Nächtliches Tempo 30: Göttingen will Tempo drosseln
Vorgaben der Straßenverkehrsordnung und Autofixiertheit von FDP und CDU erschweren die Maßnahme.
Die Stadtverwaltung folgt mit ihrem Vorschlag sowohl einem von der EU vorgegebenen Lärmaktionsplan als auch der Tempo-30-Initiative des Deutschen Städtetages. Erklärtes Ziel dieser Initiative unter dem Motto „Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten“ ist es, die Handlungsspielräume für Kommunen zu erweitern. Sie sollen die Möglichkeit erhalten, Tempo 30 innerorts anzuordnen oder Modellversuche anzustoßen, die die gesamte Stadt zu einer Tempo-30-Zone machen.
Eine Höchstgeschwindigkeit von 30 Stundenkilometern mache die Straßen sicherer, gerade für Fußgänger:innen und Radfahrer:innen, heißt es im Positionspapier des Städtetages. Die Straßen würden zudem leiser, die Luft sauberer. Die Verkehrsregeln würden übersichtlicher und nachvollziehbarer, das Miteinander würde gestärkt, der Schilderwald gelichtet. Die Leistungsfähigkeit für den Verkehr werde durch Tempo 30 nicht eingeschränkt.
Allerdings ist Tempo 30 in Gemeinden als Regel in der Straßenverkehrsordnung bislang nicht verankert. Die Maßnahme ist grundsätzlich nur für weniger befahrene Straßen zulässig. Auf Straßen des überörtlichen Verkehrs darf die Geschwindigkeit nur in Ausnahmefällen gesenkt werden. So können die Straßenverkehrsbehörden im Einvernehmen mit der Gemeinde etwa vor Schulen und Seniorenheimen sowie in Wohngebieten „mit hoher Fuß- und Radverkehrsdichte“ Tempo-30-Zonen einrichten.
Verkehrsfluss durch 30-Zonen
Um nicht anzuecken und die Vorgaben zu erfüllen, hatte die Göttinger Verwaltung zur letzten Sitzung des Umweltausschusses im Dezember eine Karte präsentiert. Auf mehreren Straßen – darunter auch die Haupteinfahrstraßen Groner und Kasseler Landstraße – würden sich alle paar Hundert Meter Tempo 30 und Tempo 50 abwechseln. Die Grünen sprachen mit Blick auf den Vorschlag von einem „Flickenteppich“.
Gemeinsam mit der Linken, der Partei-und-Volt-Ratsgruppe sowie dem ebenfalls im Rat vertretenen Bündnis für nachhaltige Stadtentwicklung brachten sie einen Änderungsantrag ein: Längere Strecken sollen zu Tempo-30-Zonen werden, damit es nicht zu Verwirrung im Straßenverkehr kommt. „Wenn im Laufe einer Straße ohne eine bauliche Veränderung mal Tempo 30, mal Tempo 50 nachts angeordnet ist, dann widerspricht das dem Gebot des flüssigen Fahrens“, hieß es im Änderungsantrag.
Die Verwaltung prüfte daraufhin, welche Straßenabschnitte sich zusammenlegen ließen. Nach der aktuellen Vorlage soll auf mehreren durch das Stadtgebiet führenden Bundesstraßen nun durchgängig Tempo 30 in den Nachtstunden gelten. Damit der Verkehr fließt, sollen zudem die Ampelphasen angepasst werden.
Die Grünen zeigen sich erfreut. „Damit setzen wir in Göttingen clever geltendes Bundesrecht um, ohne einen Flickenteppich zu erzeugen“, sagte die Ratsfrau und stellvertretende Bürgermeisterin Onyeka Oshionwu am Dienstag kurz vor der Ausschusssitzung.
Doch zwischenzeitlich meldeten CDU und FDP Beratungsbedarf an. Statt die Autofahrer durch „sinnlose Temporeduzierungen zu gängeln“, sollten lieber nachts die Ampeln abgeschaltet und der Einbau von Lärmschutzfenstern gefördert werden, meinen die Liberalen. Der FDP-Fraktionsvorsitzende Thorben Siepmann sagte, eine Lärmminderung von 2,1 Dezibel, die durch eine geringere Geschwindigkeit erreicht würde, sei „vom menschlichen Gehör fast nicht wahrnehmbar“.
Mit seinem Tempo 30-Vorstoß steht Göttingen nicht alleine da. In einem Brief an die Bundesregierung setzen sich mehrere Bürgermeister im Bündnis Lebenswerte Städte für mehr Tempo-30-Zonen in Städten wie Hannover, Braunschweig, Lüneburg und Oldenburg ein.
Damit die Städte entscheiden können, auf welchen Hauptverkehrsstraßen die Geschwindigkeit weiter gedrosselt wird, müsse zunächst das Straßenverkehrsrecht geändert werden. Zwar hat das Ampel-Bündnis in Berlin im Koalitionsvertrag zugesagt, entsprechende Tempolimits zu ermöglichen. Doch bisher sei wenig passiert, beklagte jüngst Oberbürgermeister Onay mit Blick auf das Bundesverkehrsministerium unter Volker Wissing (FDP).
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen