januar Schweden turnusmäßig die Ratspräsidentschaft übernommen hat. Das Land wird seit Oktober von einer Minderheitsregierung geführt, die von den rechtsextremen Schwedendemokraten unterstützt wird. Es verwundert nicht, was Schweden sich für seine sechsmonatige Präsidentschaft vorgenommen hat: „Es besteht die dringende Notwendigkeit, die Außengrenzen zu stärken, die Rückführung zu erhöhen und irreguläre Migration zu verhindern“, heißt es in einer Erklärung der Ratspräsidentschaft nach dem Treffen der EU-Innenminister in Stockholm Ende Januar.
Genau wie alle Vorgänger-Präsidentschaften will also auch Schweden die Abschottung vorantreiben. Mehr Grenzschutz und mehr Abschiebungen, Kooperation mit Transitstaaten und Herkunftsländern. Diese Rezepte verfolgt die EU seit 2016, ohne dass die Ankunfts- oder Abschiebezahlen zurückgegangen wären. Deshalb will Schweden nun die bisherigen Hemmungen bei der Kooperation mit Libyen fallen lassen. „Statt den Kampf gegen Asylsuchende auf immer unmenschlichere Ebenen zu heben, müssen die EU-Staaten endlich Verantwortung übernehmen – bei der Verteilung von Schutzsuchenden in Europa und bei der Seenotrettung im Mittelmeerraum“, sagte der grüne EU-Abgeordnete Erik Marquardt.
Vierpunkteplan gegen irreguläre Migration
Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU) hatte 2020 einen Reformvorschlag für das EU-Asylsystem gemacht, das unter anderem auf Schnellverfahren in neuen Lagern an den Außengrenzen setzt. Doch ihr „Migrationspakt“ wurde nie angenommen: einer Reihe osteuropäischer Staaten war er nicht rigoros genug. Weil sie mit dem Migrationspakt nicht weiterkommt, hatte von der Leyen in der vergangenen Woche dem EU-Parlament einen abgespeckten Vierpunkteplan gegen irreguläre Migration vorgelegt. Diesem Plan werden die Regierungschefs am Donnerstag wohl weitgehend folgen. Das sieht jedenfalls die schon vorab weitgehend ausgehandelte Abschlusserklärung des Gipfels vor.
2022 hat die libysche Küstenwache nach UN-Angaben über 24.000 Menschen auf dem Meer abgefangen. Gleichzeitig kamen 105.000 Menschen aus Libyen und Tunesien über den Seeweg in Italien an. Das soll künftig schwieriger werden. Dabei sind Abschiebungen nach Libyen wegen der katastrophalen Menschenrechtslage für die EU-Staaten selber verboten.
Serbien, der Problemfall in Europa
EU-Abgeordnete Erik Marquardt (Die Grünen)
Noch im Herbst hatten die EU-Innenminister Serbien als einen der größten Problemfälle ausgemacht. 146.000 irreguläre Einreisen entfielen 2022 auf die Westbalkanroute, weit mehr als das Doppelte des Vorjahres. Serbien spielte dabei eine wichtige Rolle, weil das Land relativ großzügig Menschen aus Staaten einreisen ließ, die beim Kosovo die Linie der Regierung in Belgrad teilen. Die Zahl der irregulären Ankünfte über Serbien in der EU hatte sich deshalb bei einigen Herkunftsländern, etwa Bangladesch, stark erhöht. Das Land müsse „jetzt die Visapraxis ändern“, sagte im Oktober Innenministerin Nancy Faeser. Sollte Serbien sich nicht kooperativ zeigen, könne dem Land die seit 2009 geltende Visafreiheit für den Schengenraum entzogen werden, so Brüssel.
Belgrad gab offenbar nach: „Die enge Zusammenarbeit hat zu positiven Ergebnissen“ beim Migrationsmanagement und bei irregulären Einreisen über Serbien in die EU geführt, sagte die EU-Innenkommissarin Ylva Johansson Ende Januar. Das soll der EU-Gipfel formell feststellen und weitere Schritte auffordern.
Mit der EU-Grenzschutzagentur Frontex intensiver arbeiten
Von der Leyen will, dass die Grenze zwischen Bulgarien und der Türkei mit Drohnen und mehr Frontex-Beamten abgedichtet wird. Länder, aus denen derzeit viele Menschen in die EU kommen – namentlich Ägypten, Tunesien, Marokko Nigeria, Bangladesch und Pakistan – sollen mit einer diplomatischen Offensive zur Kooperation bewegt werden. Um die Zusammenarbeit mit diesen und anderen Staaten bei der Migrationskontrolle zu verstärken, sollen Instrumente wie der NDICI „bestmöglich genutzt werden“. Beim NDICI handelt es sich um einen bis 2027 laufenden, fast 80 Milliarden Euro schweren EU-Haushaltstitel, auch als „außenpolitisches Instrument“ bekannt. Der war von von der Leyens Vorgänger Jean-Claude Juncker ersonnen worden, um EU-Finanzhilfen für Drittstaaten leichter an Bedingungen zu knüpfen – zum Beispiel in der Migrationspolitik. Genau das will von der Leyen jetzt angehen. Sie verwies darauf, dass jedes Jahr in der EU rund 300.000 Rückführungen beschlossen, aber nur 70.000 Menschen tatsächlich in ihre Herkunftsländer zurückgebracht würden. Die EU lastet dies vor allem den Herkunftsländern an, weil diese zu unwillig Pässe ausstellen. Tatsächlich ist in sehr vielen Fällen eine Abschiebung aus anderen Gründen nicht möglich.
Der Asylverfahren nach Afrika auslagern
Die Bundesregierung will nach Angaben des Sonderbevollmächtigten für Migrationsabkommen, Joachim Stamp (FDP), die Verlegung von Asylverfahren nach Afrika prüfen. „Dann würden auf dem Mittelmeer gerettete Menschen für ihre Verfahren nach Nordafrika gebracht werden“, sagte der Politiker der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. „Das erfordert aber sehr viel Diplomatie und einen langen Vorlauf.“ Diese Idee ist etwa 20 Jahre alt, aber nicht totzukriegen, auch wenn sich die Staaten Nordafrikas bislang dagegen sperren.
In diese Richtung denkt auch die schwedische Ratspräsidentschaft. Noch vor Ende der Amtszeit, im Sommer 2023, will Stockholm „Möglichkeiten zur Verbesserung der Ausschiffung von Migranten in Libyen“ sondieren, und zwar an Orten, an denen die Menschen „von den libyschen Behörden unter voller Wahrung ihrer Menschenrechte behandelt werden und der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) und die Internationale Organisation für Migration (IOM) uneingeschränkten Zugang haben“, so das schwedische Papier vom 11. Januar. Der Hintergedanke liegt auf der Hand: die Auslagerung der Asylverfahren nach Afrika.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Kritik an Antisemitismus-Resolution
So kann man Antisemitismus nicht bekämpfen
Klimaziele der EU in weiter Ferne
Neue Klimaklage gegen Bundesregierung