Fortsetzung von Comic-Serie: Nonchalant zwischen den Fronten

Zwei neue „Corto Maltese“-Comics sind draußen. Einmal in der aufregenden Adaption von Bastian Vivès. Dann als Klischee von deutscher Zeitgeschichte.

Comicbild: Corto Malese und ein Mann mit Glatze sitzen nebeneinander in einem LKW

Martin Quenehem und Bastien Vivés transportieren den Maltese-Mythos ins 21. Jahrhundert Foto: Schreiber & Leser Verlag, Hamburg 2022

Zwei unterschiedliche Ansätze gibt es mittlerweile, wenn es um die Fortsetzung klassischer europäischer Comic-Serien geht. Der eine besteht darin, im Wesentlichen so weiterzumachen wie bisher. Verbunden mit behutsamen Modernisierungen, wie etwa bei „Blake & Mortimer“. Und das kann durchaus unterhaltsam sein. Der andere Ansatz ist die mehr oder minder radikale Neuerfindung. Ein Beispiel hierfür ist Émile Bravos großartiger Vierteiler „Spirou oder: die Hoffnung“, in dem der Held sich im okkupierten Belgien des Zweiten Weltkriegs zurechtfinden muss.

An den aktuellen „Corto Maltese“-Bänden kann man gleich beide Ansätze studieren. Erfunden wurde der „Seemann ohne Schiff“, der im ersten Drittel des letzten Jahrhunderts weltweit unterwegs ist, 1967 von Hugo Pratt. Bis zum Jahr 1991 erschienen dreizehn überwiegend umfangreiche Alben.

Mit Pratts Tod 1995 ruhte die Serie vorerst, bis sie 2015 von Juan Díaz Canales (Text) und Rubén Pellejero (Zeichnungen) wiederbelebt wurde. Nach Abenteuern in Kanada, Ägypten und Tasmanien spielt „Nacht in Berlin“ nun in Deutschland, und zwar im Jahr 1924.

Dort angekommen, erfährt Corto, dass Professor Steiner, einer seiner besten Freunde, ermordet worden ist. Dieser war im Besitz einer seltenen Tarotkarte, für die sich auch eine okkultistisch-esoterisch orientierte Geheimgesellschaft interessiert.

„Operation Consul“

Gleichzeitig jagen sowohl Mitglieder der KPD als auch Kryptonazis hinter Dokumenten über die rechtsextreme Terrorgruppe „Operation Consul“ her. Corto navigiert wie immer nonchalant zwischen den Fronten, bis ihn eine Begegnung auf dem jüdischen Friedhof in Prag kurz die Fassung verlieren lässt.

Die „Operation Consul“ hat es wirklich gegeben. Sie ging aus rechtsextremen Freikorpsverbänden hervor und war unter anderem für die Ermordung Walther Rathenaus verantwortlich. In „Nacht in Berlin“ treten zusätzlich aber auch prominente Protagonisten der Weimarer Zeit auf. Etwa die Schriftsteller Joseph Roth und Gustav Meyrink, der Sozialdemokrat Friedrich Ebert, die Sängerin Marlene Dietrich oder der Boxer Max Schmeling.

Auch der Stummfilm wird herbeizitiert und zum Leben erweckt. In einem Kino läuft Murnaus Drama „Der letzte Mann“. Der lange, gekrümmte Schatten, den Corto nun nächtlich in dem Comic auf eine weiße Wand wirft, erinnert an Nosferatu. An weiteren Stellen der Erzählung werden berühmte Szenen aus Fritz Langs „Dr. Mabuse, der Spieler“ und Murnaus „Faust“ nachgebildet.

Diese Überfülle an Referenzen – eine Traumszene führt auch an den Prager Kaiserhof um 1600 – tut dem Comic allerdings insgesamt nicht so gut. Das Einflechten realer Personen und Ereignisse hat zwar immer schon zu den Markenzeichen von „Corto Maltese“ gehört. „Nacht in Berlin“ liest sich jedoch, als hätte Juan Díaz Canales vor der Niederschrift seines Szenarios eine entsprechende Checkliste angelegt und diese dann Punkt für Punkt abgearbeitet.

Verweise auf Zeit-und Kulturgeschichte

Erhellend ist hier ein Vergleich mit „Das Humboldt-Tier“. Dieser aktuelle Comic von Flix ist am selben historischen Ort und nur wenige Jahre später angesiedelt. Doch Flix gelingt es, die Verweise auf Zeit- und Kulturgeschichte dezent einzustreuen, anstatt die Handlung zu überlagern.

Auch visuell ist „Nacht in Berlin“ weniger aufregend. Pellejero bietet doch eine etwas gefälligere Variation des expressiven Stils Pratts.

Ganz anders hingegen ist der Fall bei dem Band „Schwarzer Ozean“ gelagert. Hier überrascht allein schon der Name des Zeichners: Bastien Vivès. Der ist bislang weniger für Genre-Comics bekannt als für sensible Graphic Novels wie „Der Geschmack von Chlor“ und „Polina“. Und die zweite Überraschung: „Schwarzer Ozean“ spielt 2001, in den Wochen vor und nach den Anschlägen von 9/11.

Corto ist hier ein moderner Pirat. Als seine Kumpane sich bei einem Angriff auf eine Yacht im Chinesischem Meer als skrupellose Mörder herausstellen, rettet er dem Überfallenen, einem älteren Japaner, das Leben. In Tokio angekommen, wird Dr. Fukuda jedoch während einer Kabuki-Aufführung ermordet.

Wie sich herausstellt, war er alles andere als harmlos, sondern Mitglied einer ultranationalistischen Politsekte. Zudem hütete er ein altes Buch, in dem von einem sagenhaften Goldschatz die Rede ist, den die Inkas vor den Konquistadoren versteckt haben.

Colin Powell wechselt Worte auf Hebräisch

Erstaunlich mühelos gelingt es Vivès und seinem Szenaristen Martin Quenehen, den Corto-Maltese-Mythos ins 21. Jahrhundert zu transponieren. Die etwas rätselhaften, eigenwilligen Frauenfiguren, die Pratt gerne erfand, werden jetzt durch eine kühle japanische Geheimagentin, eine engagierte Dokumentarfilmerin und eine peruanische Heilerin ersetzt.

Juan Díaz Canales (Text), Rubén Pellejero (Zeichnungen): „Corto Maltese. Nacht in Berlin“. Aus dem Spanischen von Daniel Nogueira und Resel Rebirsch. Schreiber & Leser Verlag, 88 Seiten, 24,80 Euro

Martin Quene­hem (Text), Bastien Vivès (Zeichnungen): „Corto Maltese. Schwarzer Ozean“. Aus dem Französischen von Resel Rebirsch. Schreiber & Leser Verlag, 184 Seiten, 24,80 Euro

Radikale Umweltschützer legen sich mit Hochseefischern an; in einer Szene wechselt Colin Powell im Vorübergehen auf Hebräisch ein paar Sätze mit Corto. Klingt wild, doch nichts daran wirkt aufgesetzt, alles ist schlüssig. Ein genderfluider, sehr junger Corto gleitet eher passiv-träumerisch durch die locker gefügte Handlung, in der Figuren erscheinen und verschwinden und vieles nur angedeutet bleibt.

Anders als Pratt arbeitet Bastien Vivès nicht mit harten Schwarz-Weiß-Kontrasten, verzichtet aber ebenfalls oft auf detaillierte Hintergründe. Als dritte „Farbe“ kommen bei ihm Grautöne ins Spiel. Und: „Schwarzer Ozean“ ist ausschließlich am Laptop gezeichnet. Solche Arbeiten haben zumeist, mögen sie auch elegant aussehen, etwas Steriles. Doch dies ist hier nicht der Fall. Der skizzenhafte Stil, den Vivès perfekt beherrscht – manchmal verzichtet er sogar darauf, Augen und Münder zu zeichnen –, lässt den Einsatz von Tuschepinsel oder -feder nicht vermissen.

Wegen hasserfüllter Äußerungen in sozialen Medien und aufgrund einiger nicht zu Unrecht umstrittener pornografischer Comics ist der zuvor stets gefeierte Vivès in Frankreich jüngst sehr in die Kritik geraten. Eine ihm gewidmete Ausstellung beim Comic-Festival in Angoulême wurde abgesagt.

„Schwarzer Ozean“ steht für die helle Seite seines Könnens, auch dank des sehr guten Szenarios. Hugo Pratt hätte an dem Band sicherlich uneingeschränkte Freude gehabt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.